LAG-Bildung – Positionspapier: Grüne Leitlinien für Hamburgs wachsendes Schulsystem

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Einführung

Nach neuesten Prognosen wird die Schüler*innenzahl in Hamburg in den nächsten Jahren um 25% steigen. Das stellt unser Schulsystem vor enorme Herausforderungen – baulich, personell, organisatorisch und nicht zuletzt pädagogisch. Doch bietet es auch große Chancen, wenn wir den Ausbau richtig nutzen. Wir GRÜNE befürworten das Ziel von Schulsenator Ties Rabe (SPD) ausdrücklich, den Ausbau ohne Qualitätseinbußen (wie z.B. größere Klassen) zu erreichen. Die BSB führt aktuell mit Verantwortlichen vor Ort Gespräche und wird bald einen neuen Schulent-wicklungsplan (SEPL) vorlegen. In diesem soll geplant werden, wo neue Schulen gegründet und gebaut, wo Schulen erweitert und wo bereits vorhandene Gebäude zukünftig für Schulen genutzt werden können. Gerade in sehr verdichteten Quartieren müssen pragmatische Lösungen gesucht werden, je nachdem welche Flächen überhaupt zur Verfügung stehen. Gleichwohl gehen wir von einem Investitionsprogramm von 4 Milliarden Euro aus, das die Hamburger Schullandschaft für die nächsten Jahrzehnte nachhaltig prägen wird. Möglicherweise wird der Ausbau des Schulsystems – räumlich wie personell – die zentrale schulpolitische Herausforderung in den 2020er Jahren.

Wir GRÜNE möchten deshalb die damit verbundenen Chancen auch pädagogisch nutzen und formulieren hier Leitlinien als Orientierung für die Verantwortlichen vor Ort.

1. Bürger*innen, Vereine/Initiativen und Schulen vor Ort beteiligen

Die lokalen Akteur*innen kennen die Verhältnisse, die lokale Geschichte und Dynamik sowie die Bedürfnisse vor Ort am besten. Ihr Know-how, aber auch ihre Akzeptanz, sind unverzichtbar. Wie bei anderen großen Bauvorhaben sollten Bürger*innenbeteiligung und die Befassung der Bezirke bei neuen Schulplänen Standard sein.

2. Konzepte für die Region entwickeln, regionale Schulentwicklungskonferenzen wiederbeleben

Nur Gebäude und Flächen zu generieren, reicht nicht. Schulen sind wichtige Orte des gesellschaftlichen Lebens in den Stadtteilen. Ihre Gründung und Erweiterung verändert das ganze Quartier. Deshalb sollen alle Pläne zur Gründung/ Erweiterung von Schulen in Konzepte zur Entwicklung der Region eingebunden werden. Gegebenenfalls könnten auch die regionalen Schulentwicklungskonferenzen wiederbelebt werden, um diese Pläne zu beraten.

3. Einbettung der Schule in den Stadtteil planen

Von Einzelfall zu Einzelfall muss abgewogen werden, ob Schulen im Zentrum sozial in sich geschlossener Quartiere, sozusagen als Mittelpunkt, angesiedelt werden oder ob sie idealerweise gerade an die Grenze unterschiedlicher Wohngebiete platziert werden, damit es zu einer lernförderlichen sozialen Durchmischung in den Klassen kommt.
Bauplanungen sollen dabei vor allem die perspektivische Entwicklung des Stadtteils und ggf. Ausbaubedarfe berücksichtigen.

4. Schulgelände und -gebäude für den Stadtteil öffnen

Die schulischen Anlagen – insbesondere Aulen, Sporthallen und Schulhöfe – sind so zu planen, dass sie gut für den Stadtteil zu nutzen und separat zugänglich sind. Denn diese öffentlichen Gebäude und Gelände sind oft für eine Nutzung durch den Stadtteil geeignet, seien es die Hallen für Sportvereine, die Aulen für Veranstaltungen oder der Schulhof als Spielplatz.

