Circa 5300 Personen befanden sich in Hamburg laut einer Erhebung 2022 in Haft –bundesweit sind es rund 55.000 Menschen. Dabei bewegt sich der Anteil von inhaftierten Frauen laut statista recht kontinuierlich bei ca. 5%.
In den letzten vier Jahren hat die grün geführte Justizbehörde viel für die Verbesserung der Situation von Menschen in Haft getan. In der Corona-Pandemie, die auch den Justizvollzug vor ähnlich große Herausforderungen gestellt hat wie Alten- und Pflegeheime, wurde durch schnelles und umfassendes Handeln das Infektionsgeschehen klein gehalten und eigene Impfaktionen für Bedienstete und Beschäftigte haben dafür gesorgt, dass auch bei einer Infektion Schutz vor schlimmen Krankheitsverläufen bestand.
Doch neben diesen pandemiebedingten Maßnahmen, ist in dieser Zeit auch viel vorangebracht worden, was langfristig wirkt. Dazu gehören Videobesuche, die zusätzlich zum normalen Besuch möglich sind, die Einführung der Haftraumtelefonie, die das Telefonieren mit Privatsphäre ermöglichen und dazu noch deutlich günstiger, als das früher der Fall war. Die regelhafte Ausstattung mit Radio und Fernseher verbessern ebenfalls die Situation. Da, wo es möglich ist wurden im Rahmen von Sanierungsmaßnahmen verstärkt Möglichkeiten geschaffen, alleine zu duschen und die großen Schlafsäle von bis zu sechs Personen gehören der Vergangenheit an.
Ganz besonders stehen neben weiteren baulichen Veränderungen in der Justizvollzugslandschaft derzeit die Menschen im Vollzug im Fokus, die mit psychischen oder psychiatrischen Auffälligkeiten oder Diagnosen besondere Unterstützung brauchen. Dabei spielen auch Suchterkrankungen eine erhebliche Rolle.
Psychische und psychiatrische Erkrankungen nehmen in unserer Gesellschaft seit Jahren zu. Diese Entwicklung spiegelt sich auch im Justizvollzug. Deshalb hat die Justizbehörde verschiedene Maßnahmen ergriffen. Neben einer Studie zum Thema Suizide im Vollzug, wurde Versorgung der Inhaftierten durch mehr Psycholog*innen gestärkt; die Arbeitstherapie wird gerade neu aufgebaut und Hamburg startet im April ein Projekt „Versorgung psychisch erkrankter Inhaftierter im Justizvollzug“ gemeinsam mit UKE. Dieses Projekt dient der Vorbereitung der Einrichtung einer psychiatrischen Kurzzeitstation im Zentralkrankenhaus.
Gute Gesundheitsversorgung ist eine zentrale Säule der Resozialisierung
Die medizinische Versorgung hat im Hamburgischen Justizvollzug einen hohen Stellenwert. Eine Vielzahl von Inhaftierten erhalten im Vollzug erstmals überhaupt eine umfassende medizinische Versorgung.
Im Justizvollzug gilt das Äquivalenzprinzip: das bedeutet, Gefangene haben einen gleichwertigen Anspruch auf medizinische Versorgung wie gesetzlich Krankenversicherte außerhalb des Justizvollzuges[1]. Medizinische Untersuchungen, Beratungen und Behandlungen von Strafgefangenen werden in Deutschland durch die Justizkassen der jeweiligen Länder, in denen Menschen inhaftiert sind, getragen.
De facto haben Gefangene damit häufig eine sehr gute Versorgung, weil es im Vollzug eine hohe Facharztdichte gibt und häufig sehr viel kürzere Wartezeiten als außerhalb des Vollzuges. Durch die enge Verzahnung der Disziplinen und die „kurzen Wege“ ist eine bestmögliche Versorgung der Patient*innen sichergestellt.
Es gibt 24/7 einen ärztlichen Anwesenheitsdienst, welcher jederzeit die Versorgung der Inhaftierten sicherstellen kann. Im Übrigen unterscheidet der Justizvollzug nicht zwischen Menschen mit (vorheriger) KV-Mitgliedschaft und ohne. Das heißt, dass auch Menschen ohne ausländerrechtlichen Status bzw. ohne Fiktionsbescheinigung und damit ohne Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen KV für medizinische Behandlungen in Haft gleichgestellt sind.
