Demokratie leben und Rechtsstaat verteidigen in Zeiten der Digitalisierung

PDF: 2018-03-24_LMV-Beschluss_Rechtsstaat_verteidigen-Demokratie_sichern

Wir haben in Deutschland in den letzten Jahrzehnten als Gesellschaft viel erreicht. Wir leben gut miteinander, weil wir Minderheitenrechte schützen, weil unsere Justiz unabhängig ist und weil unser demokratisches System es ermöglicht, dass politische Meinungen im Wettbewerb zueinander stehen können. Durch die Garantie von gewaltlosen Aushandlungsprozessen kann sich die weltoffene Gesellschaft weiterentwickeln und mit immer neuen Herausforderungen umgehen. Welche entscheidende Bedeutung diese Werte haben, ist auch eine Erkenntnis aus der deutschen Geschichte und eine Antwort auf Diktatur, Diskriminierung und Willkür. Demokratie und Rechtsstaatlichkeit waren für uns lange Zeit eine Selbstverständlichkeit. Nun sehen wir durch die Entwicklungen etwa in der Türkei, in Ungarn, den USA und Polen, wie diese Selbstverständlichkeit auf verschiedene Weise in Frage gestellt wird.

Auch in Deutschland erleben wir, dass nationalkonservative und rechtspopulistische bis –extremistische Stimmen lauter werden. Die Verunsicherung, Frustration und Zukunftsängste vieler Menschen sowie prekäre Lebenslagen werden von den entsprechenden Parteien genutzt und in fremdenfeindliche Parolen, Hetze gegen die „Lügenpresse“ und die Abkehr von unserem freiheitlichen Gesellschaftsmodell übersetzt.

Als GRÜNE setzen wir Angstmacherei und dumpfen Parolen eine aufrechte Haltung und progressive Politik entgegen. Wir sind überzeugt: Mut, Zuversicht, Vertrauen und Solidarität sind die Kräfte, die Probleme lösen können. Wir wollen die liberale Gesellschaft verteidigen und weiterentwickeln. Weil wir überzeugt sind, dass jede und jeder über ihr und sein Lebensmodell selbst entscheiden soll und darf und es die Aufgabe des Staates ist, hierfür gerechte und gute Rahmenbedingungen zu schaffen.

Wir haben keine Angst vor der Zukunft. Vielmehr wollen wir auch die kommenden Veränderungen durch demographischen Wandel, Migration und Digitalisierung ebenso wie die bestehende große Herausforderung der sozialen Spaltung in dieser Gesellschaft gemeinsam mit den Menschen gestalten, anstatt Sündenböcke zu konstruieren, Hass zu schüren und mit rechtem Populismus negative Gefühlen hervorzurufen.

Keine Angst vor der Zukunft

Eine der Zukunftsängste ist die Angst vor den Folgen des digitalen Wandels. Schon heute sind über 20 Milliarden Geräte und Maschinen über das Internet vernetzt – bis 2030 werden es rund eine halbe Billion sein. Die Digitalisierung ist eine technologische Revolution, die man nicht aufhalten kann, die Chancen für Wirtschaft und Gesellschaft bietet, aber auch aktiv gestaltet werden muss, um zukunftsfähige Regeln für die digitalisierte Gesellschaft zu entwickeln. Wir wollen Digitalisierung so gestalten, dass sie nicht nur einigen wenigen nutzt, sondern die Menschen insgesamt davon profitieren. Dafür ist noch viel zu tun, von der Heranführung insbesondere älterer Menschen an digitale Kommunikation, über Datenschutz und Datensouveränität bis hin zu digitalen Verbraucher*innenrechten.

Wer aus Angst politisches Kapital schlägt, tut so, als seien Menschen Veränderungen hilflos ausgeliefert. Als seien „die in Brüssel“ oder „die da oben“ verantwortlich und als sei ein lauter Protest von Wutbürger*innen ein Ersatz für Politik. Aber Angst ist ein schlechter Ratgeber und eine noch schlechtere Motivation für politisches Handeln. Wir GRÜNE setzen dagegen auf Mut zur Gestaltung. Wir wollen die Probleme anpacken und lösen. Wir sind überzeugt: nur wenn wir uns alle gemeinsam in Hamburg, in Deutschland und auch in Europa für den freiheitlichen Rechtsstaat und die Demokratie engagieren und immer wieder neu um sie kämpfen, können wir die freiheitliche Gesellschaft erhalten und ausbauen.

Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit sind unverzichtbar

Demokratie ist uns GRÜNEN wichtig. Demokratie ist weder selbstverständlich noch unveränderlich. Sie muss immer wieder neu erklärt und erkämpft werden, um die Menschen zu überzeugen und sie als Wähler*innen zu gewinnen. Sie braucht Bürger*innen, die sich einmischen, egal ob sie hier geboren oder eingewandert sind – die für ihre Werte, für ihre Rechte und die der Anderen einstehen. In einer Demokratie ist es wichtig, dass alle die Möglichkeiten haben mitzumachen und angemessen repräsentiert werden. „Die Hälfte der Macht für Frauen“ – dies ist eine alte Forderung der Frauenbewegung und von uns Grünen. Und sie ist ein demokratischer Anspruch. Ganz nach dem Motto „Ohne Frauen kein Staat“ gilt es sich für die Frauenquote in der Politik einzusetzen. Der Frauenanteil im Bundestag – aber auch in der Bürgerschaft – ist zuletzt sogar gesunken. Wir werden uns daher auch weiterhin für Geschlechterdemokratie einsetzen.
Darüberhinaus besorgt uns, dass sich die soziale Spaltung in unserer Gesellschaft auch in der Wahlbeteiligung ausdrückt. Die Beteiligung von Menschen mit Migrationshintergrund wollen wir aktiv fördern.

Demokratie braucht Institutionen, die für Beteiligung offen sind. Sie braucht ein starkes Parlament, eine unabhängige Justiz und freie und unabhängige Medien. Sie braucht eine gute Bildung für alle und mündige Bürger*innen sowie lebendige Organisationen, die sich vielfältig einbringen, von Parteien über Gewerkschaften, Religionsgemeinschaften bis hin zu NGOs, Stiftungen, Vereinen und Initiativen. Wir wollen mitbestimmen über die Regeln, die für uns alle gelten. Wir wollen Regierungen wählen oder abwählen, wir wollen unsere Macht als Bevölkerung ausüben.

Doch Demokratie allein sichert noch nicht unsere Freiheit. Nehmen wir das Beispiel Polen. Auf Betreiben des nationalkonservativen Parteichefs Jaroslaw Kaczynski hat das polnische Parlament im Juli 2017 ein Gesetz beschlossen, wonach die obersten Richter*innen des Landes in den Ruhestand geschickt werden sollten und neue Richter*innen künftig vom Parlament bestimmt werden.

Gerichtspräsident*innen sollen künftig mit sofortiger Wirkung und ohne Begründung durch den Justizminister ihres Amtes enthoben werden können. Durch die Zusammenlegung von Generalstaatsanwaltschaft und Justizministerium ist der polnische Justizminister zugleich oberster Staatsanwalt: Ein Politiker entscheidet also, ob Anklage erhoben wird oder Ermittlungen eingestellt werden. Diese geplanten Justizreformen zeigen deutlich: Die demokratische Legitimation von Entscheidungen sichert allein noch nicht ihren rechtsstaatlichen Gehalt.

In der Türkei leitet der mit 52 Prozent gewählte Präsidenten Recep Tayyip Erdogan daraus die Ermächtigung und das Recht ab, die Opposition brutal zu unterdrücken.

Dass die CSU den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban einlädt und ihm bescheinigt „zweifelsfrei auf dem Boden rechtsstaatlicher Grundsätze“ zu stehen und die Tatsache, dass auch die jüngst von der EU eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren oder die antisemitische Anti-Soros-Kampagne Tabuthemen beim gemeinsame Tête-à-Tête waren, zeigt dass die Spitzenpolitiker der CSU und Orban zumindest Brüder im Geiste sind.

Viktor Orban setzt in Ungarn Zwangspensionierungen von Richter*innen durch, schränkt die Pressefreiheit ein und setzt Minderheitenrechte faktisch außer Kraft: Die Rechte von Homosexuellen, Roma oder Jüd*innen werden ebenso wie die Menschenrechte von Migrant*innen so massiv eingeschränkt, dass das Europäische Parlament eine „systemische Bedrohung der Rechtsstaatlichkeit“ befürchtet.

