LAG Soziales und Gesundheit: Für eine entschlossene, sozial ausgewogene und gut kommunizierte Eindämmung der Corona-Pandemie

Wir sprechen uns dafür aus, dass

1. wirksame Maßnahmen ergriffen werden, um die Infektionszahlen deutlich unter 50 / 100.000 Einwohner pro 7 Tage zu senken. Die am 21.04.21 im Bundestag beschlossene Änderung des Infektionsschutzgesetzes („Bundesnotbremse“) halten wir für nicht ausreichend, um die dritte Welle zu brechen und die Infektionszahlen schnell und nachhaltig zu senken. Ein wirksamer Lockdown muss alle Teile der nicht systemrelevanten und/oder existenzsichernden Wirtschaft miteinbeziehen. Momentan ist die Verteilung der Einschränkungen sozial unausgewogen, mit erheblichen Einschränkungen des privaten Bereichs und weniger starken Einschränkungen der allermeisten Wirtschaftszweige. Wir fordern zusätzlich:

  • Eine verbindliche und konsequente Umsetzung der Homeoffice-Pflicht; dadurch auch Vermeidung von Fahrten zur Arbeit (ÖPNV)
  • Durchsetzung der Maskenpflicht am Arbeitsplatz und regelmäßige verpflichtende Testungen für alle Mitarbeiter*innen (mindestens 2-mal wöchentlich)
  • Kontrollen und Sanktionen bzw. Bußgelder für Arbeitgeber*innen bei Nichteinhaltung,
  • Meldemöglichkeiten für diesbezügliche Probleme bekannter machen (Arbeitsschutztelefon, Anlaufstelle Perspektive Arbeit und Gesundheit [PAG])

2. die Pandemie-Kommunikation verbessert wird. Es muss eine wirksame Strategie entwickelt werden, um allen in Hamburg lebenden Menschen die geltenden Regeln nahezubringen und verständlich zu machen. Dies sollte möglichst täglich, mindestens mehrmals die Woche erfolgen (gern durch Radio, NRD Info o.ä.); idealerweise mit der Möglichkeit, Kommentare oder Fragen zu schicken. Am besten könnte dies von Mitgliedern des Hamburger Senats oder durch Bürgerschaftsabgeordnete wahrgenommen werden.

Folgende Themen sollten angesprochen werden: 1. aktueller Stand der Pandemie; 2. Was ist erlaubt? / Was geht trotz der Pandemie; 3. gute Beispiele aus den Bezirken. Dabei muss der Fokus auf dem Positiven liegen. Wir möchten die Menschen ermutigen, sich über kreative Lösungsvorschläge auszutauschen; möchten nicht nur Verbote aussprechen, sondern auch benennen, wie risikoarmer Kontakt aussehen kann (Empowerment). Auch Unsicherheiten und Unzulänglichkeiten müssen offen kommuniziert werden.

Bei der Entwicklung einer geeigneten Kommunikationsstrategie sollten relevante Stakeholder (bspw. Gemeinden, Vereine) miteinbezogen werden. Pandemiekommunikation muss in mehreren Sprachen erfolgen und den verschiedenen Zielgruppen angepasst werden (z.B. Menschen mit Migrationshintergrund, Menschen mit niedrigem Bildungsabschluss, Menschen mit Behinderung). Informationen sollten auch in einfacher Sprache oder als Piktogramm zur Verfügung stehen. Dabei kann auch auf bereits entwickelte Materialien zurückgegriffen werden (z.B. BZgA, Deutsches Netzwerk Gesundheitskompetenz oder Harding-Zentrum für Risikokompetenz).

3. Präventionsbemühungen in Stadtteilen mit niedrigem sozio-ökonomischem Status verstärkt werden, um das erhöhte Erkrankungsrisiko auszugleichen. Dabei wollen wir Menschen erreichen, die von Ausbruchsgeschehen besonders betroffen sein können. Geeignete Maßnahmen wären bspw.

  • häufigeres Testen durch mobile Testzentren vor Ort; in allen Stadtteilen für ausreichende Testmöglichkeiten sorgen
  • Priorisierung der Impfung in Stadtteilen mit hoher Inzidenz (z.B. indem die Hausärzte in diesen Stadtteilen mehr Impfstoffdosen erhalten oder zusätzliche Anlaufstellen / Impfmöglichkeiten im Quartier geschaffen werden)
  • Unterstützung von Kindern im Homeschooling, bspw. durch Lehramts-/Pädagogik-Studierende
  • Aufklärungskampagnen, wie sie bspw. in Harburg begonnen wurden

4. Konzepte zur Corona-gerechten Nutzung des öffentlichen Raums entwickelt und kommuniziert werden. Dies bedeutet, Aktivitäten draußen stärker zu unterstützen und zu fördern; zum einen auf bestehenden Grünanlagen, öffentlichen Plätzen und Sportanlagen, zum anderen auf zusätzlichen freien Räumen (bspw. ungenutzten Parkplätzen, über ein Sondernutzungsrecht). Hier könnten Lern- und Bewegungsangebote für Erwachsene und Kinder geschaffen werden.

5. das Infektionsrisiko im ÖPNV minimiert wird: Umsetzung der im IfSG geforderten Begrenzung der maximalen Fahrgastzahl plus verbesserte Taktung. Parallel müssen die Anlässe für Fahrten reduziert werden (siehe unter 1.)

