Integration statt Aktionismus. Zusammen schaffen wir das – in Hamburg und in Europa

Individuelle Schicksale sehen statt mit Populismus Angst schüren.Über 60.000 Geflüchtete haben sich im Jahr 2015 in Hamburg gemeldet und Schutz gesucht. Das sind so viele wie nie. Hamburg ist zuständig für mehr als 22.000 Asylverfahren (Quote nach Königsteiner Schlüssel). Wenn diese Verfahren erfolgreich sind, können die Menschen dauerhaft in Hamburg bleiben . Wir akzeptieren die Beweggründe aller Geflüchteten – ob Krieg, Terror, politische Verfolgung durch den Staat, Unterdrückung durch die Mehrheit, Armut. Das Ziel, in Europa, in Deutschland, ein besseres Leben zu führen, ist nachvollziehbar. Deshalb machen wir niemandem Vorwürfe, der flieht. Wir reden nicht von Asylmissbrauch, – auch dann nicht, wenn wir wissen, dass die derzeitige Rechtslage für eine Reihe von Menschen keinen Ansatzpunkt für ein Aufenthaltsrecht gibt. Wir wissen und akzeptieren, dass für einen Teil der Menschen rechtlich nur die Rückkehr in ihr Herkunftsland bleibt.

Doch solange die Menschen hier sind, sind sie für uns neue Einwohnerinnen und Einwohner Hamburgs und Deutschlands, denen der Start in unserer Stadt gelingen soll – ganz egal, wie lange sie am Ende bleiben. Diese Haltung ist aus unserer Sicht der Kitt für die sogenannte „Herausforderung“ der steigenden Zahl von geflüchteten Menschen. Viele Hamburgerinnen und Hamburger sehen das ähnlich und helfen. Sie zeigen sich solidarisch, sei es durch Patenschaften für geflüchtete Familien, sei es als Lotsinnen und Lotsen, Sprachlehrerinnen und –lehrer oder indem sie ganz einfach praktisch mit Bettzeug, Kleidung, Spielsachen, Fahrrädern und mehr helfen. Sie machen deutlich, dass sie bereit sind, Flüchtlinge aufzunehmen und als neue Nachbarn zu akzeptieren. All den Freiwilligen, die in vielfältigen Initiativen in den Flüchtlingsunterbringungen, am Hauptbahnhof oder anderswo unter zum Teil widrigen Bedingungen praktische Hilfen organisiert haben, gilt unser großer Dank! Mit dem Forum Flüchtlingshilfe ist ein wichtiger Schritt unternommen worden, um staatliche und zivilgesellschaftliche Hilfen besser zu vernetzen und die Zusammenarbeit weiter zu entwickeln. Diesen Ansatz wollen wir weiter ausbauen.

Über 60.000 Geflüchtete aufzunehmen und unterzubringen war und ist für die Stadt Hamburg auch eine große Herausforderung. Diese führte und führt teilweise zu besonderen Zumutungen für alle Beteiligten: Sei es bei den Haupt- und Ehrenamtlichen, die erheblich beansprucht und belastet werden. Sei es bei den Nachbar*innen, wenn über Nacht neue Erstaufnahme entstehen, wenn vertraute Grünflächen zur Disposition stehen für künftige Folgeunterbringungen. Sei es bei den Geflüchteten selbst, die bei uns zwar in Sicherheit sind, aber noch lange in sehr provisorischen und prekären Unterkünften leben müssen und nicht wissen, wie es überhaupt weitergeht.

Wir wollen, dass Schluss ist mit jahrelangen Verfahren beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Denn schnelle rechtsstaatliche Verfahren beim BAMF sind die Voraussetzung für eine schnelle Integration der anerkannten Asylsuchenden. Bisher ist der Aufbau zusätzlicher personeller Kapazitäten beim BAMF nur sehr schleppend voran gekommen. Das Ergebnis ist ein enormer Rückstau in der Antragsbearbeitung. Unter den Altfällen beim BAMF befindet sich eine größere Gruppe von Antragsteller*innen, die schon sehr lange, zum Teil über zwei Jahre, auf eine Entscheidung warten. Wir fordern eine Altfallregelung für diese besonders langjährigen Asylverfahren. Die Schutzsuchenden müssen endlich eine Aufenthaltserlaubnis erhalten und ihren Asylantrag hierfür zurückziehen können. Und wir wollen, dass Geflüchtete mit erfolglosen Asylanträgen eine qualitative Rückkehrberatung bekommen und die Abschiebung weiter letztes Mittel bleibt. Verhältnismäßigkeit und humanitäre Verpflichtungen müssen jederzeit gewahrt bleiben, auch bei Abschiebungen. Das gilt auch für den neu eingeführten Abschiebegewahrsam. Die Maßgabe des Grundgesetzes gilt in zweierlei Hinsicht: Wessen Asylgrund nicht anerkannt wird, ist verpflichtet, in sein Heimatland zurückzukehren. Doch ebenso gilt: Das individuelle Asylrecht darf nicht durch Obergrenzen beschnitten werden.