Freie, gleiche und geheime Wahlen sichern alleine keine liberale Demokratie, weil sie auch in Machtmissbrauch münden können. Verkommt der Rechtsstaat, gerät die liberale Demokratie ins Wanken. Gewaltenteilung belehrt Demokrat*innen, dass Macht Grenzen haben muss. Demokratie ist mehr als Herrschaft der Mehrheit. Die Beschränkungen der übertragenen Machtfülle durch den Rechtsstaat schützen Freiheitsrechte von Minderheiten in einer funktionierenden Demokratie.

Wir GRÜNE setzen auf einen starken, demokratischen Rechtsstaat, der unsere Freiheit sichert. Demokratie braucht eine vernünftige Debatte, die auf Fakten baut, auf gegenseitigem Respekt und den Austausch von Argumenten – statt auf Hass, Hetze und dumpfe Parolen. Und Demokratie braucht unabhängige und starke Instanzen der Legislative, Exekutive und Judikative.

Diese Debatte kann aber nur stattfinden, wenn jede*r das Recht und die Möglichkeit hat, sich zu informieren. Deshalb ist die Garantie der Pressefreiheit von so entscheidender Bedeutung für die Demokratie. Nur durch eine freie und unabhängige Berichterstattung der Medien kann eine öffentliche Kontrolle stattfinden, eine freie Meinungsbildung und ein friedlicher Ausgleich von Interessen möglich sein.

Wir stärken den Rechtsstaat – nicht das Recht des Stärkeren

„Recht haben und Recht bekommen sind zwei ganz unterschiedliche Dinge“. Wahrscheinlich hat fast jede*r diesen Satz oder einen ähnlichen schon mal zu hören bekommen. Der diesem Satz innewohnende Fatalismus jedoch ist brandgefährlich.

Und gerade weil es viele Menschen gibt, die genau diese Erfahrung gemacht haben, muss es unser Ziel sein, dafür zu sorgen, dass man als Bürger*in zu seinem Recht kommt. Das Recht soll die Schwächeren schützen.

Ohne Vertrauen in den Rechtsstaat leitet sich für den Einzelnen oder die Einzelne nicht mehr her, warum er oder sie sich an allgemeinverbindliche Regeln halten sollte. Warum er oder sie in die Solidargemeinschaft einzahlt oder die Straßenverkehrsordnung einhalten soll. Für den Zusammenhalt ist es deshalb in einer liberalen Demokratie unabdingbar, dass wir das Vertrauen in den Rechtsstaat stärken.

Vertrauen in den Rechtsstaat hat nur, wer weiß, dass er oder sie auch zu seinem oder ihrem Recht kommt. Wir wollen, dass alle den gleichen Zugang zum Recht haben. Rechtsgewährung darf nicht an Prozesskosten scheitern, damit nicht das Einkommen darüber entscheidet, wer vor Gericht Erfolg hat. Vertrauen in den Rechtsstaat hat auch nur, wer weiß, dass er auch in angemessener Zeit mit einem Urteil rechnen kann. Das bedeutet, dass die Justiz personell und technisch gut ausgestattet sein muss, damit sie in der Lage ist, Menschen schnell zu ihrem Recht zu verhelfen. Auch das Recht selbst ist dafür eine wichtige Voraussetzung: Wir setzen uns daher auf Bundesebene für ein effektives Verfahrensrecht im Verwaltungs-, Zivil- und Strafrecht ein, das die Grundrechte der Verfahrensbeteiligten sichert.

Um Verbraucher*innen die Durchsetzung ihrer Rechte zu erleichtern, wollen wir die Möglichkeiten für einen kollektiven Rechtsschutz stärken. So können sich viele einzelne Geschädigte zusammenschließen und kostengünstiger ihre Ansprüche vor Gericht klären lassen.

Ein solches Verfahren hat den Vorteil, dass die betroffenen Verbraucher*innen nicht selbst mit hohem Kostenrisiko zahlreiche parallele Prozesse führen müssen, sondern etwa über einen Verbraucherverband zentrale Sach- und Rechtsfragen für eine Vielzahl von Einzelfällen verbindlich klären lassen können. Dabei handelt es sich nicht um eine Sammelklage nach amerikanischem Vorbild. Wir wollen dieses Verfahren so ausgestalten, dass die Gefahr der Entstehung einer „Klageindustrie“ ausgeschlossen ist.