5. Schulwege planen

Gerade für die Kleinen sind sichere und geschützte Schulwege wichtig, wollen wir den Elterntaxen den Wind aus den Segeln nehmen, die Eigenständigkeit von Schüler*innen fördern und innerstädtischen Autoverkehr vermeiden. Tempo 30-Zonen, Ampeln, Zebrastreifen, Bürgersteige und Busanbindungen sowie Drop-off-Zonen sind daher bei der Schul-wegplanung von den Bezirken zu berücksichtigen. Bei den Schulen sind ausreichend geschützte Fahrradstellplätze bereit zu halten.

6. Bildungshäuser, Langformen, Schulcampus und Integration in Stadtteilzentren fördern

Wir GRÜNE befürworten integrierte Systeme, weil sie die Durchlässigkeit erhöhen und bei gebrochenen Bildungsbio-grafien mehr Chancen eröffnen. Hierzu gehören Bildungshäuser (Kita und Grundschule unter einem Dach), Langform-schulen (von Klasse 0 bis 13), die enge Kooperation benachbarter Schulen und die Integration der Schule in Stadtteilzentren, wo z.B. eng mit Beratungsstellen, sozialen Einrichtungen und VHS kooperiert wird (wie z.B. das Tor
zur Welt (Wilhelmsburg), das Bildungshaus Lurup oder der Feuervogel (Phoenix-Viertel/Harburg)). Die Kooperation mit sozialen Bildungseinrichtungen aus dem Stadtteil muss mitgedacht und ermöglicht werden.

7. Die ideale Zügigkeit (d.h. Parallelklassen je Jahrgang) für Grundschulen liegt bei 3 bis 6 Zügen, die von weiterführenden Schulen bei 4 bis 7 Zügen.

Zu kleinen Schulen fällt es häufig schwerer, ihre Qualität zu entwickeln und zu halten, u.a. weil nicht genügend Res-sourcen für Entwicklung und Kooperation zur Verfügung stehen, außerdem ist das pädagogische Angebot nicht so breit.
Zu große Schulen sind hingegen schwer zu steuern.

8. Schulen mit mehreren Standorten sind zu vermeiden

Schulen mit mehreren Standorten haben spezielle Probleme, von denen die Pendelei von Schulleitung, Pädagog*innen und Schüler*innen nur das offensichtlichste ist. Faktisch führen die einzelnen Standorte oft ein großes Eigenleben, was die einheitliche pädagogische Arbeit der Schule und damit die Qualität erschwert. Nicht selten fühlt sich auch das Kolle-gium des Standorts, an dem die Schulleitung nicht ihr Hauptbüro hat, vernachlässigt. Hinzu kommen viele praktische organisatorische Probleme, wie z.B. Stundenplan, Verteilung der Fachräume, Kommunikation des Gesamtkollegiums.

9. Wenn mehrere Standorte unvermeidlich sind, dann geben wir horizontalen Teilungen den Vorzug gegenüber vertikalen Teilungen.

Die horizontale Teilung, also z.B. Jahrgänge 5-10 am Standort A und Jahrgänge 11-13 am Standort B, ist zumeist die bessere Lösung, wenn das Ziel hohe pädagogische Qualität ist. Denn so können die Lehrkräfte eines Jahrgangs besser kooperieren und leichter klassenübergreifende Kurse angeboten werden.

10. Bei großen Schulen mit mehreren Standorten ist die Ent-Fusionierung zu erwägen, insbesondere wenn jeder Standort ausreichend groß ist.

Aus den oben genannten Gründen kann bei wachsenden Systemen mit mehreren Standorten die Trennung in zwei eigenständige Schulen eine gute Lösung sein, wenn jede Schule/Standort die Mindestgröße von 3 Zügen (Grundschule) bzw. 4 Zügen (Stadtteilschule/Gymnasium) erreicht.