Viele Menschen, die als Geflüchtete nach Hamburg kommen, wollen und werden hier bleiben. Egal ob Hamburg nur Zwischenstation oder neue Heimat ist, Geflüchtete werden in größerer Zahl als bisher mit uns leben, hier zur Schule oder zur Arbeit gehen und sie werden Hamburg verändern. Die Veränderung ist im vollen Gange. Viele betrachten diese Veränderung mit Sorge. Viele Sorgen können wir nachvollziehen, angesichts der vielen Probleme im Alltag und der ungeklärten Fragen.

Um diese Sorgen, Probleme und Fragen lösen zu können, brauchen wir eine Vorstellung von der Zukunft. Und für die Zukunft sehen wir geflüchtete Menschen nicht mehr als Flüchtlinge. Wir können die Ingenieurin und den Lehrer in ihnen sehen, die uns neue Perspektiven eröffnen und mit ihrem Können und ihrer Erfahrung bereichern. Wir können die Kinder als Kinder sehen, denen noch ihr ganzes Leben bevorsteht, denen wir eine möglichst gute Ausbildung ermöglichen wollen. Wir sehen Menschen mit Geschichte, Menschen die jetzt hier leben wie Du und ich, und in dem Moment wenn klar ist, dass sie bleiben, auch Hamburgerinnen und Hamburger sein können, ohne dafür ihre Identität aufgeben zu müssen. Wir sehen eine weitere große Facette im internationalen Bevölkerungswachstum unserer Stadt, dem Tor zur Welt und dem Tor für die Welt.

Dieses internationale Bevölkerungswachstum wird für Hamburg nur dann eine Erfolgsgeschichte, wenn alle gemeinsam Verantwortung übernehmen. Das gilt für die Schaffung von Wohnraum ebenso wie für die Integration in alle anderen Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Integration muss von der Gesellschaft und den Geflüchteten ausgehen. Integration fordert die Anerkennung der hier geltenden Normen ohne Abstriche. Das Grundgesetz ist unsere gemeinsame Leitlinie. Die Gleichstellung der Geschlechter, die sexuelle Selbstbestimmung und die Religionsfreiheit müssen gemeinsames Grundprinzip sein.

Integration setzt Wohnraum voraus. Als Grüne haben wir in den vergangenen Jahren immer für dezentrale Unterbringung gestritten und uns für menschenwürdige Bedingungen eingesetzt. Wir sehen schon seit Jahren die Notwendigkeit umzusteuern: nicht Unterbringung ist das Ziel, sondern Wohnraum.

