Beschleunigung des Windenergie-Ausbaus in Hamburg

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Nach dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine und der damit einhergehenden Einstellung von Erdgaslieferungen aus Russland nach Westeuropa befindet sich Deutschland in einer Energiekrise. Die damit entstandene zusätzliche Relevanz beim Ausbau der kostengünstigen und zuverlässigen erneuerbaren Energien (hier Windenergieanlagen) über die Klima- oder Biodiversitätskrise hinaus, gebietet die Aufhebung des praktischen Ausbaustopps der Windenergie in Hamburg seit dem Jahre 2016 (seitdem keine Genehmigungserteilungen mehr).[1] 

Die Windenergie hat enormes Potenzial, Europa und Deutschland unabhängiger von Drittstaaten in der Energiegewinnung zu machen: So erklärte der Deutsche Bundestag die Errichtung und den Betrieb von Anlagen der Erneuerbaren Energien (hier Windenergieanlagen) in seiner jüngsten Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG 2023) als „im überragenden öffentlichen Interesse“ liegend und „der öffentlichen Sicherheit“ dienend.[2] Beim Ausbau der Windenergie in Hamburg können insbesondere die europäischen Hersteller und Zulieferer von Windenergieanlagen einen zuverlässigen Beitrag leisten und die Wertschöpfung in Deutschland und Europa stärken. 

Unsere Forderungen lauten deshalb: 

  1. Hamburg zieht die von der Bundespolitik im Windenergieflächenbedarfsgesetz (WindBG) geforderte Ausweisung von 0,5% der Landesfläche für Windenergie vor und weist diese möglichst bis zum Jahr 2027 aber weit vor dem Jahr 2032 aus. Konkrete Flächenvorschläge liegen hierfür bereits vor, bspw. vom Bundesverband WindEnergie e.V. (BWE). Zudem sollen hierzu sämtliche Eignungsgebiete für Windenergieanlagen in Hamburg als ‚Rotor-Out‘ Gebiete ausgewiesen werden (d.h. der Rotor darf über den Rand des Eignungsgebietes hinausragen).  
  2. Das Verwaltungsgericht Braunschweig hat in seinem Urteil vom 11.05.2022 eindeutig klargestellt, dass Höhenbegrenzungen für Windenergieanlagen in Flächennutzungsplänen rechtlich unzulässig sind.[3] Dem Urteil folgend soll auch Hamburg unverzüglich, und ohne auf den langwierigen Prozess einer Flächennutzungsplanänderung zu warten, rechtssichere Genehmigungen für Windenergieanlagen erteilen, welche die bisherigen Höhenbegrenzungen im Hamburger Flächennutzungsplan überschreiten. 
  3. Um den Ausbau der Windenergie sofort zu beschleunigen, soll in Hamburg die isolierte Positivplanung gem. § 249 Abs. 1 BauGB zur Anwendung kommen und damit zügig Genehmigungen auch außerhalb von bisher ausgewiesenen Eignungsgebieten für Windenergieanlagen erteilt werden. Auf Grundlage von § 249 Abs. 1 BauGB kann Hamburg rechtssicher einzelne weitere Flächen für die Windenergienutzung auf Flächennutzungsplanebene ausweisen, ohne den gesamten Hamburger Flächennutzungsplan überarbeiten zu müssen, da dies viele Jahre dauert.[4]
  4. In ausgewiesenen Eignungsgebieten für Windenergieanlagen muss das Repowering von Windenergieanlagen (d.h. der Ersatz älterer Windenergieanlagen durch neuere und leistungsstärkere Modelle) möglich sein, auch wenn diese in unmittelbarer Nähe zu Autobahnen und Bundesstraßen liegen. Auf Bundesebene ist durch §9 Abs. 1 Nr. 1 des Bundesfernstraßengesetzes ein Abstand von 40 Metern zu Bundesfernstraßen (d.h. Autobahnen und Bundesstraßen) für Hochbauten (hier Windenergieanlagen) vorgeschrieben.[5] Hamburg soll sich dafür einsetzen, dass keine über diese 40m hinausgehenden Abstände gefordert werden. Weiterhin ist die Errichtung von Windenergieanlagen in der Nähe von Autobahnen und Bundesstraßen aufgrund der infrastrukturellen Vorbelastung generell zu begrüßen.
  5. Hamburg soll Maßnahmen ergreifen, um zu den Forderungen 2., 3. und 4. Planungssicherheit für die betroffenen Unternehmen herzustellen.
  6. Das Hamburger Hafengebiet hat enormes Potenzial, die Energiewende voranzubringen. Hamburg sollte es möglich machen, Windenergie und Vogelschutz zu vereinen und die Errichtung von Windenergieanlagen im Hamburger Hafengebiet zu ermöglichen. Die Bestände von Seeadlern und anderen Brutvogelarten im Hamburger Hafen sind erfreulich und müssen geschützt werden. Bei der Planung von Windenergieanlagen gibt es heutzutage eine Vielzahl von Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Windenergie und Vogelschutz. Das Hamburger Hafengebiet ist grundsätzlich, insbesondere aufgrund der geringen Einwohnerzahl, der großen Fläche, sowie der umfangreichen gewerblichen Bebauung und Verkehrsinfrastruktur, hervorragend für Windenergieanlagen geeignet: Konfliktpotenziale hinsichtlich Geräusch-, Anblicks- und Landschaftsaspekten, entfallen hier.
  7. Die Errichtung neuer Windkraftanlagen in Hamburger Naturschutzgebieten lehnen wir ab.

