Ambitioniert, aber notwendig: Überwindung von Obdach- und Wohnungslosigkeit bis 2030

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Als Grüne sind wir überzeugt: Eigener Wohnraum ist ein Grundrecht aller Menschen. Daher setzen wir uns für die Erfüllung des Ziels Obdach- und Wohnungslosigkeit bis zum Jahr 2030 zu überwinden ein. Dieses Ziel geht auf einen Beschluss des Europäischen Parlaments von 2020 zurück und bereits 2017 hat sich Hamburg (Drs. 21/9700) zur Umsetzung der Sustainable Development Goals (SDGs) bekannt, dessen erstes Ziel „Keine Armut“ lautet. Dabei wird Armut als Zustand definiert, in dem die Grundbedürfnisse nicht befriedigt werden können. Zu diesen Grundbedürfnissen gehört auch eigener Wohnraum. Dieses wird durch das Ziel 11 „Nachhaltige Städte und Gemeinden“ verstärkt, in einem Teilziel werden die Staaten verpflichtet, für die Sicherstellung eines Zugangs zu angemessenem, sicherem und bezahlbarem Wohnraum zu sorgen. Auch die Bundesregierung hat sich diesen Zielen angeschlossen. So gibt es über alle politischen Ebenen hinweg nun das gemeinsame Ziel in der Dekade der 2020er Jahre die Obdach- und Wohnungslosigkeit zu beenden. Diesen Übereinkommen, Beschlüssen und Zielen fühlen wir uns als Grüne verpflichtet und wollen auf allen Ebenen unseren Beitrag leisten, Armut zu bekämpfen sowie Obdach- und Wohnungslosigkeit zu überwinden.

Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für die Beendigung von Obdach- und Wohnungslosigkeit bis 2030 haben sich wiederum gerade in prosperierenden Metropolen wie auch Hamburg verschlechtert. Die in den Ballungsräumen noch immer steigenden Mieten und der Einbruch beim Wohnungsbau lassen das Segment der bezahlbaren Wohnungen immer weiter schrumpfen. Dies gilt trotz der guten Wohnungsbauzahlen der letzten Jahre auch für den Sozialen Wohnungsbau in Hamburg.

Gleichzeitig wächst der Bedarf an Wohnraum und immer mehr Menschen sind auf eine öffentliche Unterbringung angewiesen. So hat sich seit 2022 die Zahl der Menschen in öffentlicher Unterbringung fast verdoppelt. Vor allem durch den Krieg in der Ukraine ist die Zahl sehr schnell auf fast 50.000 Menschen angestiegen. Ganz ohne Obdach auf Hamburgs Straßen leben weitere min. 2000 Menschen. Obdach- und Wohnungslosigkeit trifft Menschen in ganz verschiedenen Lebenslagen. Frauen, die vor ihren gewalttätigen Partnern ins Frauenhaus fliehen, sind genauso von Wohnungslosigkeit bedroht, wie erwerbstätige Alleinstehende, die nach einer Kündigung wegen Eigenbedarf partout keine bezahlbare Wohnung finden.

Realistischerweise ist es daher für Hamburg ein ambitioniertes Ziel Obdachlosigkeit bis 2030 zu überwinden und Wohnungslosigkeit deutlich zu reduzieren. Die geopolitische Weltlage mit einer hohen Zahl von Geflüchteten ist wiederum auch durch Hamburgische Politik nicht steuerbar hat aber Auswirkungen für das Maß der Wohnungslosigkeit in der Stadt.Um eine Trendumkehr zu schaffen, müssen wir den politischen Beschlüssen neue Kraft geben und sowohl den Wohnungsbau innovativ vorantreiben als auch mehr Hilfen zum Wohnen organisieren. Gleichzeitig gilt es, auch die niedrigschwelligen Hilfen auf der Straße weiter auszubauen. Wir wollen, dass sozialrechtliche Hilfen alle erreichen, die sie brauchen. Bei all dem stellen wir als GRÜNE das Leitbild „Housing First“ in den Mittelpunkt unserer Politik für Obdach- und Wohnungslose.

Housing First zum Leitmotiv der Hamburger Wohnungslosenhilfe machen

Im Mittelpunkt der Politik für Obdach- und Wohnungslose steht der Mensch mit seiner Würde und seinem Recht auf eine eigene Wohnung und einem Recht auf Schutz und Privatsphäre. Daher wollen wir das durch Grüne erfolgreich angeschobene Modellprojekt Housing First verstetigen und den Housing First Ansatz zum Leitmotiv der Hamburger Obdach- und Wohnungslosenhilfe machen und dementsprechend ins Regelsystem überführen. Der Zugang zu Wohnraum steht dabei am Anfang und im Mittelpunkt, aber nicht isoliert. Die wohnbegleitenden Hilfen wollen wir ausbauen und langfristig absichern, um strukturelle Hürden beim Zugang zu Wohnraum zu überwinden.

