Kulturräume Integrierte Stadtentwicklungspolitik Juni2018

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Kultur-integrierte Stadt(teil)entwicklungspolitik der GRÜNEN in Hamburg

Nicht erst seit der Ablehnung des Olympiareferendums, der harschen Kritik zum G20-Gipfel und dem Gigantismus des Elbtowers existiert eine öffentliche Debatte über Hamburgs Ambitionen für einen Weltstadtstatus und darüber, wieviel und welches Wachstum sich die Bürgerinnen und Bürger für Ihre Stadt wünschen.

Eine Mehrheit der Bürger*innen in Hamburg bewertet das enorme Wachstum der letzten Jahre zumindest ambivalent bis skeptisch. Die Begleiterscheinungen dieses Wachstumsphänomens sind vielfältig: ein nicht endender Anstieg der Wohnkosten trotz massiven Wohnungsbaus, Versiegelung von Grünflächen und Verdrängung von gewachsenen Kulturräumen. Darüber hinaus führen touristische Großevents und damit verbundene Umweltverschmutzung, Lärm und Verkehrsbelastungen zu einem gefühlten Verlust von Lebensqualität.

Der Verteilungskampf um freie Räume, Flächen und deren Nutzungen ist durch die zunehmende Nachverdichtung voll entbrannt. Unterschiedlichste Sektoren konkurrieren um unbebaute Flächen, Leerstände und Umnutzungsmöglichkeiten von Gebäuden in der Stadt. Der Kultursektor hat, auch bedingt durch seine Diversität und geringen Ressourcen, häufig Schwierigkeiten, sich im Verteilungskampf erfolgreich Gehör zu verschaffen und durchzusetzen.

Stadtteilkulturprojekte sind bedroht, Musikclubs schließen oder werden verdrängt. Darüber hinaus gibt einen Mangel an Probenräumen und Künstlerunterbringungen. Kleine Kunstgalerien halten sich aufgrund der Mieten meist nur wenige Monate. Diese kulturellen Räume bilden jedoch einen Teil der DNA dieser Stadt. Sie bieten häufig gemeinwohlorientiert Begegnungs- und Freiräume, sind Treffpunkte für kreativen, gestaltenden Austausch von Menschen und leisten wichtige Beiträge für die Identifikation und Integrationskräfte in und mit einem Stadtteil. Darüber hinaus steigern sie mit ihren Angeboten die Lebensqualität für die Bürger*Innen und die städtische Attraktivität für Gäste.

Neben sozialen und ökologischen Aspekten ist es auch urgrüne DNA, sich für kulturelle Zielsetzungen und den Erhalt und die Entwicklung von kulturellen Freiräumen einzusetzen. Zur Infrastruktur eines lebenswerten Stadtviertels gehören neben ÖPNV, Schulen, Kitas, Einkaufsmöglichkeiten auch Orte für Begegnungen und der Kunst. Urbane Stadt(teil)entwicklung beinhaltet die Berücksichtigung von Erfordernissen kultureller (Frei)Räume, damit das städtische Wachstum mit wachsender Lebensqualität einhergeht.

Grüne Stadtentwicklung hat in der Vergangenheit vielfach positive Entwicklungen angestoßen und realisiert: Die Gründung und Etablierung der Hamburg Kreativ Gesellschaft, das Kreativquartier Oberhafen, das Gängeviertel, Viktoria-Kaserne, das Hochwasserbassin Hammerbrook und Kulturinsel Bramfeld sind nur einige Beispiele, die mit Hilfe grüner Politikansätze auf Landes- und Bezirksebene Kulturflächen- und räume schaffen und Finanzmittel bereitstellen konnten.

Doch neue Zeiten und Herausforderungen benötigen auch neue Anstrengungen und Instrumente, um das bestehende Niveau zu halten und auszubauen.

