Einführung
Die zunehmende Zahl Geflüchteter in unserer Stadt stellt auch das Hamburger Bildungswesen vor große Herausforderungen, nicht nur organisatorisch, sondern auch strukturell, personell und nicht zuletzt pädagogisch. Oberstes politisches Ziel ist für uns Grüne dabei die schnelle und gute Integration, denn viele Geflüchtete werden hier bleiben und zu Mitbürger*innen und Kolleg*innen, zu Nach-bar*innen und Freund*innen werden. Aber auch die geflüchteten Kinder und Jugendlichen, die mittel-fristig wieder gehen werden, haben für ihre Zeit in Deutschland ein Grundrecht auf bestmögliche Bildung und Betreuung.
Wir werden diese Kraftanstrengung gemeinsam und erfolgreich mit den Verantwortlichen im Bil-dungswesen meistern. Leitprinzipien müssen dabei die zügige und nachhaltige, unbürokratische und kostenbewusste Planung und Organisation sein, die neben der Integration auch die Bildungsgerechtig keit und Leistungsfähigkeit als Ziele verfolgen. Von zentraler Bedeutung ist dabei der möglichst frühe Erwerb der deutschen Sprache.
Wir Grüne sind fest davon überzeugt: Das Land, das die aktuelle Flüchtlings„krise“ am besten meistert, wird langfristig das Gewinnerland sein. Bewusst formulieren wir auch deshalb hier hohe Quali-tätsstandards für die bestmögliche Bildung und Integration für geflüchtete Kinder und Jugendliche. Sie dienen uns als Leitlinien in der alltäglichen Politik. Dabei wissen wir genau, dass es heute in der Praxis oftmals bereits an dem Elementarsten wie der Registrierung von Flüchtlingen und einem festen Dach über dem Kopf sowie in den Bildungseinrichtungen und Unterkünften an Personal, Räumen und Ma-terialien fehlt. Doch kann man den ersten Schritt nur dann trittfest tun, wenn man das Fernziel deut-lich im Blick hat.
Viele Menschen in den Behörden, in den Bildungseinrichtungen und an vielen anderen Orten leisten gerade Tag für Tag Großartiges. Sie verdienen von uns Politikerinnen und Politikern nicht nur unsere volle Anerkennung, sondern auch schnelle und pragmatische Unterstützung darin, ihre Arbeit ohne unnötige Hindernisse professionell und engagiert fortzusetzen.
Mit diesem Positionspapier legen wir Leitlinien für einen Teil der Bildung, nämlich der Schule, fest. Andere Leitlinien – zu der Bildung in den Kitas, in der Hochschule wie auch im Bereich der Weiter-bildung – werden folgen.
Die 12 Leitlinien grüner Schulpolitik für Flüchtlinge
1. Frühzeitige Beratung und Begleitung
Bereits in der ZEA müssen die Erziehungsberechtigten in einer ihnen vertrauten Sprache über die Schulpflicht und die vorhandenen Bildungs-, Betreuungs- und Beratungsangebote an ihrem Standort informiert werden. Die persönliche Beratung, die auch sinnvoll durch ehrenamtliche „Formular-lots*inn*en“, „Schulmentor*inn*en“ und „Bildungsberater*innen“ ergänzt werden kann, soll dabei durch Infomaterial und einen Internetauftritt in verschiedenen Sprachen ergänzt werden.
Deshalb wirken neben der schnellen Beschulung (bzw. Betreuung in der Kita) auch allgemeine Verbesserungen in der Flüchtlingsunterbringung und die zügige Integration stabilisierend.
Die Zivilgesellschaft – von der Nachbarschaftsinitiative über den Sportverein bis zur Gemeinde – leis-tet unschätzbare Dienste bei der Integration und verdient bestmögliche staatliche Unterstützung. Hier wird das neu gegründete Flüchtlingsforum eine wichtige Rolle spielen.