Beim Ziel, alle Menschen angemessen mit Wohnraum zu versorgen, sind Wohnungen das knappe Gut. Neben weiter intensiviertem sozialem Wohnungsbau, insbesondere für vordringlich Wohnungssuchende (siehe Beschluss LMV von 25.02.2023 „Deine Stadt, dein Viertel – lebenswertes Hamburg für alle“), setzen wir uns für stärkere Wohnraumakquise im Bestand ein. Dafür stellen wir den freien Trägern Ressourcen und Kompetenzen zur Verfügung, um ihren Klient*innen bei der Wohnraumsuche zu helfen. Und wir schaffen ein hamburgweites soziales Maklerbüro, das für die unterschiedlichsten Träger Wohnungen auf dem freien Markt akquiriert und auf ein gezieltes Förderinstrumentarium für potentielle Vermieter*innen zugreifen kann. Wir setzen uns bundespolitisch dafür ein, dass die Kommunen ein taugliches Vorkaufsrecht erhalten – nicht nur in Gebieten mit sozialer Erhaltensverordnung. Unser Ziel ist es, den Wohnungsbestand in öffentlicher Hand und bei gemeinwohlorientierten Trägern deutlich und kontinuierlich auszubauen. Um den Bau von Wohnungen für vordringlich Wohnungssuchende zu fördern, wollen wir die Wohnungsbauprämie für die Bezirke pro Baugenehmigung für WA-gebundene Wohnungen verdoppeln. Noch vorhandene Freistellungsgebiete werden wir nicht verlängern. Die SAGA soll zukünftig jede zweite freiwerdende Wohnung an vordringlich Wohnungssuchende vermieten.Auch in der öffentlichen Unterbringung wollen wir prioritär auf den Ansatz Housing First und Steigerung des sozialen Wohnungsbestandes setzen. Immer wenn möglich, sollen Unterkünfte nach dem Konzept „Zukunft Wohnen“ gebaut werden und von Anfang an so belegt werden, dass die einzelnen Wohnungen so schnell wie rechtlich möglich im Rahmen eines normalen Mietverhältnisses an die Bewohner*innen vergeben werden können. Auch die aktive Ankaufpolitik von Fördern & Wohnen begrüßen wir und wollen diese weiter verstärken. Dabei soll gezielt Wohnraum für große Familien geschaffen werden, so dass diese die Chance erhalten die öffentliche Unterbringung zu verlassen. Trotz der angespannten Lage wollen wir auf gute Mindeststandards achten. Gewalt- und Kinderschutzpläne müssen weiterhin für jede Unterkunft erarbeitet und umgesetzt werden. Menschen mit psychischen und/oder körperlichen Beeinträchtigungen müssen angemessen mit Blick auf ihre spezifischen Bedürfnisse untergebracht werden, dafür wollen wir ein für neu ankommende Geflüchtete ein systematisches Identifikationsverfahren zur Bedarfsfeststellung einführen.

Prävention stärken und Wohnraumverlust verhindern

Um den Verlust von Wohnraum zu minimieren, wollen wir Zwangsräumungen noch besser verhindern und darauf dringen, die rechtlichen Möglichkeiten von Kündigungen wg. Eigenbedarf oder aufgrund von finanziellen Problemlagen weiter einzuschränken. Ein besonderes Problem sind verhaltensbedingte Kündigungen, die nicht selten mit psychischen Erkrankungen bei Betroffenen einhergehen. Hier wollen wir Hilfestrukturen etablieren, die den Verbleib in der Wohnung unterstützen und bei Konflikten zwischen betroffenen Mieter*innen und Nachbarschaft sowie Wohnungsverwaltung zu Lösungen beitragen.

Auch wenn Wohnraumverlust aufgrund von Mietschulden in den allermeisten Fällen verhindert werden kann, scheitern Wohnraumsicherung oder -gewinnung trotzdem zu häufig an überlasteter Sachbearbeitung zur Leistungsbewilligung. Wir setzen uns daher dafür ein, dass Anträge, die Kostenübernahme von Mieten bzw. Umzügen beinhalten beim Jobcenter und bei den Grundsicherungsämtern prioritär bearbeitet werden.

