Deutschland war 1914 das drittgrößte Kolonialreich der Welt. Es richtete 1884 die so genannte „Afrika-Konferenz“ aus, die die Aufteilung des afrikanischen Kontinentes unter den europäischen Mächten organisierte. Deutschland trägt deshalb eine besondere Verantwortung gegenüber dem Globalen Süden, die Geschichte des Kolonialismus aufzuarbeiten.
Hamburg – mit seinem Hafen, den Reedereien und Kaufleuten – und Berlin – als Sitz der Regierung, die die Afrika-Konferenz ausrichtete –, bildeten die Achse des deutschen Kolonialismus. Eine Aufarbeitung auch der Wissensgeschichte des Kolonialismus und ein dekoloniales Erinnerungskonzept muss diese Achse berücksichtigen. Sinnvoll ist eine vom Bund geförderte wissenschaftliche und erinnerungskulturelle Aufarbeitung. Bereits vor 2021 haben Bündnis 90/Die GRÜNEN hierzu diverse Vorstöße gemacht. Seit der grünen Regierungsbeteiligung ist unter der Federführung des Auswärtigen Amtes unter unserer grünen Außenministerin Annalena Baerbock die Restitution entwendeter Kulturgüter – etwa mit der Rückgabe der Benin-Bronzen – angelaufen. Die Konzepte einer feministischen Außenpolitik und damit verbunden auch einer feministischen Entwicklungszusammenarbeit berücksichtigen wichtige Erkenntnisse auch der historischen postkolonialen Forschung. Denn die von Europa ausgehende Unterwerfung des Globalen Südens war von Anfang an auch mit der Etablierung und Festigung der Geschlechterhierarchien und Marginalisierung weiter Bevölkerungsgruppen im Inneren und dem ‚Export‘ der hiermit verbundenen Denkmuster verbunden. Die Ausbeutung von Frauen durch unbezahlte Care-Arbeit und die Ausbeutung der Länder des globalen Südens sind zwei Seiten derselben Medaille. Dass diese Zusammenhänge sichtbar werden, dass Konzepte wie „feministische Außen- und Entwicklungspolitik“ Teil der Debatte und zur Grundlage politischen Handels geworden sind, ist das Verdienst mutiger grüner Frauen.
Gegenwärtig geraten – infolge der multiplen Krisen und des Erstarkens der Rechten und der von diesen betriebenen Polarisierung und Spaltung der Gesellschaft – auch solche Konzepte unter Beschuss. Die nötige Aufklärung ist damit in Gefahr. Denn die Strategie der Rechten besteht wesentlich darin, Ängste vor sozialem Abstieg, sozialer Exklusion und Ohnmachtserfahrungen auszunutzen, um durch eine Rückbesinnung auf tradierte Rollenbilder, Vorstellungen vermeintlich nationaler Größe und der Selbsterhebung gegenüber Minderheiten die gesellschaftliche Solidarität auszuhöhlen.
Daher halten wir es für unabdingbar, eine offensive dekoloniale Wissenschafts- und Erinnerungspolitik voranzubringen. Aufklärung ist – wie wir Deutsche aus der Aufarbeitung der Nationalsozialismus gelernt haben – schmerzhaft, und zwar bis in persönliche Familienstrukturen hinein. Dies gilt auch für die Geschichte einer Stadt.
So verdiente Hamburg massiv am Handel mit Kautschuk, Palmöl und Kakaobohnen.Der Baakenhafen in der HafenCity war Ausgangspunkt der Truppen, die im 20. Jahrhundert nach Südwestafrika abfuhren. Auch Lothar von Trotha, der für den ersten deutschen Genozid in der deutschen Geschichte verantwortlich ist, fuhr von Hamburg aus los. Ca. 100.000 Herero und Nama wurden von deutschen Truppen ermordet. Die Schiffe stammten vom Hamburger Kaufmann und Reeder Adolph Woermann.