2. Frühzeitige Beschulung
Menschen, die einen langen und gefährlichen Fluchtweg nach Hamburg zurückgelegt haben, benötigen ihre Zeit (und ggf. professionelle Begleitung), um diese Flucht zu verarbeiten und hier auch innerlich anzukommen. Ist ein geflüchtetes Kind bzw. ein geflüchteter Jugendlicher dann wieder bereit und fä-hig zu lernen, ergibt es keinen Sinn, dass es/er bis zu sechs Wochen oder länger auf einen Sprachkur-se warten muss. Bildungs- und Betreuungsangebote für Flüchtlinge müssen deshalb jederzeit in den ZEAs stattfinden. Das gleiche Prinzip gilt übrigens analog auch für erwachsene Flüchtlinge sowie auch kleine, noch nicht schulpflichtige Kinder, die in Kitas oder Spielgruppen häufig am schnellsten Deutsch lernen. Eine frühzeitige und durchgehende Beschulung wiederum führt dazu, dass Kinder stabilisie-rend in ihren Familien wirken können und teilweise Außenkontakte herstellen und sichern bzw. beim Dolmetschen unterstützen können.
3. Frühzeitige Feststellung von Kompetenzen und Traumata in den ZEAs
Bereits zeitnah mit der Aufnahme in der Zentralen Erstaufnahme (ZEA) müssen die Kompetenzen der Kinder und Jugendlichen erhoben werden. Hierfür sind auch personell die Voraussetzungen zu schaffen. Einheitliche Kompetenzfeststellungsverfahren sind dazu zu entwickeln bzw. bestehende Instrumente wie die 4 1/2-Jährigen-Untersuchung oder der HAVAS (Sprachstandfeststellung) anzupassen und ggf. weiterzuentwickeln.
Auch die psychischen Folgen von Flucht und Vertreibung sollten so früh wie möglich von Fachkundigen diagnostiziert und den Kindern, Jugendlichen und ihren Familien professionelle Hilfe und Unterstützung von Anfang an angeboten werden. Auch ein stabilisierendes Umfeld ist wichtig. Eltern als stabilisierende Personen sollten hier vorrangig im Fokus von Unterstützung sein; denn sie bleiben auch beim Wechsel der Einrichtung die Konstante: Sie können ihre Kinder nur dann wirklich gut begleiten, wenn auch sie ihre Erlebnisse aufarbeiten. Menschen gehen mit traumatischen Erlebnissen unterschiedlich um. Oftmals können schon neue alltagverlässliche Strukturen, das Gefühl von Sicherheit und eine sinnstiftende Betätigung entscheidend zur Bewältigung beitragen.
Angesichts der schon heute langen Wartelisten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie möchten wir eine Erhöhung der Approbationen für Psychotherapeut*inn*en überprüfen bzw. die leichtere Erteilung von Arbeitserlaubnissen für syrische, afghanische etc. Psychotherapeut*inn*en ermöglichen. Insgesamt bedarf es nicht nur des notwendigen Personals, sondern auch funktionaler Kooperationsstrukturen für diese Aufgaben.
4. Integration vor Segregation
Die Beschulung und frühkindliche Bildung direkt in den ZEAs macht Sinn, wenn das Ziel erreicht wird, dass dort Flüchtlinge nicht länger als 90 Tage verweilen. Nach dem Umzug in eine öffentlich-rechtliche Unterkunft (ÖRU) ist der Beschulung in bestehen Schulen stets vor einer separaten Be-schulung in den Unterkünften der Vorzug zu geben. Das fördert die bessere Integration in das beste-hende Bildungssystem und die geflüchteten Schüler*innen bekommen so schnell Kontakt zu Deut-schmuttersprachler*innen. Das Gleiche gilt auch für die frühkindliche Bildung in den KiTas der Um-gebung. Auch auf Seiten der Hamburger*innen beugen möglichst direkte und persönliche Kontakte Ressentiments am besten vor. Diese Arbeit sollte möglichst breit auf die Schultern vieler Schulen und KiTas verteilt werden und mit entsprechendem Fachpersonal und pädagogischen Konzepten unterstützt werden.