Doch gibt es auch Themen, wo wir die Zeit in Haft besser umfassender nutzen könnten. Unser Anliegen ist es, sicherzustellen, dass gesundheitliche Versorgung in Haft tatsächlich zu jedem Zeitpunkt und im Falle jeder Erkrankung mindestens so gut ist wie in Freiheit und dass außerdem die Übergange zwischen Inhaftierung und Rückkehr in den Alltag optimal gelingen.
Daher wollen wir dieses Thema landes- und bundespolitisch weiter voranbringen:
Eine gute Datenbasis bundesweit braucht es als Grundlage für stetige Verbesserungen
Eine Große Anfrage der Regierungsfraktionen (Drs. 22/12329) in Hamburg aus Juli 2023 gibt einen guten Überblick über die derzeitige Situation und zeigt auf, dass insbesondere in den Themenfeldern der psychischen Gesundheit sowie in Bezug auf Sucht- und Infektionserkrankungen bei Inhaftierten großer Handlungsbedarf besteht. Denn gerade von diesen Erkrankungen sind Inhaftierte überdurchschnittlich häufig betroffen.
Stoffgebundene Suchterkrankungen werden zu Beginn der Haft im Rahmen der Eingangsuntersuchung in Hamburg regelhaft erfasst und dokumentiert, sofern die Untersuchten sie zugeben oder sie offensichtlich sind. Bei insgesamt 1873 in Hamburg inhaftierten Personen wurde laut Anfrage mit Stichtag 31.März 2023 demnach eine Substanzabhängigkeit diagnostiziert. Dies entspricht etwa 29% aller Gefangenen. Nicht erfasst werden in der Eingangsuntersuchung und in der Statistik insgesamt bisher stoffungebundene Süchte wie die Abhängigkeit von Glücksspiel.
Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie (DGPPN) hat kürzlich dem Strafvollzugsausschuss der Länder ein neues Erhebungsinstrument vorgestellt, welches nun erstmals bundesweit eingesetzt wird.
Wir wollen, dass Hamburg sich im Strafvollzugsausschuss der Länder dafür einsetzt, dass auch über die jetzige Datenerhebung hinaus künftig regelmäßig und bundesweit standardisiert Daten erhoben werden, um somit fortlaufend die Entwicklungen vergleichend analysieren und Maßnahmen ableiten zu können. Hierbei sollen neben stoffgebundenen auch anerkannte stoffungebundene Süchte wie Glücksspielabhängigkeit mit einbezogen und in geeigneter Weise erfasst werden.
Infektionskrankheiten eindämmen – konsequent auch in Haft!
Die WHO hat in Bezug auf die Infektionskrankheiten HIV und Hepatitis C das Ziel ausgegeben, dass diese möglichst bis 2030 weltweit eliminiert sein sollten, Deutschland hat sich diesem Ziel mit verpflichtet. Um daran ernsthaft zu arbeiten, ist es dringend notwendig, die Infektionskrankheiten schnell zu erkennen und zu behandeln, damit sie durch die Infizierten nicht unwissentlich weiter übertragen werden. Infektionen über ungeschützten Geschlechtsverkehr oder verunreinigte Utensilien bei intravenösem Drogenkonsum sind die häufigsten Übertragungswege bei HIV und Hepatitis C und Inhaftierte sind von diesen Infektionskrankheiten leider überdurchschnittlich oft betroffen. Bezüglich Hepatitis C schätzt man, dass in Deutschland ca. 0,25% der Bevölkerung infiziert sind, während der Anteil der Infizierten speziell unter Inhaftierten bei vermuteten 2-3% liegt. Auch in Bezug auf HIV gibt es Schätzungen, dass die Infektionsraten in Haft etwa 20-mal höher sind als in der Allgemeinbevölkerung.