Die bezirklichen Fachstellen für Wohnungsnotfälle sind eine wichtige behördliche Institution, um Wohnraumverlust zu verhindern und vordringlich Wohnungssuchende mit Wohnraum zu versorgen. Sie arbeiten seit Jahren am Anschlag, haben immer neue Herausforderungen zu bewältigen und leider unter Fluktuation und Fachkräftemangel. Wir wollen die Arbeit der Fachstellen daher extern evaluieren lassen, um ihre gute und wichtige Arbeit nachhaltig zu verbessern und
strukturell zu stärken.Während Menschen (kurzzeitig) in Haft sind oder für längere Zeit stationär in einer Klinik sind, muss durch das Sozialmanagement unbedingt der Wohnraum gesichert werden.

Niedrigschwellige Hilfen ausbauen und Zugänge zu nachhaltigen Hilfen für alle sicherstellen

Tagesaufenthaltsstätten, Straßensozialarbeit und weitere niedrigschwellige Hilfen sind wichtige Unterstützungsangebote für das Überleben auf der Straße. Hier erhalten Obdachlose u.a. warmes Essen, können duschen und ihre Wäsche waschen sowie Postadressen und Verwahrkonten anlegen. Der Kontakt zu der Sozialarbeit ist dabei häufig der erste und wichtigste Schritt zum Weg aus der
Obdachlosigkeit. Dabei greifen sie auf ein umfangsreiches System der Notunterbringung zurück. Diese Notunterkünfte bieten obdachlosen Menschen im Rahmen der Gefahrenabwehr kurzzeitig ein Dach über dem Kopf, Schutz vor Erfrierung und sanitäre Angebote sowie medizinische Grundversorgung. Aktuell besteht das Notunterkunftssystem in Hamburg im Kern aus dem Winternotprogramm sowie den Notübernachtungsstellen. Wir wollen das Notübernachtungssystem in Hamburg entlang des für alle geltenden Rechtes auf Gesundheit weiterentwickeln und setzen uns dabei für dezentrale, kleinere Angebote ein, die ganzjährig und ganztägig zur Verfügung stehen. Dabei sollen passende Angebote für spezielle Zielgruppen, z.B. für Jungerwachsene, Frauen oder Trans-Personen vorgehalten werden. Auch Menschen ohne sozialrechtliche Ansprüche oder im irregulären Aufenthalt sollen Zugang zu diesen Unterbringungsangeboten erhalten. Die Unterbringung in Einzelzimmern streben wir als Standard an, auch um die Akzeptanz der Angebote zu verbessern. Außerdem braucht es mehr Angebote, die speziell auf suchtkranke Menschen und auch Menschen mit Tieren eingestellt sind. Diese Angebote sollen im ersten Schritt das bisherige Angebot ergänzen und später ersetzen. Jede*r Obdachlose muss schnell und unkompliziert Zugang zu einem Übernachtungsplatz erhalten können – dafür braucht es barrierefreie Angebote, Abbau sozialrechtlicher Hürden und eine Vielfalt, so dass Obdachlose ein für sie passendes Angebot aufsuchen können.

Die gesundheitliche Versorgung von Menschen in Obdachlosigkeit und Menschen ohne Krankenversicherungsschutz wird in unserer Stadt zum Großteil von Ehrenamtlichen gestemmt. Ohne dieses freiwillige Engagement ginge es gar nicht, diese stoßen aber zunehmend an Kapazitätsgrenzen. Die gesundheitliche Lage von Obdachlosen wird immer gravierender. Es gilt daher professionelle Strukturen auszubauen, um Menschen in Obdachlosigkeit (und andere Menschen ohne Krankenversicherung)
dauerhaft, nachhaltig und verlässlich helfen zu können. Die Arbeit der Hamburger Clearingstelle, an die sich Menschen ohne oder mit unzureichendem Kranversicherungsschutz auch anonym wenden können, um ihre Ansprüche klären zu lassen und in Behandlung vermittelt zu werden, wollen wir weiter unterstützen und ausbauen. Grundsätzlich ist es unser Ziel, die Menschen (wieder) in
Krankenversicherungsschutz zu bringen. Um die Wege aus der Obdachlosigkeit zu vereinfachen, setzen wir uns für einen unbürokratischen Schuldenerlass bei der Krankenkasse ein, wenn Obdachlose sich eine Meldeadresse nachweisen.

Uns ist es ein wichtiges Anliegen, sowohl niedrigschwellige Hilfen, als auch Angebote der Notunterbringung dezentral und sozialräumlich aufzustellen. Die Angebote der ambulanten Sozialpsychiatrie sollten dabei zukünftig auch die Zielgruppe obdachloser Menschen besser versorgen. Die digitale Teilhabe von obdachlosen Menschen soll u.a. durch in den Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe flächendeckend zur Verfügung stehendes WLAN und durch Zugang zu IT-Infrastruktur gestärkt werden.