In enger Kooperation zwischen Betreiber, Sozialbehörde (BASFI) und Schulbehörde (BSB) muss ge-währleistet werden, dass mit Inbetriebnahme einer neuen ZEA und öffentlich-rechtlichen Unterkunft die Lerngruppen für alle Alters-und Sprachkompetenzgruppen mit Fachpersonal ausgestattet und ein-satzbereit sind.
In bestehenden Einrichtungen muss sichergestellt sein, dass die Kinder binnen 72 Stunden einer Lern-gruppe zugeteilt werden und diese nutzen, sobald sie sich von der Flucht ausreichend erholt haben. Auch muss geklärt werden, wie die Schulpflicht für geflüchtete Kinder und Jugendlichen bei Absentismus effektiv durchgesetzt werden kann. Bestehende Strukturen zur Absentismusprävention müs-sen bei entsprechender Ausstattung für diese neue Problematik weiterentwickelt werden; Maßnah-men müssen zeitnah durchgeführt werden. Bildungsberater*innen können hier als Kulturvermitt-ler*innen und Dolmetscher*innen von sehr großem Wert für alle in der und an der Bildung Beteiligten sein.
5. Dependancen vor „Flüchtlingsschulen“
Ist eine Beschulung in den öffentlich-rechtlichen Unterkünften einmal unausweichlich, dann sollten die hier entstehenden Klassen Außenstellen bestehender Schulen (und Vergleichbares gilt auch für KiTas) sein und keine neugegründeten und eigenständigen Bildungseinrichtungen. Dieses dient nicht nur ei-nem leichteren Übergang der Schüler*innen in den Hauptstandort der Schule, z. B. sobald ausrei-chende Sprachkompetenzen erworben wurden.
Auch die (vielleicht neu eingestellten) Pädagog*inn*en können so viel besser in die größeren Struktu-ren der Schule eingebunden werden und deren Know How nutzen. Wünschenswert ist dabei etwa, dass neu eingestellte Lehrkräfte nicht ausschließlich in der Flüchtlingsunterkunft eingesetzt werden, sondern auch mit Stellenanteilen in der „Mutterschule“ arbeiten und umgekehrt Lehrkräfte von dort auch in der Einrichtung arbeiten. Wenn neues Personal eingestellt und eingearbeitet wird, dann sind Lehrertandems aus einer erfahrenen und einer neuen Lehrkraft wünschenswert, um so einen praxis-nahen Wissenstransfer für Berufseinsteiger*innen zu beschleunigen. Ansonsten drohen neu einge-stellte Lehrkräfte, in neugegründeten und kleinen ausschließlich von Flüchtlingen besuchten Schulen „unterzugehen“. Der Mix von 50% Sozialpädagog*innen und 50% Lehrkräften mit Deutsch als Zweit-sprache ist dabei in den ZEAs als Qualitätsstandard einzuhalten.
6. Übergänge für die Schüler*innen gut und fließend gestalten
Sollte eine Erstbeschulung in einer ZEA oder öffentlich-rechtlichen Unterkunft erfolgen, dann muss der Übergang in die Regelschule möglichst gut gestaltet werden. Hierzu gehören standardisierte Übergabeverfahren, unter anderem mit Übergabegesprächen, Übergabebögen und der Gelegenheit vorher schon einmal in der neuen Klasse zu hospitieren.1 Auch das Bremer Modell eines gleitenden Übergangs ist erprobenswert. Hierbei verlassen die Schüler*innen frühzeitig stundenweise ihre IV-Klasse und nehmen bereits täglich für ein zwei Stunden am Unterricht ihre zukünftigen Regelklasse teil. Dies erfolgt zunächst in den weniger sprachlastigen Fächern Sport und Kunst und wird sukzessiv mit fortschreitendem Spracherwerb auf weitere Fächer ausgeweitet bis der Schüler vollständig in die Regelklasse übergehen kann.