Qualitatives Wachstum unter Einbeziehung der Interessen der Kultur und durch Mitwirkung der Bürger*Innen sollte ein urgrüner Politikansatz sein, der auf das Konto bei den nächsten Bürgerschaftswahlen im Januar 2020 einzahlt. Daher fordern wir konkrete Maßnahmen, um der Kultur gegenüber dem hohen Wohnnutzungsdruck, sowie dem Vorhalten von Industrie- und Gewerbeflächen in unserer Metropole ein beförderndes Zusatzgewicht zu installieren:

Handlungsfeld: Liegenschaftspolitik

I. Räume für kulturelle Nutzungen müssen frühzeitig in die Stadtentwicklung implementiert werden: Bei Flächen, bei denen eine Hafennutzung entfällt und/oder bei neuen Stadtentwicklungs- und Quartiersprojekten (z.B. Oberbillwerder, Rothenburgsort, Kleiner Grassbrook, Trabrennbahn, Neue Mitte Altona, Diebsteich, Holstenquartier) soll jeweils eine Stellungnahme seitens der Behörde für Kultur und Medien hinsichtlich der Bedarfe und Raumoptionen eingeholt werden. Diese Form der räumlichen Kulturentwicklungsplanung ist für das jeweilige Gebiet anzupassen und soll eine Berücksichtigung der Interessen zur Errichtung und zum Betrieb von Kulturräumen/flächen von der ersten Planung bis zur Realisierung gewährleisten.

Zudem ist im Landesbetrieb Immobilienmanagement und Grundvermögen (LIG) sicherzustellen, dass eine Summe von Flächen für kulturelle Angebote (analog den Flächen für Gewerbeansiedlungen) vorzuhalten sind. Dies kann z.B. durch entsprechende Bedingungen bei Anhandgabeverfahren von Grundstücken erfolgen.

II. Wir benötigen Radarsysteme zum Schutz bestehender Kulturräume (A.) und zur Erschließung neuer Kulturräume (B):

Zu A.)

1. Errichtung und Betrieb eines Kulturkatasters zur räumlichen Erfassung der bestehenden kulturellen Vielfalt (Parameter u.a. Lage, Art der Nutzung/en, Flächengröße, Indoor/Outdoor, Programmangebote, Förderungsstatus der FHH). Diese Bestandserfassung dient auch zur Früherkennung von Problemlagen bei Ausschreibungen und zukünftigen Bauplanungen in Hinblick auf vor Ort ansässige Kulturstätten.

2. Die Einführung eines verpflichtenden Rücksichtnahmegebots in der Baunutzungsverordnung für die Bauplanungsbehörden bei Neubauvorhaben.

Zu B.)

3. Plattform zur Raumvermittlung für kulturelle Aktivitäten: Datenbank zur Darstellung der Nachfrage von Akteurs-Seite (Projektskizzen) & Flächen-Angebot für Indoor & Outdoor (von Gewerbeflächen). Dabei sollten u.a. folgende Parameter implementiert sein: Lage, Erreichbarkeit, ÖPNV, Größe, Nutzungsformen (z.B. Musikclubs, Proberäume), Dauer der geplanten Nutzung (temporär, dauerhaft). So würde eine Suche und Matchmaking (Automatisierter Abgleich zwischen Gesuchen & Angeboten) ermöglicht.

Als Vorbild kann dabei das Berliner Modell von OpenBerlin dienen: http://www.openberlin.org/

III. Nach britischem Vorbild gilt es, ein “Agent of Change”-Prinzip zu implementieren, das die Verantwortung für die Abschwächung der Auswirkungen von bestehenden lärmerzeugenden Aktivitäten oder Nutzungen auf die neu geplante lärmsensitive Nutzungen verlagert.
Bei bezirklichen
Planungsentscheidungen sollte die bestehende lärmerzeugende Nutzung sensibel berücksichtigt werden, wenn neue Projekte, insbesondere Wohngebiete, in der Nähe vorgeschlagen werden. Neue Projektentwickler sollten Lärm und andere potenzielle Belästigungen durch die Gewährleistung eines guten akustischen Designs zur Minderung und Minimierung vorhandener und potenzieller Lärmauswirkungen von bestehenden Nutzungen gewährleisten. Es gilt, die Ausarbeitung von Minderungsmaßnahmen in einem frühen Stadium der Entwurfsphase sicher zu stellen, mit notwendigen und angemessenen Vorkehrungen, die durch Planungsverpflichtungen gesichert sind. Neue lärmsensitive Projekte sollten soweit wie möglich von bestehenden lärmerzeugenden Unternehmen durch Entfernung, Abschirmung, Innenausbau, Schalldämmung und Isolierung sowie andere akustische Gestaltungsmaßnahmen getrennt werden. Die Bezirke sollten Entwicklungsvorschläge ablehnen, die nicht eindeutig aufzeigen, wie bereits vorhandene Lärmauswirkungen auf zukünftige Gebäudeplanungen gemildert und gemanagt werden.