Zu 1.) Die Bundesländer sind durch das WindBG der Bundesregierung verpflichtet, Flächen für den Ausbau der Windenergie bereitzustellen. Für das Land Hamburg gilt der Mindestwert von 0,5% der Landesfläche als Flächenbeitragswert (d.h. rund 3,8 km², denn die Hamburger Landesfläche beträgt rund 755 km²). Konkret bedeutet dies, dass das Land Hamburg mehr als doppelt so viel Fläche für die Windenergie zur Erreichung der Mindestwerte bereitzustellen hat, als dies aktuell der Fall ist. Zudem besteht durch den fehlenden Ausbau der Windenergie in Hamburg der letzten Jahre erhöhter Handlungsbedarf, da viele der realisierten Anlagen nicht mehr der aktuellen Anlagentechnologie entsprechen und somit weniger erneuerbaren Strom erzeugen als potenziell bei einem Repowering auf gleicher Fläche möglich wäre. Außerdem sind die Eignungsgebiete in Hamburg bisher als ‚Rotor-In‘ Gebiete ausgewiesen und damit nicht vollständig anrechenbar.[6] Die im WindBG vorgesehenen Ausweisungszeitpunkte von 0,25% der Landesfläche bis Ende 2027 und 0,5% der Landesfläche bis Ende 2032 sind vor dem Hintergrund der Energie- und Klimakrise deutlich zu spät – es gibt keine sinnvollen Gründe, die Ausweisung nicht unverzüglich vorzunehmen.[7] 

Zu 2.) Nach Analysen des BWE könnten die erneuerbare Stromproduktion aus Wind und die damit einhergehende CO² Einsparung in Hamburg nahezu verdoppelt werden. Die Hälfte dieses Zuwachses könnte allein durch Repowering – d.h. den Ersatz älterer Windenergieanlagen durch neuere und leistungsstärkere Modelle – erreicht werden. Die neuen und leistungsstärkeren Anlagen sind jedoch höher als ältere Windenergieanlagen. Aktuell sieht der Hamburger Flächennutzungsplan aus dem Jahre 2013 für fünf der sechs Vorranggebiete eine maximale Gesamthöhe der Windenergieanlagen von 150m vor (in Einzelfällen 180m).[8] Windenergieanlagen mit dieser Gesamthöhe werden nur noch von wenigen Herstellern überhaupt angeboten. Ein umfangreiches Repowering ist mit dieser Höhenbegrenzung in Hamburg nicht möglich, da moderne Windenergieanlagen deutlich höher sind. Dies zeigt sich eindeutig in den Zubau-Zahlen aus dem ersten Halbjahr 2021: Die durchschnittliche Gesamthöhe der in Deutschland in diesem Zeitraum zugebauten Windenergieanlagen betrug 207 Meter (in Hamburg wurden in diesem Zeitraum null Windenergieanlagen errichtet).[9]

Zu 3.) Die Alternative zum Gebrauch der isolierten Positivplanung wäre eine Änderung des aktuell gültigen Flächennutzungsplans in Hamburg. Das Verfahren der Flächennutzungsplanänderung ist umfangreich und langwierig und beinhaltet eine Vielzahl an (vom Baugesetzbuch vorgeschriebenen) Arbeits- und Prüfungsschritten. Diese Verfahren strecken sich über viele Jahre. Diese Zeit hat Hamburg im Kontext der Energie- und Klimakrise nicht mehr, der Ausbau der Erneuerbaren Energien muss unverzüglich Fahrt aufnehmen. 