Wünschenswert sind bei der Erstbeschulung in der ZEA auch Klassenpatenschaften zu benachbarten Schulen. Für geflüchtete Jugendliche und junge Erwachsene, die kurz vor dem Eintritt in den Arbeits-markt stehen, sollten, ggf. in Kooperation mit Betrieben, berufsbildenden Schulen oder zum Beispiel Produktionsschulen, spezielle Bildungs- und Integrationsangebote gestaltet werden, die neben dem Spracherwerb auch Maßnahmen umfassen, die die Ausbildungs- und Studierfähigkeit zum Ziele haben.
7. Professionelles und unbürokratisches Zusammenwirken der Schnittstellen
Wir benötigen ein effektives, schnelles und unbürokratisches System, dass eine gute Verteilung der Schüler*innen mit Fluchthintergrund auf die für sie passende Schule gewährleistet. Dazu gehört eine enge Kooperation von ZEA-Betreiber, den umliegenden Schulen und ggf. dem SIZ. Der Weg von der ZEA oder öffentlich-rechtlichen Unterkünfte über das Schulinformationszentrum der Schulbehörde (SIZ), welches bisher die Zuweisung an die Schule durchführt, muss abgeschafft bzw. zumindest für länger Zeit ausgesetzt werden. Kinder sollten inklusive Einschätzungsbogen direkt von der ZEA in die aufnehmende Schule gehen, ohne dass Eltern aktiv werden müssen. Beratung und Schulcoaches können hier in den ZEAs die Eltern und jugendlichen Flüchtlinge über die Formalitäten informieren. Schu-len und ZEAs sollten deshalb eng zusammenarbeiten. Ähnliches gilt wiederum für Kinder im vorschu-lischen Alter und den KiTas in der Umgebung.
In der Beschulung und Integration von geflüchteten Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen gibt es noch vielfältige weitere Schnittstellen. Einige Beispiele: ZEA-Schule; ZEA-Kita; Kita-Schule; SIZ-ZEA-Schule; ZEA-ÖRA; Ehrenamtliche-Hauptamtliche; BSB-BASFI; Schule-BSB; Schule-Schulbau Hamburg u.v.m. Diese müssen in der aktuellen Lage auf den Prüfstand und optimiert werden. Bei al-len berechtigten Vorschriften, Zuständigkeiten, Abläufen und Controlling brauchen wir in der aktuel-len Situation vor allem schnellere, unbürokratische und zielorientierte Entscheidungen.
Die aufnehmenden Grundschulen sollten auf jeden Fall wohnortnah sein. Sollte es im Ausnahmefall unvermeidbar sein, dass Kinder lange Schulwege haben, dann gilt: Bei solchen Schulwegen müssen auch die Fahrtkosten für die erwachsenen Begleiter*innen erstattet werden. Bei älteren Schü-ler*innen sollte auf eine gleichmäßige Verteilung in der gesamten Stadt geachtet werden. Alle weiter-führenden Schulen – Stadtteilschulen wie Gymnasien – sollten Plätze für Flüchtlinge freihalten, damit ein Übergang in die Regelklasse reibungslos gewährleistet werden kann.
8. Eine gute Schule ist inklusiv, ganztägig und durchlässig – besonders für geflüchtete Schüler*innen
Viele geflüchtete Schüler*innen haben ein großes Potential und sind sehr lernbereit. Das darf ange-sichts anfänglicher Schwierigkeiten (Sprachbarrieren, traumatisierender Kriegs- und Fluchterlebnisse, Verlust naher Angehöriger, Eingewöhnung in einen neuen Kulturraum etc.) nicht übersehen werden. Deshalb bedarf es nicht nur einer sehr professionellen psychosozialen Begleitung, sondern auch eines sehr durchlässigen und lernförderlichen Schulsystems, sprich eines inklusiven Systems. Hier muss der zweite Bildungsweg nicht nur offen gehalten, sondern flexibel ausgebaut werden – denn auch ältere geflüchtete Jugendliche bzw. junge Erwachsene müssen die Chance erhalten, Schulabschlüsse nachzu-holen.