Wir sehen in einem angemessenen Umgang mit dieser Geschichte ein großes Potenzial. Hamburg kann in der Aufarbeitung der europäischen Kolonialgeschichte seine Funktion als‚Leuchtturm‘ ausbauen – und damit auch ein Bollwerk gegen den gegenwärtig in ganz Europa zu beobachtenden Rechtsruck sein. Als Hamburger GRÜNE setzen wir uns daher weiter dafür ein, die Erinnerungskultur hier in unserer Stadt offensiv fortzusetzen und die dekoloniale Forschung in Hamburg fest zu verankern. 2014 hat der Hamburger Senat die Forschungsstelle „(Post)Koloniales Erbe“ eingerichtet, um den Kolonialismus in Hamburg aufzuarbeiten. Die Forschungsstelle erforscht „[…] Dynamiken, Repräsentationen, Nachwirkungen und Kontroversen des (deutschen) Kolonialismus und der Globalisierung (oder richtiger: der Kolonialismen und Globalisierungen) in Vergangenheit und Gegenwart und ihre komplexen Verbindungen und Bedeutungen für postkoloniale Gesellschaften […]“ Damit leistet sie einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung unserer kolonialen Geschichte. Mit einer geplanten neuen Profilinitiative zu „(Post)Kolonialen Ordnungen“, deren Teil die Forschungsstelle ist, setzt die Universität Hamburg diese Schwerpunktsetzung fort und bettet sie weiter interdisziplinär ein.
Seit 2017 gibt es in Hamburg außerdem den Runden Tisch „Koloniales Erbe“, an dem Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft gemeinsam über Strategien diskutieren.2019 wurde dann zusätzlich ein Beirat zur Dekolonisierung Hamburg einberufen, der aus Expert*innen aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Kultur, Bildung, Medien, Soziales, Wirtschaft und Verwaltung besteht.Ein vom Beirat erarbeitetes Eckpunktepapier wird aktuell zu einem gesamtstädtischen dekolonisierendes Erinnerungskonzept ausgearbeitet, welches der Bürgerschaft 2024 als Drucksache vorgelegt werden soll.
Ein zentraler Bestandteil einer postkolonial orientierten Politik ist nicht nur der Blick und Aufarbeitung der Vergangenheit, sondern auch die Gestaltung der Gegenwart und Zukunft. Auch in Anbetracht der gegenwärtigen Veränderungen der globalen Weltordnung wird die hiermit verbundene Verantwortung unübersehbar:
Spätestens mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ist deutlich geworden, dass viele Staaten im globalen Süden weniger dem Westen, sondern mit dem Schwinden des amerikanischen Einflusses zunehmend ihren eigenen Interessen folgen: Eine klare, ehrliche und selbstkritische Auseinandersetzung des Westens mit der eigenen kolonialen Vergangenheit, der auch den selbstkritischen Umgang mit den Doppelstandards bei der Durchsetzung von Werten einbezieht, würde ein positives Signal an Staaten mit kolonialer Erfahrung senden und könnte verhindern, dass autoritäre Staaten diese Situation ausnutzen und ihren Einflussbereich ausbauen können. Als „Tor zur Welt“ – in einem gegenwärtigen Selbstverständnis, das auch die dunklen Seiten der historischen Perspektive nicht ignoriert, – hat Hamburg ein immenses Potenzial hier voranzuschreiten und ist bereits auf dem Weg:
Hamburg hat daher die Senatsdrucksache im Jahr 2014 auch in den Rahmen der Partnerschaft mit Dar es Salaam in Tansania gestellt. Zwischen den beiden Städten besteht seit 2010 eine Partnerschaft, diese wurde 2022 auch nochmals bekräftigt und vertieft. Daneben gibt es seit 1989 eine Partnerschaft zwischen Hamburg und Léon in Nicaragua.
Die Zusammenarbeit mit Dar es Salaam findet in verschiedenen Themenfeldern statt, insbesondere durch zivilgesellschaftliche Organisationen, die vom Senat gefördert werden. Der Senat bringt sich teilweise aber auch über die Senatskanzlei direkt ein, beispielsweise bei Projekten mit Mexiko-Stadt oder auch Dar es Salaam mit dem Bund-Länder-Programm, welches vom Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) finanziert und von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH aus dem GIZ Regionalbüro in Hamburg umgesetzt wird. Dabei unterstützt Hamburg beispielsweise über die HafenCity Universität und Hamburg Wasser das Starkregenwassermanagement in einer Gesundheitsstation in Dar es Salaam. Darüber hinaus arbeitet Hamburg auch im Bund-Länder-Ausschuss Entwicklungszusammenarbeit zu entwicklungspolitischen Themen. Hamburg hat dabei als nur eines von vier Bundesländern keine ausformulierten entwicklungspolitischen Leitlinien und das, obwohl es im Vergleich zu den anderen Bundesländern viele Mittel dafür bereitstellt. Als Bundesland hat Hamburg hier keinen ausdrücklichen Auftrag sich zu engagieren, aber es ist wichtig, dass Hamburg seine Verantwortung ernst nimmt, sei es bezüglich der kolonialen Vergangenheit, aber auch wegen unseres Beitrags zur Klimakrise.