Es ist somit elementar – auch um die WHO-Ziele zu erreichen – dass gerade diese Menschen direkt im Rahmen der Eingangsuntersuchung möglichst flächendeckend getestet und dann im Infektionsfall auch schnell behandelt werden. Denn es ist im Sinne von uns allen als Bevölkerung, dass diese Infektionskrankheiten nicht unentdeckt bleiben und dann möglicherweise in der Haft selbst oder nach einer Entlassung in Freiheit wieder weitergetragen werden.
In Hamburg werden nach Auskunft der Justizbehörde in der Anfrage 22/12329 alle Inhaftierten „mit entsprechendem Risikoprofil und/oder auf Wunsch“ im Rahmen der Eingangsuntersuchung auf HIV, Hepatitis B, Hepatitis C und Syphillis getestet. Um möglichst niemanden zu übersehen, sollten diese Testungen künftig allen Inhaftierten angetragen werden – und zwar nicht nur in Hamburg, sondern bundesweit in sämtlichen Haftanstalten. Dafür soll Hamburg sich im Strafvollzugsausschuss der Länder einsetzen.
Wird im Rahmen der Untersuchung tatsächlich eine Infektionskrankheit festgestellt, so muss es vorrangiges Ziel sein, möglichst schnell mit einer Behandlung zu beginnen, damit diese nicht weitergetragen werden kann. In Hamburger Justizvollzugsanstalten wurden nach den Auskünften in der Großen Anfrage im Jahr 2022 insgesamt 99 Personen mit HIV-Infektion, 15 mit HepatitisBund 3 mit Hepatitis C behandelt. Leider gibt es insbesondere in Bezug auf Hepatitis C keine Auskunft dazu, bei wievielen Personen zwar eine Infektion festgestellt wurde, aber keine Behandlung erfolgte. Denn laut Justizbehörde erfolgt die Behandlung insbesondere dann, wenn absehbar ist, dass die Person mindestens für die Dauer der Behandlung auch noch in Haft sein wird.
Uns ist es wichtig, dass wirklich sämtlichen Inhaftierten, bei denen die Infektionen festgestellt wird, möglichst schnell eine Behandlung ermöglicht werden kann. Sofern der Zeitpunkt der Entlassung aus der Haft voraussichtlich in den Behandlungszeitraum fällt, darf dies kein automatischer Ausschlussgrund sein. Es soll im Einzelfall geprüft werden, wie in Zusammenarbeit mit den behandelnden Ärzten und der Fachstelle Übergangsmanagement, dafür gesorgt werden kann, dass die Therapie auch nach Haftentlassung möglichst abgeschlossen wird. Die Kosten hierfür sind von der Gesundheitsbehörde zu tragen.
Insgesamt ist die Behandlung von Infektionskrankheiten in Haft nicht günstig – für regulär Krankenversicherte summieren sich die Kosten allein für die Medikamente einer modernen Hepatitis C– Therapie auf ca. 60.000 Euro. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Krankenkassen mit den Herstellern in der Regel Rabattverträge abschließen.
Müssen die Medikamentenkosten hingegen bei Inhaftierten durch die Justizkassen getragen werden, können die Kosten durchaus noch einmal signifikant höher sein. Hersteller entsprechender Medikamente sollten sich daher verpflichten, diese auch für die Behandlung von Menschen in Haft mindestens zu den gleichen Preisen abzugeben. Noch wünschenswerter wäre sogar eine noch günstigere Abgabe, damit die hohen Kosten auch für die Staatskasse nicht als übermäßige Belastung empfunden werden und infizierte Inhaftierte tatsächlich auch zur Therapie ermutigt werden.
Suchterkrankungen: Therapien und Substitution bestmöglich individuell ermöglichen
Circa 29% aller in Hamburg Inhaftierten weisen nach den Auskünften in der Großen Anfrage 22/12329 eine Suchterkrankung auf. Dabei hat über die Hälfte dieser Personen einen multiplen Substanzgebrauch, das heißt, dass regelmäßig mehrere Suchtmittel konsumiert werden und nicht eine einzige Substanz klar abgegrenzt werden kann, von der die Abhängigkeit besteht. Etwa 6% der Inhaftierten sind hingegen nach der Auskunft reine Opioid-Abhängige, bei jeweils 3% der Gefangenen in Hamburg bestehen eindeutig diagnostizierte Abhängigkeiten jeweils von Alkohol und Cannabinoiden.
