Menschenrechtliche Standards für Geflüchtete sicherstellen – Sozialkarte in Hamburg human ausgestalten

PDF

„Die Verwirklichung umfassender räumlicher Bewegungsfreiheit für alle ist aufs Engste mit der Zukunft der Demokratie verknüpft.“ (Volker Heins)

Das Recht auf Asyl ist ein individuelles Grund- und Menschenrecht, das unteilbar jedem Menschen zusteht. Dieser rechtliche Standard, der mehr als nur eine humanitäre Großzügigkeit ist, steht in Europa und in Deutschland so stark unter Druck wie schon lange nicht mehr.

Mit den europäischen Beschlüssen zum Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS) schottet sich die Europäische Union zunehmend nach außen ab. Beispielhaft genannt sei hier die Idee, Asylverfahren in Drittstaaten („Ruanda-Modell“) durchzuführen.

Die Abschottung nach außen macht in den allermeisten europäischen Staaten nicht bei einer Beschneidung der Rechte derjenigen Halt, die neu ins Land kommen möchten. Nach außen geschlossene Gesellschaften tendieren auch zu einer Abschottung nach innen und zu einer Begrenzung und Beschneidung der Rechte von Personen, die als Schutzsuchende schon angekommen sind – insbesondere jenen Personen, die mit einem unsicherem Aufenthaltsstatus bereits in einem Land leben.

In Deutschland zeigt sich hier derzeit ein ambivalentes Bild. Einerseits hat die Bundesregierung aus SPD, FDP und uns GRÜNEN einige progressive Entscheidungen getroffen: Langzeitgeduldete Menschen erhalten mit dem Chancenaufenthaltsrecht eine Möglichkeit, in den gesicherten Aufenthalt zu wechseln. Die zeitlichen Voraussetzungen für die Erteilung von Aufenthaltstiteln an gut integrierte Menschen mit Duldung wurden ebenfalls verkürzt. Beschäftigungsverbote wurden reduziert und wer arbetet, kann über die Beschäftigungsduldung künftig einfacher vor Abschiebung geschützt werden. Andererseits verharren Menschen künftig statt 18 nun 36 Monate im Leistungsbezug des Asylbewerberleistungsgesetzes, was vor allem auch den Zugang zur Gesundheitsversorgung massiv beschränkt. Auch in gerichtlichen Verfahren wurden die Verfahrensrechte der Betroffenen zuletzt eingeschränkt. Das fragwürdige Konstrukt der sicheren Herkunftsstaaten wurde ausgeweitet. Gleichzeitig haben wir Grüne mitdem Recht auf einen Rechtsbeistand für von Abschiebung Bedrohte einen wichtigen Punkt in ein ansonsten von uns nur schwer mittragbares Gesetz hineinverhandelt.

Ein weiterer Punkt, bei dem wir auch in Hamburg durchaus Mitsprache in der Ausgestaltung haben, beschäftigt uns in den letzten Wochen besonders: die Infragestellung des uneingeschränkten Zugangs zu Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz durch die sogenannte Bezahlkarte.

Ursprünglich ist eine digitale Bezahlkarte aus unserer Sicht durchaus keine schlechte Idee. Denn viele Geflüchtete haben zunächst kein Girokonto in Deutschland. Die Geldleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, die ihnen zustehen, müssen sie daher jeden Monat in Form von Bargeld abholen. Das bedeutete für die Betroffenen bisher stundenlanges Anstehen, für die Verwaltung enormen Aufwand. Eine digitale Bezahlkarte kann hier unbürokratisch Abhilfe schaffen bis die Betroffenen ein eigenes Konto eröffnet haben.

Die Konferenz der Ministerpräsident*innen (MPK) als informelles Gremium hat im November 2023 jedoch ein sehr restriktives Modell einer Bezahlkarte vorgeschlagen und übt nun Druck auf die Parlamente aus, diesem für eine Umsetzung zuzustimmen. Teilweise wird sie an den Parlamenten vorbei als Modell eingeführt. In Hamburg haben SPD-geführte Behörden nach dem MPK-Beschluss gegen den entschiedenen Widerspruch des grünen Koalitionspartners sehr schnell, ein entsprechendes Modellprojekt eingeführt, bei dem wir an mehreren Punkten in der Ausgestaltung nach wie vor Kritik haben.

Die Bezahlkarte soll nach Vorstellung der MPK den Zugang zu Bargeld stark begrenzen. Es sollen keine Überweisungen ins Ausland möglich sein, keine Teilnahme am Onlinehandel und die Funktionsfähigkeit soll auf bestimmte Postleitzahlengebiete beschränkt werden können. Die Bezahlkarte soll die Überweisung der Geldleistungen auf ein eigenes Konto ersetzen.