Am leistungsfähigsten in einem inklusiven System sind Langformschulen und Bildungshäuser, weil sie besonders durchlässig sind und dabei viele Kompetenzen in einer Einrichtung verknüpfen können. So haben auch die mit dem deutschen Schulsystem wenig vertrauten Eltern den Vorteil, durchgehend nur mit einer Bildungseinrichtung zu tun zu haben. Als pädagogisch zielführend erachten wir auch die Einrichtung von jahrgangsgemischten Lerngruppen – denn viel wichtiger als das Alter der Kinder ist deren Kompetenzstand. Gerade bei Geflüchteten kann es hier zu großen Unterschieden kommen.
Die ganztägige Beschulung und Betreuung ist gerade für geflüchtete Kinder und Jugendliche für eine schnelle und gute Integration sehr wichtig. Deshalb müssen schon die Alphabetisierungs- und IVK-Klassen voll in das schulische Ganztags- und Betreuungsangebot integriert werden.
Bei all den Bemühungen um die bestmögliche Integration aus Sicht der Flüchtlinge vergessen wir nicht, dass die Integration auch für die Mitschüler*innen eine große Herausforderung darstellt, die auch Belastungen mit sich bringt. Auch die „einheimischen“ Schüler*innen haben nach wie vor ein Recht auf bestmögliche Förderung und Lernen in einer stabilisierenden Atmosphäre.
9. Qualifizierungsoffensive: „Deutsch als Zweitsprache (DaZ)“ und interkulturelle Kompetenz
Die Pädagog*innen, die mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen arbeiten, müssen vor allem in der Vermittlung von Deutsch als zweiter Sprache professionalisiert werden. Für die IVK-Klassen bedarf es eines aktuellen Bildungsplans, der auch außerschulisches Lernen (Hamburg-Rallye etc.) und Alltags-situationen (Fahrkartenkauf etc.) unter dem Blickwinkel der Integration in eine neue Gesellschaft und Kultur beinhaltet. Dazu gehört auch ein zentraler Sachmitteltopf für zusätzliche Unterrichtsmateria-lien, aus dem Schulen über ihr festes Budget hinaus unbürokratisch entsprechende Lernmittel an-schaffen können. Soweit nicht vorhanden, muss solches Material zügig zentral entwickelt und den Schulen (inkl. flankierender Fortbildungen) bereitgestellt werden. Eine Fortbildungsoffensive muss dabei auf Seiten des LI und der Schulen mit den notwendigen zusätzlichen Sach- und Personalmitteln ausgestattet werden. Tauschen Schulen ihre Erfahrungen aus und kooperieren hier, dann ist das zu begrüßen und zu unterstützen.
Auch die Qualifizierung von weiteren pädagogischen Gruppen wie Sozialpädagog*inn*en aber auch Ehrenamtlichen in DaZ ist wichtig. Selbst Schüler*innen könnten hier in einer „Schüler*innen unter-richten Schüler*innen-Initiative“ qualifiziert und als Honorarkräfte eingesetzt werden. Das erweitert nicht nur ihre fachlichen, sondern auch ihre sozialen Kompetenzen. Auch Schüler*innen-Schüler*innen und Eltern-Eltern-Patensysteme könnten hier etabliert werden.
Letztendlich benötigen die geflüchteten Schüler*innen nicht nur einen Sprach- und Kompetenzer-werb; sie müssen sich an eine neue Kultur gewöhnen. Die Interkulturelle Kompetenz muss deshalb genauso Gegenstand von Fortbildungen für alle beteiligten Pädagog*innen sein, wie der professionelle Umgang mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen. Gleichwohl kommen ihnen in der täglichen Arbeit je nach Profession sehr unterschiedliche Aufgaben zu.