Unser Ziel und Anliegen ist es insgesamt, Menschen nachhaltig zu helfen und in Wohnraum und unterstützende Hilfen zu vermitteln. Doch dieser Weg ist für viele obdachlose Menschen sozialrechtlich versperrt, so machten schon in der letzten
Zählung 2018 Bürger*innen ohne deutschen Pass 61 Prozent der obdachlosen Menschen in Hamburg aus. Wir wollen die gesetzlichen Rahmenbedingungen auf Bundesebene ändern und den Zugang von EU-Bürger*innen zu Sozialleistungen und gesundheitlicher Versorgung deutlich erleichtern, so dass auch sie existenzsichernde Leistungen und nachhaltige Hilfen erhalten können. Menschen
migrieren nicht aufgrund von Sozialleistungen nach Deutschland, sondern sie kommen nach Hamburg, um hier zu arbeiten. Sie vor Verelendung zu schützen und bei ihrem Wunsch nach Arbeit und Wohnen zu unterstützen, nützt uns allen und ist perspektivisch günstiger, als sie weiterhin weitestgehend von Sozialleistungen
auszuschließen. Obdach- und wohnungslose Menschen werden leicht Opfer von Diskriminierung und
brauchen besonderen Schutz und spezifische Angebote. Sie haben wie alle anderen
ihren Platz im öffentlichen Raum und dürfen nicht verdrängt werden. Nicht häufig ist die Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, (zugeschriebener) Herkunft, Religion oder Behinderung usw. sogar Ursache für Obdach- oder Wohnungslosigkeit und Hindernis bei der Wohnraumvermittlung, deswegen muss Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt ein Ende haben. Dafür wollen wir das Antidiskriminierungsrecht stärken. Vulnerable Gruppen sind auch unter den Wohnungslosen häufiger von Gewalt betroffen. Es braucht daher spezielle Schutzangebote und besondere Maßnahmen zur Prävention und Wohnraumvermittlung für diese Zielgruppen.

Eine besondere Zielgruppe sind die sogenannten Care Leaver, Jungerwachsene, die aus den (stationären) Angeboten der Jugendhilfe altersbedingt entlassen werden und besonders häufig von Wohnungslosigkeit bedroht sind. Wir setzen uns dafür ein, dass junge Erwachsene zukünftig aus der Jugendhilfe nicht mehr in die Wohnungslosigkeit entlassen werden und bei Bedarf auch bis zum 27. Lebensjahr in die Angebote der Jugendhilfe zurückkehren dürfen, so dass junge Menschen sich in sicheren Rahmenbedingungen auf Studium oder Ausbildung konzentrieren können – auch wenn sie kein eigenes familiäres Auffangnetz haben.

Ziel der Beendigung von Obdach- und Wohnungslosigkeit ernst nehmen und mit entsprechender Priorität angehen

In der kommenden Legislaturperiode müssen die Weichen neu gestellt werden, um das Ziel der Überwindung von Obdach- und Wohnungslosigkeit bis 2030 zu erreichen. Auch wenn insbesondere die Überwindung von Wohnungslosigkeit mit Blick auf den Wohnungsmarkt und den kontinuierlichen Zugang von Geflüchteten in die öffentliche Unterbringung schwerfallen wird. Als Grüne setzen wir uns dafür ein, dass Politik, Verwaltung und freie Träger konstruktiv und auf Augenhöhe zusammenarbeiten, um Obdachlosigkeit zu überwinden und Wohnungslosigkeit mindestens stark zu reduzieren. Die Stadt muss die nötigen Kapazitäten und Ressourcen zur Verfügung stellen, sowohl in den eigenen Dienststellen als auch bei den freien Trägern und das Subsidiaritätsprinzip nutzen. Obdachlosigkeit zu überwinden ist eine Kraftanstrengung, die nur gemeinsam und nur mit der entsprechenden Prioritätensetzung erreicht werden kann. Dabei brauchen wir die Teilhabe und Partizipation der Verbände der der freien Träger und wollen innovative Beteiligungsformate von (ehemals) Obdachlosen sowohl bei Planung neuer Ansätze als auch bei der Umsetzung der Angebote fördern.

Um Obdach- und Wohnungslosigkeit deutschlandweit nachhaltig zu überwinden, müssen wir Armut effektiv bekämpfen und den Wohnungsmarkt gerechter gestalten. Damit ist Politik für Wohnungslose, eine wichtige Politik für viele armutsbetroffene Menschen und für den Zusammenhalt der gesamten Gesellschaft.