Im vergangenen Jahr hat Hamburg an vielen Stellen eine kleinteilige Unterbringung geschaffen. 74 von 125 Unterkünften sind kleiner als 250 Plätze. Im Bereich der Folgeunterbringung sind sogar mehr als 70 Prozent der Unterkünfte (68 von 92) auf unter 250 Personen ausgelegt. Dies hat leider nicht gereicht, um in der sehr kurzen Zeit sehr viele angemessene Plätze zu schaffen. Darum hat Hamburg auch auf größere Unterkünfte gesetzt. Dies war der akuten Lage der Stadt mit mehreren tausend unterzubringenden Personen monatlich geschuldet. Es bleibt Baustein unserer Politik, die Flüchtlinge dezentraler unterzubringen. Einzelne Unterkünfte mit mehreren tausend Geflüchteten dürfen nur für eine kurze Übergangszeit eingerichtet werden. Hierzu wollen wir die Flüchtlinge gleichmäßiger über die Stadt verteilen, das Wohnungsbauprogramm ausbauen und auch die Größe der Unterkünfte wieder reduzieren. Wir haben uns dafür eingesetzt, dass die Bezirke stärker einbezogen werden und mehr Gestaltungsmöglichkeiten bei der Aufgabe, Unterkünfte und Wohnraum für Geflüchtete zu schaffen, bekommen. Wir wollen auch künftig dafür streiten, dass die Bezirke die Entwicklung ihrer Quartiere sozial und nachhaltig gestalten können. Zudem wollen wir ein Instrument entwickeln, um die Initiativen, aber auch die Stadtgesellschaft konkret an der Flächensuche zu beteiligen, um diese transparenter und nachvollziehbarer zu gestalten. Die Sorge von Anwohner*innen, dass ihr Stadtteil mit der Integration einer großen Anzahl von Geflüchteten überfordert sein könnte, sehen wir und sie beschäftigt uns. Wir sind vor Ort, wir kennen die Probleme, die Sorgen und Nöte, die Flächen, die Anbindung und Versorgungsstrukturen. Als Grüne ist es uns ein Herzensanliegen, gute Rahmenbedingungen für Integration zu schaffen und selbst mit anzupacken. Zu diesen guten Rahmenbedingungen gehört auch zuvorderst die Schaffung von Wohnraum. Denn Integration wird erschwert durch ein Leben in Zelten, Containern und Baumärkten. Hier kann man keine Freunde hin einladen, erlebtes Leid verarbeiten oder eine unbeschwerte Kindheit verbringen. Damit Geflüchtete auch die Rahmenbedingungen haben, um sich zu integrieren, müssen ihre existentiellen Sorgen aufgelöst werden. In Hamburg leben zudem tausende Menschen seit Jahren, teilweise seit Jahrzehnten in der öffentlichen Unterbringung, weil es Ihnen trotz gesichertem Aufenthaltsstatus, mit guten Deutschkenntnissen und Arbeit noch nicht gelungen ist, auf dem Hamburger Markt eine normale Wohnung zu bekommen. Diese Menschen sollen zuerst in die neuen Wohnunterkünfte einziehen können. Dadurch werden wiederum Plätze frei, sodass endlich Provisorien wie Baumärkte und Zelte der Vergangenheit angehören könnten.

Viele Hamburger*innen beklagen sich zurecht darüber, dass auch sie keinen bezahlbaren Wohnraum finden. Wir müssen daher noch mehr Wohnungen bauen als in den vergangenen Jahren. Damit dieses Vorhaben realisiert werden kann, brauchen wir jedoch zunächst Flächen für die ein entsprechendes Baurecht gilt. Dieses herzustellen dauert aufgrund der rechtlichen Verfahren einige Jahre. Beschleunigen können wir den Wohnungsbau kurzfristig nur über eine Regelung im Baugesetzbuch, die uns erlaubt zum Zweck der Unterbringung von Geflüchteten auch ohne bestehendes Baurecht zu bauen. Wir Grüne sehen das als Chance, um mehr bezahlbaren Wohnraum für alle Hamburgerinnen und Hamburger zu schaffen. Dabei wollen wir nach Möglichkeit Standorte entwickeln, die sich in bestehende Quartiere integrieren. Sollte dies nicht sofort möglich sein, wollen wir dafür sorgen, dass diese Standorte frühzeitig heterogen belegt werden. Dabei wollen wir die Bürgerinformation und -beteiligung verbessern. Sobald die rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind, sollen in diese Wohnungen auch den Hamburger*innen zur Verfügung stehen. Damit können mittelfristig, gemischte und attraktive Quartiere entstehen.

Auch angesichts der Notwendigkeit, zusätzlichen Wohnraum zu schaffen, muss in der Stadtentwicklung weiterhin der Vorrang der Innenverdichtung gelten. Aller Voraussicht nach wird sich der zusätzliche Flächenbedarf damit aber nicht voll befriedigen lassen. Der Verlust von Freiflächen durch den Wohnungsbau bringt Natur und Grün in unserer Stadt unter Druck. Flächen, die für den Naturhaushalt, die Artenvielfalt und das Stadtklima, für die Erholung und die Freizeitaktivitäten der Bevölkerung und nicht zuletzt für das Bild Hamburgs als grüne Stadt wichtige Funktionen erfüllen, gehen verloren: Das Naturkapital unserer Stadt schrumpft. Gleichzeitig richten sich auf die knapper werdenden Freiräume steigende Nutzungsansprüche einer wachsenden Bevölkerung und die ökologische Bedeutung der Grünflächen, z.B. als Kaltluftschneisen, steigt weiter an.