11. Wir geben Campus-Schulen den Vorzug gegenüber der Neugründung von Gymnasien.

Das neue von der BSB geförderte Konzept „Campus-Schule“ ist angelehnt an die Heinrich-Hertz-Schule und die Gyula-Trebitsch-Schule. Diese Schulen haben einen G8- und einen G9-Zweig in einer Schule, mit einer Schulleitung und einem Kollegium. Hier gehen die Schüler*innen in Jahrgang 5 und 6 sowie in der Oberstufe in die gleichen Klassen. Dazwi-schen werden sie getrennt und lernen im unterschiedlichen Tempo. Das ist im Vergleich zu den klassischen Stadtteil-schulen wegen der Trennung in der Mittelstufe nicht ideal, aber immer noch deutlich besser als die Gründung von einer Stadtteilschule und einem Gymnasium in unmittelbarer Nachbarschaft. Denn die Erfahrung zeigt, dass diese häufig mehr in Konkurrenz stehen als harmonisch kooperieren.
Das Konzept der Campus-Schulen ist noch unterdefiniert. Wichtig ist aus GRÜNER Sicht, die Campus-Schule konzep-tionell weiter auszuarbeiten und andere pädagogische Formen, wie jahrgangsübergreifendes Lernen, Lernwerkstätten, Abitur im eigenen Takt, mitzudenken. Die neuen Schulen müssen vor allem den Bedürfnissen vor Ort gerecht geplant werden.

12. Nähe von Schulen fördern

Die räumliche Nähe von Schulen ermöglicht Kooperation.
Gebäude werden außerdem oft über 50 Jahre genutzt. Wir kennen noch nicht die Bedarfe in den 2050er und 2060er-Jahren, aber benachbarte Schulkomplexe eröffnen am ehesten die Chancen, auch in Jahrzehnten auf aktuelle Entwick-lungen flexibel zu reagieren.

13. Sozialindex neu berechnen

Der Sozialindex (auch als KESS-Faktor bekannt) beschreibt den sozio-ökonomischen Hintergrund der Elternhäuser. Die Einstufung von Sozialindex 1 (belastet, z.B. Harburg-Kern, Osdorfer Born, Steilshoop, Billstedt) bis 6 (privilegiert, z.B. viele Elbvororte, Eppendorf/Hoheluft, Walddörfer) ist erheblich für die Mittelzuweisungen, so haben KESS 1- und 2-Grundschulen beispielsweise kleinere Klassen und mehr Mittel für Förderung.
Bei der letzten Neuberechnung des Sozialindex 2013 gab es massive Proteste einzelner Schulen in gentrifizierenden Quartieren, weil sie mit der Höherstufung bei gleicher Schülerzahl Lehrerstellen abgeben mussten. Deshalb scheut die Behördenleitung die überfällige Neuberechnung.
Ganz abgesehen davon, dass nach der BüScha-Wahl 2020 schon aus Gründen der Verteilungsgerechtigkeit die Neuberechnung dringend ansteht, muss sowohl bei Schulneugründungen, als auch bei starkem Ausbau angesichts neuer Einzugsgebiete auf jeden Fall der Sozialindex der Schule neu bestimmt werden.

14. Schulbauten und Renovierungen sollen einem pädagogischem Konzept zu Grunde liegen.

Gebäude, Flächen und Räume alleine reichen nicht als Richtwerte für die Planung von Schulen aus. Wir GRÜNE wollen, dass den Planungen jeder Schule auch pädagogische Konzepte zu Grunde gelegt werden, wie die Schüler*innen opti-mal lernen können, damit Architektur und Raumkonzept dem pädagogischen Konzept folgen können. Wir GRÜNE unterstützen dabei ausdrücklich innovative pädagogische Konzepte, für deren Umsetzung Neubauten vorrangig genutzt werden sollten. Diese sind von den Schulleitungen in Kooperation mit Schulbehörde und (soweit bei Neugründung schon vorhanden) schulischen Gremien zu erarbeiten.
Zu berücksichtigen ist hier auch die IT-Infrastruktur, die Bereitstellung von Lehrerarbeitsplätzen und einer dem Ganz-tagsbetrieb angemessenen Gestaltung und Ausstattung, etwa mit Mensen (inkl. Küchen, die auch für das frische Kochen vor Ort – cook and serve – ausgelegt sind) und Aufenthaltsräumen.