Wir begrüßen das bestehende Engagement Hamburgs ausdrücklich. Doch aus unserer Sicht muss hier noch deutlich mehr passieren.
Seit einem Jahr gibt es auf Bundesebene das Ziel einer feministischen Entwicklungszusammenarbeit
mit einem expliziten Fokus auf eine dekoloniale Umsetzung derselben, beispielsweise durch den akti-
ven Austausch mit zivilgesellschaftlichen Expertinnen aus dem Globalen Süden Daran muss sich auch Hamburg orientieren! Die Forschungsstelle setzt einen solchen Ansatz in ihrer Forschung bereits seit Jahren um, indem sie regelmäßig Forscherinnen aus Ländern des Globalen Südens nach Hamburg einlädt, um hier zu Fragen des Kolonialismus in Hamburg und dessen Verbindungen in die Welt zu forschen. Gerade die Universität in Dar es Salaam spielt hier eine wichtige Rolle. Genau solche partizipativen Ansätze in einer
Partnerschaft auf Augenhöhe, insbesondere zu kritischen Themen in Hamburgs Geschichte müssen
verstärkt gefördert werden.
Wir fordern daher konkret:
- Als Grüne bekennen wir uns zur Verantwortung für die wissenschaftliche Aufarbeitung der ko-
lonialen Vergangenheit Hamburgs und wollen die Forschung zum (post)kolonialen Erbe in
Hamburg und die Kooperationen mit dem globalen Süden stärken. Wir unterstützen unsere Se-
nats- und Bürgerschaftsmitglieder dabei, sich weiterhin mit Nachdruck einzusetzen für die
Fortführung und Verstetigung der Forschungsstelle „Hamburgs (post)koloniales Erbe. Dafür soll
die Grundfinanzierung mindestens auf bisherigem Niveau erhalten bleiben. Ergänzend sollte
kontinuierlich versucht werden, Bundesmittel einzuwerben. Wir wollen zudem, dass sich die Se-
nats- und Bürgerschaftsmitglieder weiterhin dafür stark machen, die Forschungsstelle im Rah-
men der geplanten Profilinitiative zum (post)kolonialen Erbe an der Uni Hamburg sichtbar zu
erhalten. - Sichtbare Erinnerungs- und Begegnungsorte überall dort, wo deutsche Kolonialgeschichte sich
in Hamburg manifestierte (im Baakenhafen, im Harburger Binnenhafen, u.a.m.) - Kontextualisierung der bestehenden Denkmäler mit kolonialem Hintergrund wie beispielswei-
se des Bismarck-Denkmals. Dessen kommentarlose Restaurierung finden wir nicht akzeptabel. - Die Verankerung von Lehrkonzepten und Lerneinheiten zum Kolonialismus in Lehrplänen aller
Hamburger Schulen und die Förderung von entsprechenden Fortbildungen für Lehrer*innen. - Die Entwicklung von Lehrkonzepten und Lerninhalten zur Kolonialität des Kulturellen für die
Hamburger Hochschulen (inkl. künstlerischer Hochschulen). - Erhöhung der bereitgestellten Mittel für Projekte in der Entwicklungszusammenarbeit durch
die Senatskanzlei und andere Behörden um mindestens 10%, in der Senatskanzlei sollen jähr-
lich mindestens 500.000 EUR bereitgestellt werden. - Sicherstellung der Umsetzung einer dekolonialen Entwicklungszusammenarbeit bei Förderung
von Projekten und Umsetzung mit Partnern in Dar es Salaam und anderen Städten, beispiels-
weise durch Anerkennung von kolonialen Kontinuitäten in der Entwicklungszusammenarbeit und der historischen Verantwortung Hamburgs für den Kolonialismus. Zudem soll die aktuell laufende Überarbeitung der Förderrichtlinien des Senats für Projekte in der Entwicklungszusammenarbeit sicherstellen, dass in den zukünftigen Richtlinien ein expliziter Fokus auf eine feministische, dekoloniale Entwicklungszusammenarbeit gelegt wird, durch die Vorgabe, dass mindestens 70% der eingesetzten Mittel auf dieses Ziel hinarbeiten, beispielsweise durch die Anwendung gendertransformativer Ansätze oder die Unterstützung kritischer, dekolonialer Forschung in den Partnerstädten.