Statt nach immer mehr Strafen zu rufen, wollen wir als GRÜNE das geltende Recht konsequent darauf überprüfen, ob Regelungen notwendig und effektiv sind. Das heißt vor allem: Bloße Symbolgesetze lehnen wir ab. In einem Rechtsstaat kann das Strafrecht nur das letzte Mittel sein, zu dem der Staat greift. Bevor es neue Straftatbestände und Strafverschärfungen gibt, muss klar sein, dass das Verhalten, um das es geht, wirklich strafwürdig ist. Schwarzfahrer*innen und Cannabis-Konsument*innen ins Gefängnis zu bringen, nützt weder der Allgemeinheit, noch dient es der Resozialisierung der „Täter*innen“. Eine Verfolgung von Bagatelldelikten mit dem Mittel des Strafrechts lehnen wir ab.

Zu einem Rechtsstaat gehört auch, dass das staatliche Gewaltmonopol im Rahmen des Gesetzes ausgeübt wird und individuelles und strukturelles Fehlverhalten entsprechend verfolgt werden kann. Deshalb setzen wir uns für eine unabhängige Bearbeitungsstelle von Gewalt durch Polizist*innen ein.

Weil wir wissen, wie wesentlich eine freie Berichterstattung der Medien für die Demokratie ist, wollen wir Journalist*innen besser vor Strafverfahren und Durchsuchungen schützen, wenn sie beruflich recherchieren und Informationen verwenden.

Mutigen Bürger*innen, die rechtswidrige Vorgänge und Missstände aufdecken, wollen wir durch ein Whistleblower-Schutzgesetz helfen. Wie wichtig sie für den Verbraucherschutz sind und welche Bedeutung sie für die Aufklärung von Korruption haben, zeigen die Skandale um Gammelfleisch, Cum-Ex-Geschäfte und Abgas-Manipulationen. Wir wollen daher sicherstellen, dass Hinweisgeber*innen besser vor Kündigung und Strafverfolgung geschützt werden.

Eine Demokratie lebt durch Transparenz. Wir GRÜNE wollen, dass für Bürger*innen nachvollziehbar ist, wie Gesetze zustande kommen und welche Unternehmen und Verbände dabei Einfluss genommen haben. Daher setzen wir uns für ein verpflichtendes Lobbyregister ein. Wer mit am Tisch sitzt, wenn über Gesetze beraten wird, muss für jede*n klar sein.

In Hamburg haben wir schon viel getan: Wir investieren in ein sicheres Hamburg und in einen funktionierenden Rechtsstaat. Wir erhöhen die Zahl der Ausbildungsplätze bei der Polizei auf 500 und kümmern uns auch um strukturelle Verbesserungen, indem zum Beispiel bereits ausgebildete Polizeikräfte von Verwaltungsaufgaben und Objektschutz entlastet werden.

Die Justiz haben wir in den Jahren 2015 – 2017 schon um insgesamt 123 neue Köpfe gestärkt. Das ist der größte Personalaufbau seit 20 Jahren. Für den Justizvollzugsdienst sowie für den nicht richterlichen Bereich in der Justiz haben wir Ausbildungsoffensiven gestartet. So sorgen wir kontinuierlich für qualifizierten Nachwuchs.

Damit jede*r zu seinem Recht kommt, bauen wir die Öffentliche Rechtsauskunft aus.

Wir unterstützen die Rechtsberatung für Menschen, die ein rechtliches Problem haben, aber nicht die finanziellen Mittel, um ihre Rechte durchzusetzen. Förderungswürdig sind aus unserer Sicht daher auch die sogenannten „Law Clinics“, in denen sich Hamburger Studierende unter anwaltlicher Begleitung engagieren und im Sozialrecht, Ausländerrecht, Familienrecht und Arbeitsrecht beraten. Die „Law Clinics“ arbeiten mit Sozialarbeiter*innen zusammen und verfolgen über die bloße juristische Beratung hinaus einen ganzheitlichen Ansatz der Betreuung. Außerdem ermöglichen sie gesellschafts- und praxisrelevante Hochschulbildung und sind ein Beispiel dafür wie Hochschulen ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen. Ein tolles Projekt ist die Refugee Law Clinic Hamburg (RLC), die Studierende der Rechtswissenschaft für die ehrenamtliche Flüchtlingsberatung ausbildet und seit Herbst 2015 an mehreren Standorten in Hamburg wöchentlich Geflüchtete berät.

