Sie suchen auf der tödlichsten Fluchtroute der Welt nach Menschen in Seenot, kämpfen gegen das Ertrinken oder sie unterstützen schutzsuchende Menschen mit einer basismedizinischen Versorgung in Griechenland und auf dem Balkan. In den vergangenen Jahren gaben viele Ehrenamtliche in verschiedenen Staaten der Europäischen Union alles dafür, Menschen auf dem Mittelmeer vor dem Ertrinken zu retten oder ihnen an Land zu helfen. Es ist eine konstruktive Antwort, eine menschenrechtsbasierte Antwort auf das Scheitern der Migrationspolitik Europas. Es ist eine Antwort die tausende Menschenleben gerettet hat. Eine Antwort, die politische und gesellschaftliche Unterstützung und Anerkennung verdient.
Die Europäische Union hat nicht die Kraft aufgebracht sichere Fluchtwege zu schaffen; sie hat es nicht geschafft, eine gemeinsame solidarische Flüchtlingspolitik zu machen. Die Konsequenzen sind verheerend für die Lage der Menschenrechte und damit für Millionen schutzsuchende Menschen. Obwohl es kein europäisches Land gibt, das es sich ökonomisch leisten kann in Zukunft auf Zuwanderung verzichten kann, reagieren viele Staaten mit strengeren Regeln und die EU mit einer neuen gemeinsamen Außen und Sicherheitspolitik, die ebenfalls darauf angelegt ist, Menschen die so prekär leben, dass sie fliehen, die Umstände der Flucht bzw. deren Erfolgsaussichten zu erschweren.
Die zivilen Seenotretter:innen die auf Grundlage des internationalen Rechts Menschen vor dem Ertrinken retten und sie dann in einen sicheren Hafen bringen müssen, sehen sich bereits seit Jahren ebenfalls zunehmender, systematischer Kriminalisierung und Drangsalierung gegenüber. Die sogenannte lybische Küstenwache richtete mehrfach scharfe Waffen auf deutsche Seenotretter:innen, die italienische Politik setzt deutsche Rettungsschiffe fest und verletzt damit auch die Rechte des deutschen Flaggenstaates, weil nur die deutschen Flaggenstaatsbehörden das Verhalten deutscher Schiffe in internationalen Gewässern regulieren und sanktionieren dürfen. Oder Italien verhindert direkt und wochenlang den so wichtigen Einsatz der Rettungsschiffe mit fadenscheinigen Begründungen, sodass für viele Menschen in Seenot keine Hilfe mehr kommen kann. Die Zahl der Todesopfer ist in 2023 im Vergleich zum Vorjahr wieder angestiegen.
All das ist nicht neu. All das kennen wir. Gegen all das haben wir als Grüne politisch in Deutschland und Europa gekämpft. Wir haben stets staatliche Rettungsmissionen gefordert- damit die Staaten der Europäischen Union selbst dafür sorgen, dass Menschenrechte wirklich universell und unteilbar sind. Doch wir müssen anerkennen, dass wir an dieser Stelle politisch versagt haben.
Auch Deutschland hat es nicht vermocht, sich in der aufgeheizten und teils sehr unsachlich und wissenschaftlich wenig fundiert geführten Migrationsdebatte dem Trend des Abbaus von Rechten Schutzsuchender entgegenzustellen.
Seit 2015 gab es in Deutschland bereits vier Gesetzgebungsvorhaben, die das Ziel verfolgt haben, Abschiebungen zu forcieren. Mit dem sogenannten Rückführungsverbesserungsgesetz hat die Koalition aus SPD, Grünen und FDP im Bund das fünfte Gesetz mit der gleichen Zielrichtung beschlossen und damit erhebliche Rechtsunsicherheiten für die zivile Seenotrettung und die Humanitäre Hilfe an Land geschaffen.
Das Gesetz hat neben anderen Maßnahmen den Straftatbestand des § 96 Abs. 4 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) auch auf Fälle altruistischer Hilfeleistung zur unerlaubten Einreise in einen EU- oder Schengen-Staat erstreckt. Bislang waren von dieser Strafnorm nur Fälle eigennütziger Hilfeleistung erfasst, die ursprünglich für gewerbsmäßige Schleuser konzipiert wurde, die sich für die Einschleusung von Ausländer:innen meistens sehr hoch entlohnen lassen.