Kompensieren lassen sich die Verluste an Naturkapital nur durch Qualitätssteigerungen auf den verbleibenden Flächen. Solche Qualitätssteigerungen erfordern kontinuierlichen Einsatz, z.B. durch bessere Pflege der Naturschutzgebiete und des Biotopverbunds oder die nutzungsgerechte Ausstattung und Unterhaltung der Grünanlagen. Darum muss für diese Aufgaben ein dauerhafter Finanzierungsmechanismus etabliert werden. Mit der Umwandlung von Freiflächen in Bauland geht einerseits Naturkapital verloren, andererseits vervielfachen sich die Grundstückswerte oft. Es bietet sich daher an, die Aufwendungen für den Erhalt des Naturkapitals an den Zuwachs der Bodenwerte zu knüpfen. Der Ertrag aus diesem Finanzierungsmechanismus soll der Aufwertung von unter stärkeren Nutzungsdruck geratenden Flächen (Schutzgebiete, Flächen des Biotopverbunds, Grün- und Erholungsanlagen) und der Sicherung ihrer Funktionsfähigkeit sowie Flächenankäufen zur Arrondierung des Biotopverbunds, des Grünen Netzes und der Landschaftsachsen zugutekommen.

Mit einem 25-Punkte-Paket der Regierungsfraktionen, dass von Freiflächen, Stärkung der Kinder- und Jugendarbeit, über Bürgerbeteiligung, Stärkung der Bezirke, Sicherheitsaspekte, Schule, bis hin zur Verkehrsanbindung und Arbeit und Ausbildung, viele wichtige Bereiche anspricht, wollen wir zeigen, dass wir wissen, wie schwer der Weg ist und dass die Politik die Menschen damit nicht alleine lässt. Wir setzen uns deswegen dafür ein, bis zu 1 Mio. Euro/Bezirk für die zu erwartenden Integrationsleistungen bereit stellen. Langfristig wollen wir auch die Mittel und das Personal für die bezirkliche Grünpflege erhöhen, um die von vielen Menschen erlebte Stadtnatur in einen besseren Zustand zu versetzen. Wir wollen zudem die soziale Infrastruktur stärken. Wir sehen die große Herausforderung und die Risiken bei diesem Vorhaben. Doch wir glauben an die Integrationskraft und an die Weltoffenheit der Hamburger*innen.

Integration setzt Verständigung voraus. Wir setzen uns für ausreichende und kostenlose Sprach- und Integrationskurse mit Zugang für alle ein – unabhängig vom Status. Wir lehnen es ab, die Teilnahme vom Herkunftsland abhängig zu machen. Diese erzeugt und verschärft Spannungen zwischen Asylbewerber*innen und schafft Integrationshindernisse für viele, die auf Dauer in Deutschland bleiben werden.

Integration setzt Zugang zu Arbeit und Qualifizierung voraus. Wir brauchen daher leichtere Zugänge zu Qualifikationsmöglichkeiten, zu Deutschkursen, zum Nachholen von Schulabschlüssen, zur Fortsetzung des Studiums, zur Berufsausbildung, zur Anerkennung von Abschlüssen. Hamburg ist eine wirtschaftlich starke Stadt und hat eine große Nachfrage vor allem nach gut ausgebildeten Arbeitskräften. Die starke Zuwanderung ist eine Chance diese Wirtschaftskraft zu erhalten und auszubauen, wenn die Geflüchteten Zugang zum hiesigen Arbeitsmarkt finden. Ohne Zuwanderung würde das Erwerbspersonenpotenzial in Deutschland bis 2050 um rund ein Drittel sinken. Voraussetzung dafür ist der Abbau von Hürden bei der Arbeitsaufnahme wie z.B. der Wegfall der Vorrangprüfung bei Geflüchteten mit guter Bleibeperspektive und die sichere Bleibeperspektive während der Berufsausbildung und anschließender Beschäftigung. Hamburg geht mit dem Projekt „Work and integration for refugees“ innovative Wege. Hier kooperieren Behörden, Jobcenter team.arbeit.hamburg und die Agentur für Arbeit mit freien Trägern, die viel Erfahrung in der Integration von Geflüchteten am Arbeitsmarkt haben. Qualifikationen werden schneller erfasst, Geflüchteten werden gangbare Wege in Ausbildung und Arbeit aufgeschlossen. Doch im Projekt wird auch deutlich: Die Voraussetzungen für eine gelungene Arbeitsmarktintegration sind noch ausbaubar. Zur Finanzierung nachhaltig qualifizierender Arbeitsmarktmaßnahmen für Flüchtlinge reichen die Mittel im Eingliederungstitel bisher nicht aus. Und die rechtlichen Vorgaben und Hürden auf Bundesebene sind im Alltag ein oft noch undurchdringliches Dickicht, das Zugänge zu Arbeit und Qualifizierung behindert statt fördert.