15. Schulbauten und Renovierungen sollen nachhaltig und ökologisch sein.

Selbstverständlich sollen im Sinne des Ansatzes „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung (BnE)“ gerade Schulen Standards in Bezug auf Nachhaltigkeit und ökologisches Bauen setzen. Bei der Genehmigung von Schulneubauten sind die Standards ökologischen Bauens, wie Gründach, Photovoltaik etc., und CO2-bewusstem Bauen zu berücksichtigen. Schulen können so als Modellprojekte dienen.
Hamburgs neue / erweiterte Schulen sollen alle nach dem Konzept der „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (BNE) gebaut werden. Deswegen werden in einem neu geschaffenen oder erweiterten Lernort nachhaltiger Entwicklung Nachhaltigkeitskriterien bei dem Bau, der Ausstattung und Bewirtschaftung immer angewendet. Beispielhaft sind dafür folgende Aspekte zu nennen:
Die konkrete Einplanung von schuleigenen Gärten und/oder eines „essbaren Schulhofes“ sollte bei Neubauten und Erweiterungen geschehen. Der Schulhof sollte zudem zum Naturschutz beitragen. Die Beschaffung von Einrichtung, und Materialien orientiert sich an Nachhaltigkeitsaspekten („reuse, reduce, recycle“). Neuanschaffungen werden möglichst über umweltfreundliche, zertifizierte Unternehmen bezogen. Die Schule sollte sehr gut an umweltfreundliche Mobilitätswege wie Rad, Bus und Bahn angebunden sein. Die Schulräume sollten transformativ nutzbar sein, sodass verschiedenste Lernformen und -methoden in ihnen möglich sind. Bei der Genehmigung von Schulneubauten sind die Standards ökologischen Bauens, wie Gründach, Photovoltaik, etc., und CO2-bewusstem Bauen zu berücksichtigen. Auch bei Erweiterungen sollen die Aspekte ökologischen und CO2 bewussten Bauens angepasst an den Schulstandort und dessen geografischen Gegebenheiten versucht umgesetzt zu werden.

16. Schulaußengelände als eigenen wertvollen Raum gestalten

Schulhöfe sollen bewegungsanregend sein und Kindern vielfältige Naturerfahrungen über einen langen Schultag ermög-lichen. Daher müssen sie bei Sanierungs-, Erweiterungs- oder Neubaumaßnahmen wenigstens in Teilen naturnah, d.h. z.B. mit heimischen Wildpflanzen, gestaltet werden. So können sie gleichzeitig eine wichtige Rolle im Zuge kommunaler Klimaanpassung spielen, indem kühle Oasen gegen sommerliche Großstadthitze entstehen (Beispiel Paris). Bei Bau-maßnahmen an Schulen, die bereits stark verdichtet sind, ist zu beachten, dass mehr Kinder auch mehr Bewegungsraum benötigen. Schulhöfe gehören nicht auf Dächer.

17. Schulbauten und Renovierungen müssen die Inklusion unterstützen

Neben einem pädagogischen Konzept der Schule gelingt dies unter anderem, indem die Gebäude barrierefrei sind, Lärmdämmung z.B. durch Teppiche erreicht wird sowie zusätzliche Räume für Therapie mit geplant werden, die ggf. auch an externe Anbieter*innen, wie Ergotherapeut*innen und Logopäd*innen, vermietet werden können. Bei jedem Schulbau sind Fachleute für Inklusion einzubeziehen.

18. Räume für Pädagog*innen schaffen

Beim Neubau von Schulen sollen, insbesondere vor dem Hintergrund des Ganztags, ausreichend Einzelarbeits-, Teamarbeits-, Kommunikations- und Rückzugsräume für die Lehrkräfte eingeplant werden.

19. Planungen rechtzeitig beginnen

Da Schulbauten öfter später als früher fertig werden, ist bei der Planung darauf zu achten, dass die Gebäude auch dann bereit stehen, wenn sie gebraucht werden. In diesem Zusammenhang sind beispielsweise langwierige Architekten-wettbewerbe nur wohlbedacht auszuschreiben.

20. Tendenziell erst Grundschulen planen und dann weiterführende Schulen

Da die neuen Schüler*innen (nach der Kita) zuerst in der Grundschule ankommen, hat die Erweiterung des Grundschulangebots zeitlich Priorität gegenüber den weiterführenden Schulen.