Seenotretter:innen retten Menschen auf dem offenen Meer vor dem Ertrinken und erfüllen anschließend ihre rechtliche Pflicht, sie an einen sicheren Ort zu bringen. Erst dann ist eine Rettung abgeschlossen. Bisher waren sie von dem Tatbestand nicht erfasst.Erst nach massivem Widerstand von Menschenrechtsorganisationen, Anwaltsvereinigungen und ihren Unterstützer:innen im Parlament, einschlägigen Rechtsgutachten und medialer Debatte[1] wurden Änderungen im Rückführungsverbesserungsgesetz vorgenommen um eine Kriminalisierung der Seenotretter:innen auszuschließen. Dabei wurde allerdings eine Normenkette übersehen, die dies auch eindeutig für die Rettung von minderjährigen unbegleiteten Geflüchteten festschreiben muss.
Das bringt die Seenotretter:innen in eine absurde und gleichzeitig unhaltbare Situation: die Unterstützung erwachsender Menschen in Seenot ist nicht vom Strafbarkeitsrisiko erfasst. Sobald aber unbegleitete Minderjährige gerettet und in EU- oder Schengenstaaten verbracht werden, ergeben sich erhebliche Risiken einer Kriminalisierung der zivilen Seenotrettung.
Das Bundesinnenministerium behauptet, wie auch schon im ersten Aufschlag für die Neufassung des § 96 Abs. 4 AufenthG, dass hier kein Risiko für die Seenotretter:innen bestünden. Zwar teilen wir die Auffassung, dass das Verhalten ziviler Seenotretter:innen beim Rettungsvorgang und bei der Verbringung in einen Ausschiffungshafen zwar nach § 34 StGB gerechtfertigt ist. Diese Position ist jedoch weder unstreitig, noch ist die künftige Rechtsprechung vorhersehbar, denn „eine abweichende Rechtsauffassung kann hier nur vertreten, wer die Augen vor der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verschließt. Dieser vertritt nämlich die Position, dass die ausdrückliche Bezugnahme in § 96 Abs. 4 AufenthG auf § 96 Abs. 2 AufenthG zur Konsequenz hat, dass es nicht darauf ankommt, ob die Hilfeleistung aus eigennützigen oder altruistischen Motiven erfolgt. Natürlich kann man als Gesetzgeber darauf hoffen, dass der Bundesgerichtshof diese Position einschränkt. Aber eine rechtssichere Regelung sieht anders aus“, sagt Prof. Dr. Aziz Epik, Juniorprofessor für Strafrecht, Internationales Strafrecht und Kriminologie an der Universität Hamburg.
Als Grüne ist für uns klar: Es dürfen nicht die Menschen kriminalisiert werden, die anderen das Leben retten und dabei private Ressourcen einsetzen, um Staatsversagen zu kompensieren. Und wir dürfen sie auch nicht derartigen Unsicherheiten aussetzen. Allein das Risiko sich eines Ermittlungsverfahren ausgesetzt zu sehen mit allen Folgen, die das persönlich und wirtschaftlich haben kann, gilt es auszuschließen.
Deshalb fordern wir unsere grüne Bundestagsfraktion und die gemeinsame Koalition im Bund nachdrücklich auf, hier Rechtssicherheit herzustellen, indem ein Tatbestandsausschluss für Fälle humanitärer Unterstützung eingeführt wird, wie er den Mitgliedstaaten der EU ausdrücklich in Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2002/90/EG ermöglicht wird.
Die zivile Seenotrettung und die humanitäre Hilfe an Land haben darüber hinaus unsere politische Solidarität. Denn wo gilt „you’ll never walk alone“ muss auch gelten: „we leave no one behind”.
[1] Öffentliche Berichterstattungen:
1.)https://www.spiegel.de/politik/deutschland/hilfsorganisation-warnt-vor-moeglicher-kriminalisierung-der-kinder-seenotrettung-a-e62f3ee0-0f80-4570-89db-51573e9ae3c2