Integration setzt klare und verlässliche Rahmenbedingungen voraus. Die große Koalition im Bund gefährdet mit ihrem derzeitigen Aktionismus Integration statt sie zu fördern. Wer vierteljährlich Gesetzesnovellen zum immer wieder gleichen Thema durch die Parlamente jagt, schafft nicht Sicherheit sondern befördert Unsicherheit. Wir Grüne sehen unsere Verantwortung als Regierungspartei. Wir wollen aktiv daran mitwirken, mit den demokratischen Parteien gemeinsam dafür zu sorgen, dass das Grundrecht auf Asyl erhalten bleibt. Wir sehen auch die gemeinsame Herausforderung, dem aufkeimendem Rechtspopulismus und Rechtsextremismus entschieden entgegen zu treten. Damit uns das gelingt, wollen wir die besten Voraussetzungen für eine gelingende Integration schaffen und halten an unseren humanitären Grundwerten fest. Mit dieser Grundhaltung sind wir jederzeit bereit für ernsthafte Verhandlungen. Das ohne grüne Beteiligung verhandelte Asylpaket II sowie die in einem getrennten Gesetzgebungsverfahren angestrebte Ausweitung der sicheren Herkunftsländer der Großen Koalition lehnen wir in der vorliegenden Form hinsichtlich folgender Punkte ab:

1. Wir sehen in Marokko, Algerien und Tunesien keine sicheren Herkunftsstaaten. In Artikel 16a Absatz 3 des Grundgesetzes heißt es: „Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet.“ In dem vom Wirtschaftsmagazin „The Economist“ berechneten Demokratieindex von 2014 werden Marokko und Algerien mit einer Punktzahl von 4,0 bzw. 3,88 als autoritäre Regime eingestuft (zum Vergleich: Deutschland liegt bei 8,64 Punkten, Nordkorea bei 1,08). In beiden Ländern sind die Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit stark eingeschränkt. Die Presse wird in beiden Ländern als nicht frei eingestuft. In Marokko werden immer wieder Journalist*innen unter dem Vorwurf der „Anstiftung zum Terrorismus“ inhaftiert. In Algerien wurde ein kritischer Fernsehsender geschlossen. Auch in Tunesien wurden Oppositionelle und Journalist*innen zu Haftstrafen verurteilt, weil sie den Staat beleidigt oder die öffentliche Moral verletzt haben sollen. Aus Marokko und Tunesien gibt es immer wieder Berichte über Folter. „Gleichgeschlechtliche Handlungen“, also das Ausleben von Homosexualität, werden mit drei Jahren Haft bestraft. Damit ist die Definition des „sicheren“ Herkunftsstaates weder rechtlich noch moralisch erfüllt.

2. Die Einschränkung des Familiennachzuges nimmt den Tod von Menschen in Kauf und erschwert obendrein die Integration. Durch die Aussetzung des Familiennachzugs für zwei Jahre können alle so genannten subsidiär Schutzbedürftigen ihre Familienmitglieder nicht mehr auf sicherem und direktem Wege nachholen. Das schränkt eine der wenigen legalen und sicheren Fluchtmöglichkeiten noch weiter ein. Insbesondere Frauen, Kinder, ältere Menschen und Menschen mit Behinderung werden vor die Wahl gestellt, entweder in einem Land zu bleiben, in dem sie sich in Lebensgefahr befinden, oder sich auf lebensgefährliche Fluchtrouten zu begeben. In beiden Fällen wird der Tod dieser Personen in Kauf genommen. Weitere Tragödien sind somit vorprogrammiert. Die Regelung, dass selbst unbegleitete minderjährige Asylsuchende keine Familienangehörigen nachholen dürfen, verstößt obendrein gegen internationales Recht. Diese Entscheidung sendet außerdem genau das falsche Signal für die Integration. Alles dafür zu tun, dass die Geflüchteten hier ohne ihre Familie und auf sich alleine gestellt sind und sich nicht wohl und willkommen fühlen, hilft sicherlich niemandem, sich hier ein Leben aufzubauen.