Gerade für all jene, die von Opioiden abhängig sind, ist die Ermöglichung oder auch Weiterführung einer bereits begonnenen Substitutionstherapie elementar wichtig. Dafür müssen sämtliche Bundesländer es rechtlich verankern, dass in ihren Haftanstalten mit allen Substituten auch substituiert werden darf, damit die Inhaftierten jeweils die für sie beste Therapiemöglichkeit bekommen. Auch eine Substitution mit Diamorphin gilt es zu ermöglichen, wenn diese von den Inhaftierten gewünscht ist und alle Voraussetzungen dafür nach Betäubungsmittelverschreibungs- Verordnung erfüllt sind.
Suchtberatung in Haft ist darauf ausgerichtet, mit den Inhaftierten auszuloten,welche Entzugs- und Therapiemöglichkeiten für sie bestehen und sie daraufvorzubereiten. Alle Inhaftierten müssen zu jedem Zeitpunkt der Haft Zugang zu Suchtberatungsangeboten haben.
Ein wichtiger Hebel, um sie in Therapie zu vermitteln ist eigentlich der §35 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG), der auch unter dem Titel „Therapie vor Strafe“ bekannt ist. Er regelt Folgendes: Ist jemand wegen einer Straftat zu einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren verurteilt worden und ergibt sich aus den Urteilsgründen oder steht sonst fest, dass er die Tat aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hat, kann die Vollstreckungsbehörde mit Zustimmung des Gerichts die Vollstreckung der Strafe, eines Strafrestes oder der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für längstens zwei Jahre zurückstellen.
Auf Initiative Hamburgs hat sich die Justizministerkonferenz im Frühjahr 2022 mit der Zurückstellung der Strafvollstreckung bei Abhängigkeitserkrankungen vertieft befasst und dazu Beschlüsse gefasst. So wurde das Bundesjustizministerium unter anderem gebeten zu prüfen, wie auch in Fällen von nicht unter § 35 BtMG fallenden Abhängigkeitserkrankungen eine Zurückstellung der Strafvollstreckung zur Behandlung der Abhängigkeitserkrankungen zu ermöglicht werden kann.
Leider ist der Bundesjustizminister dieser Bitte nicht nachgekommen, woraufhin der Bundesrat auf Initiative Hamburgs diese Aufforderung ebenfalls beschlossen hat.
Diese Prüfbitte hat die BReg dahingehend beantwortet, dass sie eine Ausdehnung des Instrumentariums der §§ 35 ff. BtMG für alle stoffgebundenen oder nicht stoffgebundenen Suchtmittelabhängigkeiten nicht für angezeigt hält (Drucksache 20/5913 vom 6. März 2023).
Damit wurde eine Chance vertan, dieses wichtige Instrument zum Beispiel auch für die weit verbreitete Alkoholsucht oder Glücksspielsucht zur Anwendung zu bringen. Und auch die Substanz Cannabis fällt jetzt nicht mehr unter das BtMG, so dass es dafür ebenfalls dieser Reform bedarf.
Hinzu kommt in Bezug auf den §35 BtMG zudem, dass den Ländern die Anwendung dadurch erschwert wird, dass sich Krankenkassen aus der Verantwortung ziehen und die Kosten nicht tragen wollen. Zum Zeitpunkt der Beantragung sind die Inhaftierten noch in Haft und nicht krankenversichert, doch sobald sie in eine Therapie wechseln, kommen sie in den Bürgergeldbezug und damit wieder in ein Krankenversicherungsverhältnis.
Die Streitigkeiten zwischen den Kostenträgern über den Übergang von der Haft in Therapie verhindern momentan in vielen Fällen eine Therapieaufnahme.
Der Bundesrat hat kürzlich eine Initiative beschlossen, die hier eine gesetzliche Klarstellung vorsieht, um eindeutig die Krankenkassen bei der Finanzierung in die Pflicht zu nehmen. Hamburg hat das unterstützt und als Grüne unterstützen wir dieses Anliegen nachdrücklich. Wir wollen, dass diese Klarstellung nun schnell auch im Bundestag beschlossen wird, damit sie wirksam und die Betroffenen endlich wieder aus der Haft in Therapie kommen. Auch für Substituierte muss das möglich sein.