Zu 4.) Der Verweis auf die Nähe zum Straßenverkehrsraum und in diesem Zuge geforderte Abstände führen in Hamburg derzeit so weit, dass in einem ausgewiesenen Eignungsgebiet für Windenergieanlagen ein Repowering (d.h. ein Ersatz der dort bereits stehenden Altanlagen durch neue Anlagen) nicht genehmigt wird.[10] Dies ist ebenso problematisch wie falsch: Gerade direkt an Autobahnen angrenzende Flächen eignen sich hervorragend für den Ausbau der Windenergie: Aufgrund des vorhandenen Verkehrslärms, sowie der bereits vorhandenen Bebauung und Zerschneidung der Landschaft entfallen Konfliktpotenziale hinsichtlich Geräusch-, Anblicks- und Landschaftsaspekten. Als Gegenargument wird insbesondere das Ablenkungspotenzial für Autofahrer*innen angeführt. Dies ist (auch nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Frankfurt Oder) nicht zutreffend – die Anlagen sind bereits auf große Entfernungen sichtbar, daher besteht kein Überraschungseffekt, anders als beispielsweise bei Werbung entlang der Fahrbahn. Auch eine Gefährdung des Verkehrs durch die Anlagen ist nicht gegeben: Der vom Bundesfernstraßengesetz (vgl. §9 Abs. 1 Nr. 1) vorgeschriebene Abstand wird ab der Rotorblattspitze gemessen.[11] Somit ragen die Rotorblätter nicht über die Fernstraße und ein Eintreten von Eisabfall über einer Fernstraße ist sehr unwahrscheinlich.[12] Zudem wird der Gefahr eines Eisabfalls heute bereits standardmäßig durch Anti-Icing-Maßnahmen oder Eiserkennungssysteme und gesteuerten Abschaltungen mit definierter Gondelposition parallel zur Straße entgegengewirkt.[13]

[1] Genehmigung der Windparks Altengamme und Ochsenwerder vom 22. Dezember 2016 sowie Francop (Quelle: Landesverband Hamburg des Bundesverband WindEnergie e.V. (BWE))

[2] Siehe §2 des EEG 2023. Die maßgebliche Beschlussvorlage des Bundestags ist hier abrufbar: https://dserver.bundestag.de/btd/20/025/2002580.pdf Eine übersichtliche Synopse des EEG 2023 ist hier abrufbar: https://stiftung-umweltenergierecht.de/wp-content/uploads/2022/07/Synopse_EEG_2023_Novelle_Bundestagsbeschluss_Stiftung_Umweltenergierecht_Stand_2022-07-14_V3.pdf

[3] Das Urteil ist unter folgendem Link abrufbar: http://www.dbovg.niedersachsen.de/jportal/portal/page/bsndprod.psml;jsessionid=2F2CFE155E8D32FB09F13A186FD148F9.jp26?printview=true&feed=bsnd-r-vwg&showdoccase=1&doc.id=MWRE220006341 

[4] Eine Erläuterung des Instruments der isolierten Positivplanung ist hier abrufbar: https://www.windindustrie-in-deutschland.de/fachartikel/isolierte-positivplanung-als-planungsinstrument-zur-verbesserung-der-flaechenverfuegbarkeit

[5] Das Bundesfernstraßengesetz, hier abrufbar: https://www.gesetze-im-internet.de/fstrg/BJNR009030953.html

[6] Siehe Seite 11 der Fußnote 8 und siehe § 4 Abs. 3 WindBG der Fußnote 7

[7] Siehe § 3 Abs. 1 i.V.m. Anlage 1 des WindBG, hier abrufbar: https://www.clearingstelle-eeg-kwkg.de/sites/default/files/2022-07/bgbl122s1353_81092.pdf

[8] Anmerkung: Der FNP ist vom 17.12.2013, wurde jedoch erst im Januar 2014 im Hamburgischen Gesetzblatt veröffentlicht und trat damit 2014 erst in Kraft, hier abrufbar: https://daten-hamburg.de/infrastruktur_bauen_wohnen/flaechennutzungsplan_hamburg_aenderungen/pdf/FNP_133_Bild_Text.pdf

[9] Siehe Deutsche Wind Guard (2021): Status des Windenergieausbaus an Land in Deutschland – Halbjahr 2021, Seite 6, hier abrufbar: https://www.wind-energie.de/fileadmin/redaktion/dokumente/pressemitteilungen/2021/Factsheet_PK_Ausbauzahlen_1._HJ_2021.pdf

[10] Genehmigungsverfahren des Windpark Neuland,Quelle: Landesverband Hamburg des BWE

[11] Siehe Agatz, Monika (2021): Windenergie-Handbuch, Seite 260, hier abrufbar: https://windenergie-handbuch.de/wp-content/uploads/2022/03/Windenergie-Handbuch-2021.pdf

[12] Das Urteil des VG Frankfurt (Oder) vom 19.06.2019 ist hier abrufbar:  https://openjur.de/u/2257071.html 

[13] Informationen zum Thema Eiserkennung an Rotorblättern sind bspw. hier abrufbar: https://www.windindustrie-in-deutschland.de/fachartikel/eiserkennung-an-rotorblaettern