3. Geflüchtete werden entrechtet. Bestimmte Geflüchtetengruppen sollen in „besonderen Aufnahmeeinrichtungen“ untergebracht werden. Ihre Asylanträge werden in einem Schnellverfahren innerhalb von einer Woche bearbeitet, damit sie nach drei Wochen abgeschoben werden können. Diese Unterkünfte liegen fernab der Ballungsgebiete, ohne adäquaten Zugang zu unabhängiger Rechtsberatung und effektiver Vertretung durch Anwält*innen. Faire Verfahren und Gleichheit vor dem Gesetz sind dadurch in keinster Weise mehr gewährleistet. Aufgrund der Bestimmung, dass auch Geflüchtete ohne Papiere diesen Schnellverfahren unterzogen werden können, betrifft das einen Großteil der Geflüchteten. Denn wer verfolgt wird und untertauchen muss oder aus einem Kriegsgebiet kommt, kann meist keine Papiere mitnehmen. Auch die Abschiebung kranker, und insbesondere traumatisierter Geflüchteter soll erleichtert werden. Nach Ansicht der Bundesregierung sind posttraumatische Belastungsstörungen kein Abschiebungshindernis. Das ist besonders angesichts der Tatsache, dass sich viele Menschen in Abschiebehaft das Leben nehmen, weil sie diese Situation so belastet, geradezu zynisch.

In der Debatte um die Flüchtlingspolitik kann keine der Parteien abschließende Antworten geben. Die weitere Entwicklung wird immer – auch schwierige – Lösungen erfordern. Für uns Grüne ist klar, dass wir unser politisches Gewicht dafür nutzen werden, um Menschen, die aus Not fliehen beizustehen und eine möglichst zügige Integration zu fördern. Hierfür werden wir –wie in der Vergangenheit – bestehende Verhandlungsspielräume nutzen. Der Landesvorstand wird – wie in der Vergangenheit – bei wichtigen Weichenstellungen eine Entscheidung der Landesmitgliederversammlung oder des Landesausschusses herbeiführen.

Wir benötigen keinen Aktionismus gegen Geflüchtete, sondern zielstrebiges Handeln bei der Bekämpfung von Fluchtursachen. Deutschland und Hamburg müssen zu Ihrer Mitverantwortung durch Waffenexporte und Billigimporte stehen. Wir wollen die Fluchtgründe und damit auch die Zahl der Geflüchteten Menschen reduzieren. Das bedeutet vor allem, dass wir das World Food Programme und damit die aufnehmenden Staaten rund um Syrien bei der Versorgung von Geflüchteten unterstützen müssen. Das gilt aber auch dafür, dass wir unsere Rolle in der Welt überdenken müssen. In einem wichtigen Punkt müssen wir sie auch verändern: Wir müssen aufhören, Waffen in Krisenregionen zu liefern.

Die Gestaltung einer gemeinsamen menschenrechtsbasierten Flüchtlingspolitik ist entscheidend für die Zukunft Europas Die europäische Union steht vor einer der größten Herausforderungen ihrer Geschichte. Zu lange haben die Mitgliedsstaaten die Augen davor verschlossen, welche Dramen sich an ihren Außengrenzen abspielen. Die unzähligen Toten im Mittelmeer haben nicht zu einem Umdenken in der Flüchtlingspolitik geführt. Das Dublin-System ist schon lange gescheitert, die Bundesregierung erkennt das erst jetzt und sucht verzweifelt nach Lösungen. Die Antwort auf die dringendsten Fragen kann nur mehr Europa heißen und nicht weniger. Statt über die Schließung von Grenzen zu reden, brauchen wir Ideen dafür, wie eine Flüchtlingspolitik nach Dublin aussehen kann. Die dauerhafte Schließung von Grenzen, bedeutet de facto das Ende des Schengener Abkommens, das dürfen wir nicht zulassen.