10. Schulentwicklungsplan (SEPL) frühzeitig fortschreiben
Die Planung, welche Schulstandorte in Hamburg mit wie vielen Klassenzügen geführt werden sollen, muss frühzeitig fortgeschrieben und an die sich rasant verändernden Bedingungen angepasst werden. Auch der Rahmenplan Schulbau ist hiervon betroffen. Unbedingt sind die Schulen hier frühzeitig zu beteiligen und die Kooperationsstrukturen vor Ort wie die Regionalen Bildungskonferenzen zu nut-zen und auszuweiten.
Ziel ist es dabei, Schülerinnen und Schüler möglichst den Verbleib in einer Schule in Wohnortnähe zu ermöglichen und beispielsweise einen Schulwechsel beim Übergang von der IVK- oder Alphabetisie-rungsklasse in eine Regelklasse zu vermeiden. Aus diesem Grund – und auch, um die Belastung aller Stadtteile und Schulen möglichst gleichmäßig zu verteilen und damit neue Brennpunktschulen zu ver-meiden – sollten möglichst viele Grundschulen sowie nahezu alle Stadtteilschulen und Gymnasien IVK- bzw. Alphabetisierungsklassen führen.
Im Zuge der Planungen muss das Musterflächenprogramm überarbeitet werden. Die Räume und Flä-chen müssen flexibler gestaltet und die Quadratmeterzahlen an die neuen Bedürfnisse angepasst werden.
11. Schnelle und unbürokratische Lösungen bei zusätzlichem Bedarf an Personal und Räumen
Auch kurzfristig müssen Schulen unbürokratisch neues Personal und/oder Container für die Beschu-lung zusätzlicher Kinder und Jugendlicher geflüchteter Familien erhalten können. Die Selbstverant-wortung der Schule muss hier in puncto Containeranmietung oder Verwaltung der Räume und bei Personaleinstellungen ausgeweitet werden. Die Schulaufsicht ist eng eingebunden. Vor allem benöti-gen die Schulen unbürokratische, dezentrale und schnelle Entscheidungen.
12. Den Übergang Schule – Beruf wirksam gestalten
Sofern geflüchtete Jugendliche im Alter zwischen 16 und 18 Jahre nicht aufgrund ihres Bildungsstands an einer Stadtteilschule oder Gymnasium das Abitur anstreben, soll ihnen der Besuch einer Berufs- oder Produktionsschule unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus ermöglicht werden – auch in einer Ganztagsform, wenn möglich. Dort erhalten sie neben einer Sprachförderung die Möglichkeit, den Ersten oder Mittleren Schulabschluss zu erlangen. Ziel ist zugleich die berufliche Orientierung und die Vorbereitung auf eine Ausbildung oder Arbeit.
Ebenso erforderlich ist, dass auch jugendliche Flüchtlinge, die nicht mehr der Schulpflicht unterliegen, trotz migrationsbedingter Unterbrechungen ihrer Bildungsverläufe ihre Potenziale entfalten und einen Schulabschluss erlangen können, um eine Chance auf Teilhabe an Bildung und schulischer und berufli-cher Ausbildung zu haben. Auch hierfür sind entsprechende Maßnahmen zu entwickeln. Dabei sind auch die Angebote der Produktionsschulen mit einzubeziehen, die jungen Flüchtlingen Chancen bie-ten können, die ein weniger verschultes Angebot benötigen.
[1] Die im Regelsystem bei einigen Lehrkräften vorhandene Einstellung, sie wollten von der abgebenden Schule/Klasse keine Informationen über ihre neuen Schüler*innen erhalten, um kein vorgefertigtes und ggf. ungerechtfertigt stigmatisierendes Bild der Schülerin / des Schülers zu übernehmen, ist hier völlig fehl am Platz, da sie die nötige Sensibilität für die besondere Situation der geflüchteten Kinder und Jugendliche missen lässt.