Als Grüne können wir uns auch gut vorstellen, das bestehende System der Kostentragung grundsätzlich zu überprüfen mit dem Ziel, grundsätzlich alle Inhaftierten über die gesetzlichen Krankenkassen zu versichern. Dies würde an sehr vielen Stellen mehr Sicherheit, Stabilität und Entlastung für die Betroffenen,den Justizvollzug und das Übergangsmanagement bedeuten.
Psychische Gesundheit –Ausbau des Maßregelvollzugs sowie Etablierung neuer Konzepte in den verschiedenen Haftformen
Psychische Gesundheit ist eine Grundvoraussetzung für ein Leben in Freiheit und damit ist die gute Behandlung psychischer und psychiatrischer Erkrankungen von Inhaftierten ein wichtiger Faktor zur Resozialisierung. Straftäter*innen mit schweren psychischen Erkrankungen und Suchterkrankungen, deren Taten auch auf diese Erkrankungen klar zurückzuführen sind, werden bei der Verurteilung häufig in den so genannten Maßregelvollzug ‚geschickt‘. Der Maßregelvollzug fällt offiziell auch in die Zuständigkeit der Gesundheits- oder Sozialministerien, da er darauf ausgelegt ist, im geschlossenen Setting vorrangig die Erkrankungen zu behandeln. In allen Bundesländern sind allerdings die Zahlen der Straftäter, die in den Maßregelvollzug kommen, in den letzten Jahrzehnten stark gestiegen.
Die Sozial- und Gesundheitsbehörden haben hierfür keine Vorsorge getroffen und hinken den Entwicklungen hinterher. Deshalb gibt es vielfach das Bestreben, die Unterbringung dieser Personen dem Strafvollzug aufzuerlegen. Zurzeit ist dies leider häufig der Fall, denn steht kein Platz im Maßregelvollzug zur Verfügung, müssen die Personen in Amtshilfe im Justizvollzug untergebracht werden. Zudem hat eine bundesweite Reform in 2023 die Einweisung speziell suchtkranker Straftäter*innen in den Maßregelvollzug noch einmal erschwert. Das ist jedoch klar der falsche Weg!
Es gibt einen guten Grund, warum der Gesetzgeber zwischen Maßregelvollzug und Strafvollzug unterscheidet. Auch wenn beides in der Regel ein geschlossenes Setting bietet, sind die Möglichkeiten, Fähigkeiten und die Ausbildung des Personals sehr verschieden. Der Justizvollzug kann und soll den Maßregelvollzug künftig nicht ersetzen. Vielmehr sind die Plätze im Maßregelvollzug bedarfsgerecht auszubauen und dadurch die Justizvollzugsanstalten zu entlasten!
In Hamburg lösen wir dieses Thema solidarisch. Die Sozialbehörde treibt engagiert den Platzausbau voran und die Justizbehörde hat der Sozialbehörde in der Übergangszeit eine Station des Zentralkrankenhauses zur Verfügung gestellt, sodass dort eine eigene Station des Maßregelvollzugs betrieben werden kann. Im Anschluss wird die Justizbehörde dort eine psychiartrische Kurzzeitstation einrichten für die Gefangenen, die unter der Haft besondere Auffälligkeiten zeigen und mehr brauchen als bislang anstaltsintern angeboten werden.
Zudem hat die DGPPN im Februar 2024eine Task-Force Gefängnispsychiatrie eingerichtet, um psychisch erkrankte Inhaftierte ins Versorgungsfeld zu rücken und eine Annährung von Allgemeinpsychiatrie, forensischer Psychiatrie und Gefängnispsychiatrie zu erlangen. Hamburg nimmt mit Vertreter:innen der BJV, Justizvollzug und Psychiatrie an der Task-Force Gefängnispsychiatrie teil.