Die EU muss mehr Mitspracherecht in Sachen Flüchtlingspolitik in den Mitgliedstaaten erhalten. Es braucht daher europäische Erstaufnahmeeinrichtungen an den EU Außengrenzen zur Identifizierung, Registrierung und Weiterverteilung, sowie Notunterkünfte unter Leitung der EU und entlang gemeinsamer europäischer humanitärer Standards, die überwacht und einklagbar sind. Damit einhergehend muss die Errichtung eines Verteilungsschlüssels der die Kriterien der EU Kommission (Bevölkerungsgröße, Höhe des BIP, Anzahl der Asylanträge in den letzten 5 Jahren, Arbeitslosenquote) sowie Interessen und Integrationschancen der Geflüchteten (soziale, familiäre, kulturelle Bindung, Sprachkenntnissen etc.) und individuelle Präferenzen von Flüchtlingen berücksichtigt, verbindlich werden. Die Mitgliedstaaten müssen ihre gemachten Zusagen, nämlich die Aufnahme von 160.000 Menschen aus den Brennpunktländern umzusiedeln, endlich zügig umsetzen.

Wir fordern auch, dass die Mitgliedstaaten die EU-Grundrechte-Agentur eng beim Betrieb der Erstaufnahmeeinrichtungen einbindet. Sie soll das Verfahren an den Registrierzentren und Notunterkünften überwachen. Eine gemeinsame Flüchtlingspolitik in Europa setzt voraus, dass in allen Mitgliedsstaaten faire Asylverfahren nach EU-weiten Standards mit annähernd gleichen Anerkennungschancen geschaffen werden durch eine umfängliche und harmonisierte Umsetzung der Asylverfahrens-Richtlinie in allen Mitgliedstaaten. Entsprechend müssen von der EU Mindeststandards für den Zugang zu Gesundheitsleistungen, zu psycho-sozialer Betreuung, zu einer existenzsichernden Mindestsicherung, zu Integrationsmaßnahmen und zum Arbeitsmarkt festgelegt werden. Wenn die Kommission zu der Einschätzung kommt, dass ein Mitgliedsstaat nicht ausreichend handlungsfähig ist, müssen die EU und ihre Agenturen selbst tätig werden, um sicherzustellen, dass Registrierung und Identifizierung nach hohen gemeinsamen europäischen Standards erfolgen. Für den Souveränitätsverzicht erhielten die Mitgliedstaaten faktisch durch die europäische Kostenübernahme eine erhebliche finanzielle Entlastung aus Gemeinschaftsmitteln. Für besondere Krisensituationen muss es einen dauerhaften europäischen Krisenmechanismus zur Unterstützung der nationalen Asylsysteme im Bereich der Unterbringung geben. In Mitgliedsstaaten, die sich letztlich nicht an einem europäischen Verteilungsschlüssel beteiligen wollen, muss die Europäische Union zivilgesellschaftliche Akteure, die sich in der Flüchtlingsarbeit engagieren, stärker finanziell unterstützen (z.B. aus dem Europäischer Flüchtlingsfonds EFF).

Die EU-Mitgliedstaaten sollten im Rahmen des UNHCR-Resettlements mehr Menschen aufnehmen und mehr für die globale Verantwortung eintreten, etwa auch mit Blick auf die USA und Kanada. Zur Stärkung der legalen Einreise fordern wir die Einführung eines humanitären Visums sowie den Ausbau der Möglichkeit von Botschaftsverfahren analog zu den bestehenden Regelungen für Menschenrechts-Verteidiger*innen.

Wir wollen, dass kein Mensch mehr vor Krieg, Verfolgung, Vertreibung oder Hunger fliehen muss. Nur mit einer starken demokratischen Europäischen Union und einem gemeinsamen Vorgehen bei der Bekämpfung der Fluchtursachen sowie einem gemeinsamen und solidarischen Umgang mit Geflüchteten innerhalb der Staatengemeinschaft, wird sich die Lage verbessern. Wir appellieren an die Regierungen der Staaten der Europäischen Union, sich gemeinsam dieser Herausforderung und Chance zu stellen.