Ein wesentliches Argument ist dabei der Verdacht und der Vorwurf, dass Geflüchtete Geld in ihre Heimatländer bzw. an Menschen überweisen würden, die ihre Flucht organisiert haben („Schlepper“). Wissenschaftlich belastbare Belege gibt es hierfür nicht. Zwar schätzt die Bundesbank, dass 2023 etwa 6,8 Milliarden Euro als Rücküberweisungen ins Ausland flossen, davon 75 % in EU-Mitgliedstaaten. Aber die Zahlen beruhen allein auf Schätzungen im Rahmen der Zahlungsbilanz. Meldungen zu einzelnen Geldüberweisungen erhält die Bundesbank nur bei Überweisungen von über 12.500 Euro. Besonders für Länder, in denen kein funktionierendes Banken-System existiert – wie zum Beispiel Syrien oder Afghanistan – werden die Rücküberweisungen auf Basis der jeweiligen Staatsangehörigen dieser Länder, die in Deutschland beschäftigt sind, seit jeher nur geschätzt. Rückschlüsse auf Leistungsempfänger*innen sind ausdrücklich nicht möglich und es ist mit Blick auf die großen Communities in Deutschland anzunehmen, dass nennenswerte Zahlungen durch erwerbstätige Menschen erfolgen, die über deutlich höhere finanzielle Möglichkeiten verfügen. Rücküberweisungen sind zudem eine wichtige und effektive Form der Unterstützung und Entwicklungshilfe für die Familien in den Herkunftsländern. Sie per se in Frage zu stellen und Menschen einen Vorwurf daraus zu konstruieren, dass sie Geld in ihre Heimatländer transferieren, finden wir befremdlich.

Insofern ist das ganze Konstrukt der Bezahlkarte mit Einschränkungen für Überweisungen oder Bargeldabhebungen aus unserer Sicht auf einer Fehlannahme aufgebaut und begründet. Nicht nur deshalb lehnen wir als GRÜNE diese Einschränkungen daher entschieden ab. Alle Menschen müssen selbst entscheiden können, wie sie über die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel verfügen. Eine Personengruppe davon staatlicherseits auszunehmen, stellt eine klare Form der Diskriminierung dar, weswegen sich auch die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes entschieden gegen die Einschränkungen bei der Bezahlkarte ausgesprochen hat. Es ist zudem sehr zweifelhaft, ob derartige Einschränkungen im Falle von Klagen einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht standhalten.

Eine Bezahlkarte mit Einschränkungen hat aus unserer Sicht enorme Alltagsprobleme für die Geflüchteten zur Folge.

An der Idee der Bezahlkarte für einen unbürokratischeren Ablauf halten wir gleichwohl fest als ein mögliches Element, Belastungen in der Verwaltung sowie für die Leistungsempfänger*innen durch Digitalisierung zu reduzieren.


Die Evaluation in Hamburg darf sich nicht nur auf die technische
Funktionsfähigkeit beschränken, sondern muss mindestens folgende
Fragen beantworten:

  • Ist der Zugang zu günstigen Gebrauchtwaren von Privatpersonen z.B. über Portale wie
    eBay-Kleinanzeigen, in Tauschläden oder auf dem Flohmarkt sichergestellt?

  • Können Kinder sich unabhängig von den Erwachsenen z.B. mit dem ÖPNV bewegen und sind Barzahlungen in den Schulen und Kitas sichergestellt?
  • In wie vielen Geschäften des Einzelhandels ist überhaupt eine Bezahlung mit Debitkarten möglich? Können Geflüchtete entsprechend frei entscheiden, wo sie einkaufen und was?
  • Wie können Geflüchtete mit Konto Verträge über Strom, Handy, Sportverein etc. abschließen, wenn die Leistungen nicht auf das Konto, sondern auf die Bezahlkarte gebucht werden?

  • Sind Zusatzgebühren sowie Mindestumsätze beim Einkauf ausgeschlossen?

Nach unserer derzeitigen Einschätzung muss eine Bezahlkarte folgende Standards erfüllen, um Diskriminierung und Stigmatisierung wirklich zu vermeiden und gleichzeitig bürokratieentlastend zu wirken:

  1. Keine Einschränkung der Bargeldabhebungen
  2. Keine Einschränkung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs
  3. Keine Gebühren beim Einsatz der Karte und bei der Bargeldabhebung
  4. Keine regionale Beschränkung der Bezahlkarte
  5. Kein Ausschluss bestimmter Händlergruppen, Branchen, Dienstleistungen oder
    des Online-Handels.Die Bezahlkarte muss überall eingesetzt werden können.
  6. Jede erwachsene Person muss für eine getrennte Bewegungsfreiheit eine
    eigene Bezahlkarte erhalten.
  7. Sicherstellung von Datenschutz und informationeller Selbstbestimmung
  8. Möglichkeit des Abschlusses von Verträgen mit regelmäßigen Abbuchungen,
    z.B. für Mobilfunk oder Sportvereine
  9. Für Menschen, die über ein eigenes Konto verfügen, müssen die Mittel
    weiterhin vorrangig auf dieses überwiesen werden können.

Für uns ist klar: nur mit einer gerecht ausgestalteten Bezahlkarte, die Diskriminierung und Stigmatisierung vermeidet, geht Hamburg wirklich einen Schritt voran anstatt zurück und bleibt die weltoffene Stadt, als die sie bekannt ist. Denn Abschottung ist immer ein Rückschritt, nur gemeinsames solidarisches Agieren bringt uns wirklich voran!