IV. In der Vergabepolitik von städtischen Bestandsimmobilien und Grundstücken muss eine Prüfung erfolgen, ob dort Kulturräume integriert werden können. Ein Tool könnte dabei die Integrierung einer Vergabepflicht in Bebauungsplänen sein, die Erdgeschosse für gewerbliche und kulturelle Nutzungen, die den Stadtteil beleben, vorsieht. Dabei sind für kulturelle Nutzungen (nicht-gewinnmaximierend orientiert) maximale Deckel für Gewerbemieten (ca. 5 bis 10 € netto/kalt) pro Quadratmeter festzulegen.

In der Liegenschaftspolitik sind unbedingt vermehrt Instrumente wie z.B. Konzeptverfahren zur verpflichtenden Gestaltung von Bauvorhaben im Sinne kultureller Nutzungen und Erbpachtvergaben einzusetzen. In Einzelfällen ist ein städtisches Vorkaufsrecht zu prüfen, das den Ankauf von Grundstücken und Gebäuden vorsieht, um im Anschluss größere politische Handlungsspielräume zu erhalten.

V. Um mehr kulturelle Zwischennutzungen zu erzielen, sollte z.B. der Zwischennutzungsfonds aufgestockt werden und der Einsatz der Hamburg Kreativ Gesellschaft als verlässlicher Vermittler zwischen Eigentümern und Zwischenmietern ausgeweitet werden. Hierbei kann eine Datenbank hilfreich sein, die die vielfältigen Zwischennutzungsformen auflistet. Erfolgreichen Zwischennutzungen sind anhand klarer Kriterien frühzeitig Anschlussperspektiven anzubieten, Überführungsprozesse einzuleiten bzw. deren Verbleib zu prüfen.

VI. Im Aufsichtsrat der Sprinkenhof GmbH ist ein Sitz für den/die amtierende/n Kultursenator_In zu implementieren.

VII. Die integrierte Stadtteilentwicklung sollte im jährlichen Sozialmonitoring-Bericht auch ein Kapitel zum Status der Kulturräume beinhalten.

IIX. Straßenmusik gehört zum Stadtbild einer modernen und weltoffenen Groß- und Musikstadt dazu. Die Behörde für Kultur und Medien soll beauftragt werden, ein Konzept für Straßenkunst zu erstellen, das dabei helfen soll, die Störungen zu minimieren und Künstler*innen so frei wie möglich ihre Darbietungen aufführen zu lassen – bei insgesamt minimalem Verwaltungsaufwand (Online-Genehmigungsverfahren). Damit dies möglich ist, wird versucht, für ganz Hamburg einheitliche Regelungen und Informationen aufzusetzen und diese mehrsprachig zu transportieren. Eine interaktive Karte verzeichnet alle Bereiche, in denen Straßenkunst erlaubt/teilweise eingeschränkt/ganz eingeschränkt ist. Als Vorbild kann dabei das Londoner Modell dienen (http://buskinlondon.com/).

IX. Die kostengünstige Unterbringung von auswärtigen Künstlern auf Gastspielreisen bei zunehmenden Touristenströmen ist für viele Kulturproduktionen ein immer größer Kosten- und Kraftfaktor. Die kostengünstige Überlassung einer Immobilie für einen gemeinnützigen/genossenschaftlichen Träger zur preisgedämpften Vermietung an Hamburger Einrichtungen wäre ein Lösungsansatz. So könnten z.B. Teile des alten AK Altona umgenutzt werden.

Handlungsfeld: Planungstransparenz & Beteiligungsprozesse

X. Aufbauend auf einem Kulturkataster (siehe II. A. 1) könnten neben bereits genutzten Kulturflächen auch freie/ungenutzte Kulturflächen von Bestandsimmobilien- und Flächenverfügbarkeiten in einem Online-Verfahren dargestellt werden.

XI. Die positiven Erfahrungen der PlanBude (Esso-Häuser) zur Bürgerbeteiligung bei stadtteilrelevanten Investorenbauvorhaben, die gestalterische und inhaltliche Ideen sowie die Interessen der Zivilgesellschaft bündeln und transportieren, sollten Anlass dazu sein, diese Beteiligungsform zu wiederholen und gegebenenfalls zu etablieren. Hierfür gilt es entsprechend, einen Haushaltstitel zu verankern.

Hamburg, im Juni 2018