Die Personalgewinnung wird ein zentraler Erfolgsfaktor für die Zukunft werden. Deshalb setzen wir uns dafür ein, dass die Arbeit mit diesen besonders herausfordernden Personengruppen und dem besonderen Arbeitsumfeld künftig besser vergütet wird. Wir begrüßen, dass Hamburg die Möglichkeiten geschaffen hat, auch Pflegekräfte im Justizvollzug zu verbeamten.
Im Bund sollte sich Hamburg ressortübegreifend dafür stark machen, dass die ärztliche Versorgung Inhaftierter regelhaft ins Medizinstudium integriert wird, um so auch mehr angehende Mediziner*innen dafür zu begeistern.
Sanfter Übergang in Freiheit – mit nahtloser Gesundheitsversorgung
Die medizinische Versorgung bei Haftbeginn konzentriert sich auf die Erfassung der Suchterkrankung, ggf. Entgiftung, ggf. Substitution sowie die medizinische Versorgung begleitender somatischer und psychiatrischer Komorbiditäten. Im weiteren Verlauf werden regelmäßige suchtmedizinische beziehungsweise nach Entgiftung reguläre primärärztliche Sprechstunden angeboten. Jeweils von dort aus ist die Überweisung zu Fachärzt:innen der Psychiatrie und anderer Fachrichtungen möglich.
Externe Suchtberatungen sind in Hamburg mehrmals in der Woche vor Ort in den Justizvollzugsanstalten und beraten alle Inhaftierten und Untergebrachten, die sich zur Sprechstunde oder zu einer Gruppe anmelden. In jeder Hamburger Justizvollzugsanstalt sind Ansprechpartner*innen im Vollzugsdienst hauptverantwortlich für die externen Suchtberatungsstellen zuständig und sichern die reibungslosen Abläufe in der Zusammenarbeit.
Für die Substituierten mit einem gesetzlichen Krankenversicherungsschutz vor Haftbeginn erfolgt der nahtlose Übergang in die weitere Substitutionsbehandlung im Stadtstaat Hamburg durch die Kooperation mit der Substitutionsambulanz Altona sehr gut.
Hier wäre es wichtig, dass dies künftig auch für Menschen gelingt, die vor Haftantritt nicht der gesetzlichen Krankenkasse angehörten und dass nahtlose Übergänge auch in allen anderen Bundesländern gut sichergestellt sind.
Der Hamburger Justizvollzug, das Übergangsmanagement und das Integrationscoaching der Teilanstalt für Frauen unterstützen die Inhaftierten bei der Kommunikation mit den Krankenkassen und versuchen, einen möglichst nahtlosen Übergang in die gesetzliche Krankenversicherung zu erreichen. Den Inhaftierten werden entsprechend Unterlagen ausgehändigt. Bei Bedarf wird Hilfestellung bei dem Ausfüllen und Versenden an die Krankenkassen gewährleistet. Die Inhaftierten werden zudem schriftlich über die erneute Inanspruchnahme von Krankenversicherungsleistungen informiert. Mit diesen Unterlagen und dem Entlassungsschein müssen die Inhaftierten dann Kontakt zu ihrer Krankenkasse aufnehmen, um den Krankenversicherungsschutz zu erneuern. Strafgefangene werden nach den Vorgaben des HmbResOG sechs Monate vor und sechs Monate nach der Haftentlassung durch Fallmanager*innen des Übergangsmanagements auch hinsichtlich der Erlangung eines Krankenversicherungsschutzes betreut.
In der Untersuchungshaft hat Hamburg in diesem Jahr zudem ein bundesweit einmaliges Angebot geschaffen. Da in der Untersuchungshaft die Unschuldsvermutung gilt, gibt es hier üblicherweise deutlich weniger Hilfestellung als in der Straftat. Dabei erfahren die Inhaftierten hier einen großen Bruch mit ihrem bisherigen Leben, die Unsicherheit die mit dem ausstehenden Prozess verbunden ist belastet zusätzlich und gerade, weil hier die Unschuldsvermutung gilt und jemand auch zu Unrecht Untersuchungshaft erleiden könnte, braucht es besondere Hilfestellung. Diese stellt Hamburg jetzt mithilfe eines externen Trägers in Form von Übergangscoaches zur Verfügung, die mit den Inhaftierten an ihren Problemen arbeiten. Das kann Suchterkrankungen, Familienprobleme, Schulden oder auch die Klärung des ausländerrechtlichen Status betreffen.