6. Menschen in Quarantäne besser unterstützt werden. Gerade für Menschen in beengten Wohnverhältnissen ist eine Quarantäne sehr belastend. Meist gelingt es nicht, sich von anderen Familienmitgliedern zu separieren, sodass häufig die ganze Familie erkrankt. Hier könnten Isolationshotels eine Möglichkeit sein. Bestehende Hilfen für alte und alleinstehende Menschen müssen besser kommuniziert werden.

7. berufstätige Menschen die Möglichkeit haben, sich von der Arbeit freistellen zu lassen, um ihre Kinder unter 12 Jahren ODER andere unterstützungsbedürftige Angehörige zu betreuen. Hierzu ist selbst die erweiterte Regelung der Kinderkrankentage nicht ausreichend. Für untere Einkommensgruppen sind 70% des Gehalts zu wenig; hier fordern wir einen vollen Lohnausgleich. Auch muss für einen Kündigungsschutz gesorgt werden.

Begründungen:

Zu 1.

Eine dauerhafte und starke Senkung der Infektionszahlen ist die Voraussetzung für eine Beendigung des Lockdowns und für Öffnungen. Hohe Infektionszahlen bedeuten ein hohes Risiko eines erneuten exponentiellen Anstiegs mit einer hohen Anzahl von intensivpflichtigen Patienten und in Folge auch von Corona-Toten (denn immer noch sterben ca. 30-50% der invasiv beatmeten Patienten). Intensivmediziner*innen und Pflegekräfte arbeiten bereits seit Monaten an ihrer Belastungsgrenze. Auch für die Wirtschaft ist ein kurzer und wirkungsvoller Lockdown besser als ein „weicher“ Lockdown über viele Monate hinweg. Dies zeigen entsprechende Modellierungen deutlich.

Obwohl im privaten Bereich seit Monaten harte Beschränkungen gelten, finden am Arbeitsplatz (Betriebe, Büros, Produktion) weiterhin viele Kontakte, teilweise auch ungeschützt, statt. Momentan arbeiten nur etwa 24% aller Beschäftigten vom Homeoffice aus. Während Kulturschaffende seit vielen Monaten nicht mehr arbeiten dürfen, geht die Produktion in vielen Betrieben nahezu normal weiter; auch Handwerk und Baugewerbe arbeiten weiter.

Zu 2.

Ständig neue und/oder veränderte Verordnungen sind schwer zu durchschauen und ermüden die meisten Menschen. Es braucht eine Kommunikation, die die Menschen einbezieht und mitnimmt; wie es bspw. Jacinda Ardern in Neuseeland gelungen ist.

Zu 3.

Menschen mit geringerem Sozialstatus sind stärker gefährdet, an COVID-19 zu erkranken und zu sterben; hier müssen stärkere Präventionsbemühungen unternommen werden. Zugleich sind auch die Beschränkungen für Menschen mit geringem Einkommen, in weniger attraktiven Wohnlagen (z.B. beengte Wohnverhältnisse, keine Grünanlagen, Lärmbelastung) und/oder in prekären Beschäftigungsverhältnissen schwieriger umzusetzen und einzuhalten.

Zu 4.

Im Freien ist die Ansteckungsgefahr wesentlich geringer. Gerade Menschen in beengten Wohnverhältnissen, insbesondere aber Kinder und Jugendliche, brauchen Möglichkeiten, sich zu bewegen. Die kommende wärmere Jahreszeit kann genutzt werden, um Bildungsangebote draußen zu schaffen.

Quellen:

NDR-Podcast “Corona-Virus Update” mit Christian Drosten und Sandra Ciesek

Thema Modellierungen / niedrige Infektionszahlen (Viola Priesemann et al.): https://www.containcovid-pan.eu/statement/lowNumbers

Einschätzung von z.B. Dirk Brockmann (Physiker) oder Melanie Brinkmann (Virologin):

https://www.deutschlandfunk.de/steigende-infektions-und-totenzahlen-alles-rausholen-was.676.de.html?dram:article_id=495769
https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/braunschweig_harz_goettingen/Virologin-Brinkmann-Mit-diesem-Kurs-haben-wir-keine-Chance,brinkmann236.html

Quote Homeoffice: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1204173/umfrage/befragung-zur-homeoffice-nutzung-in-der-corona-pandemie/

Situation auf Intensivstationen: https://www.divi.de/presse/pressemeldungen/pm-mehr-patienten-und-weniger-betten-die-zeit-draengt

Gesundheitskommunikation:

Corona-Tote und Sozialstatus: https://www.rki.de/DE/Content/GesundAZ/S/Sozialer_Status_Ungleichheit/Faktenblatt_COVID-19-Sterblichkeit.html

Hohe Inzidenzen in Hamburger Stadtteilen mit niedrigem sozioökonomischem Status: https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Corona-Zahlen-Erhebliche-Unterschiede-in-Hamburgs-Stadtteilen,stadtteile628.html

Ungleich verteilte Testzentren: https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/hamburg_journal/Corona-Testzentren-sind-in-der-Stadt-ungleich-verteilt,hamj108300.html

Covid-19 Ansteckung über Aerosolpartikel: Vergleichende Bewertung von Innenräumen hinsichtlich des situationsbedingten R-Wertes.
https://depositonce.tu-berlin.de/handle/11303/12578.2