Insgesamt ist für uns klar: Insbesondere für eine nahtlose Gesundheitsversorgung ist es wichtig, dass der Übergang von der Haft in die Freiheit nahtlos verläuft und der Wechsel in der Zuständigkeit des Kostenträgers von den Justizkassen zur Krankenversicherung keinen großen Umbruch für die Betroffenen mit sich bringt. Wir wollen uns deshalb bundesweit dafür stark machen, dass gerade Menschen, die regelmäßige Medikation und Behandlung brauchen, nicht zum Wochenende hin entlassen werden. Denn wer Freitag Nachmittag frei kommt und dann erstmal mindestens 2 Tage keine Arztpraxis und keine Behörde erreicht, kommt häufig bereits direkt in diesem Zeitraum wieder in gesundheitliche Schwierigkeiten. Gerade auch bei Substituierten finden dann besonders häufig Rückfälle und leider auch Überdosierungen mit Substanzen vom Schwarzmarkt mit Todesfolge statt. Das muss nicht sein!
Hier die wichtigsten Forderungen aus diesem Antrag noch einmal im Überblick – wir wollen:
• Eine ernsthafte Prüfung der rechtlichen Möglichkeiten, Inhaftierte in Deutschland regulär krankenversichern, um darüber eine äquivalente Versorgung bei sämtlichen Erkrankungen und Therapien zu gewährleisten.
• Deutschlandweit auch auf Grundlage des gerade in der Erprobung befindlichen neuen Erhebungsinstruments der DGPPN eine einheitliche Datenbasis zum Gesundheitszustand Inhaftierter schaffen, um darauf aufbauend gemeinsam bundesweit an verbesserten Behandlungs- und Therapiemöglichkeiten zu arbeiten.
• Einbeziehung von Glücksspielsucht und anderen anerkannten stoffungebundenen Süchten bundesweit und auch in Hamburg in die Statistik.
• Flächendeckendes Testangebot für Inhaftierte auf Infektionskrankheiten direkt zu Beginn der Haft – auch für jene, die bisher noch nicht als Risikogruppen eingestuft sind.
• Konsequente Behandlung von Infektionskrankheiten direkt nach der Diagnose – unabhängig davon, ob der Behandlungszeitraum ggf. über den Zeitraum der Inhaftierung hinausgeht. Sofern dies geschieht, muss eine Anschlussfinanzierung durch das Gesundheitsamt gesichert erfolgen.
• Verhandlungen mit den Krankenkassen über Rabatte für Medikamente, um gerade für kostspielige Medikamente mindestens die gleichen Konditionen zu haben wie große Krankenkassen.
• Bedarfsgerechten Ausbau des Maßregelvollzugs
• Konsequenter dauerhafter Zugang zu Suchtberatung in Haft nach Hamburger Vorbild für alle Inhaftierten bundesweit.
• Reform des §35 BtMG („Therapie vor Strafe“), um die Kostenträgerschaft der Therapie sowie den Zugang zur Therapie auch für Substituierte klarzustellen.
• Schaffung einer zu §35 BtMG äquivalenten neuen bundesweiten gesetzlichen Grundlage außerhalb des Betäubungsmittelgesetzes, die auch den Zugang zu Therapie für Suchtkranke sicherstellt, die von Substanzen oder Verhaltensstörungen abhängig sind, welche nicht unter das BtMG fallen.
• Bundesweit verpflichtende Kooperationen zwischen Haftanstalten und psychotherapeutischen externen Behandlungsangeboten, die eine schnelle gute psychotherapeutische Versorgung Inhaftierter in kurzer Zeit sicherstellen.
• Einsatz für eine regelhafte Einbeziehung der Behandlung von Menschen in Haft ins Medizinstudium, um mehr angehende Ärzt*innen hierfür zu gewinnen.
• Sicherstellung eines nahtlosen Übergangs bei der gesundheitlichen Versorgung von der Haft in die Freiheit bundesweit – dafür möglichst keine Entlassungen von Menschen in dauerhaftem Behandlungssetting zum Wochenende hin!