Zum Vertrauen in den Rechtsstaat gehört auch ein funktionierender Strafvollzug, der die Gesellschaft vor gefährlichen Straftäter*innen schützt, aber zugleich auf deren Resozialisierung ausgerichtet ist. Dafür sind neben der notwendigen Sanierung und Modernisierung der Haftgebäude und Investitionen in die Sicherheit des Vollzuges vor allem ausreichende Ausbildungs-, Qualifizierungs- und Therapiemöglichkeiten für die Gefangenen und Untergebrachten erforderlich. Sprachbarrieren wirken sich gerade im Vollzug negativ aus. Wir haben daher für Videodolmetscher*innen gesorgt.

Die Strukturreform des Justizvollzuges setzen wir fort. Um die Weichen für einen modernen Justizvollzug nach 2020 verlässlich zu stellen, setzen wir auf breite gesellschaftliche Mehrheiten. Wir haben die Zeit bis 2050 im Blick und wollen in 2018 unter anderem eine Entscheidung zum Jugendvollzug treffen, die vollzuglich sinnvoll und ökonomisch nachhaltig ist. Diese Entscheidung soll nach Möglichkeit parteiübergreifend fallen, um Hamburgs Vollzug für die nächsten 30 Jahre zukunftssicher planen zu können.

Wir wissen: Eine erfolgreiche Resozialisierung ist der beste Opferschutz. Deshalb haben wir in Hamburg durch das Resozialisierungs- und Opferhilfegesetz eine in dieser Form in Deutschland einzigartige Möglichkeit geschaffen, Menschen nach der Haftentlassung Hilfsangebote an die Seite zu stellen, damit sie einen guten Weg einschlagen.

Terrorismus – Radikalisierung frühzeitig entgegentreten

Der Terrorismus ist eine große Bedrohung unserer Zeit. Die freie und offene Gesellschaft, die wir schützen wollen, gerät in Gefahr, wenn unter Berufung auf diese Bedrohung immer mehr Freiheitsrechte von Bürger*innen eingeschränkt werden. Den besten Schutz gegen alle Formen des Terrorismus bietet ein freiheitlicher und starker Rechtsstaat. Statt neue (Symbol-)Gesetze zu fordern oder den Terrorismus für andere Zwecke zu instrumentalisieren,

setzen wir uns dafür ein, dass die bestehenden Gesetze konsequent angewendet werden und die Behördenzusammenarbeit verbessert wird.

Tatsächlich existieren schon jetzt weitreichende Möglichkeiten für die Gefahrenabwehr und Strafverfolgung, die wir nur konsequent anwenden müssen. Bestehende Gesetze sollen dabei regelmäßig auf ihre Wirksamkeit überprüft werden. Überflüssige, widersprüchliche oder unwirksame Regelungen gehören überarbeitet oder abgeschafft.

Verbessert werden muss aber die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden – sowohl in Deutschland als auch auf europäischer Ebene. Statt für symbolische Gesetzesverschärfungen treten wir für eine Sicherheitspolitik ein, die sich auf Fakten gründet und Instrumente nutzt, die tatsächlich mehr Sicherheit schaffen.

Der Kampf gegen den Terror und gegen Angriffe auf die offene Gesellschaft ist eine Aufgabe, die wir nur gemeinsam in Europa und in der EU lösen können. Daher setzen wir uns für eine intensive Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden auf europäischer Ebene ein. Ein guter Datenaustausch ist dabei allein nicht ausreichend – das hat die Verhaftung des deutsch-türkischen Schriftstellers Doğan Akhanlı in Spanien gezeigt: Akhanlı wurde auf der Grundlage eines über Interpol weitergeleiteten türkischen Haftbefehls verhaftet, der durch die spanischen Behörden ausgeführt wurde. Das Beispiel zeigt: Zwar hat der Datenaustausch funktioniert, aber es gibt keine ausreichenden Kontrollmechanismen gegen einen Missbrauch von Interpol zum Zwecke politischer Verfolgung1.

Für uns GRÜNE heißt das:

Auch vorhandene Daten müssen immer von Polizei und Justiz geprüft und hinterfragt werden. Internationale Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden braucht gemeinsame Mindeststandards für Verfahrensregeln, Betroffenenrechte und auch eine materielle Harmonisierung des Strafrechts.

Eine Datensammelwut ohne Anlass und Ziel, die alle Bürger*innen unter Verdacht stellt, lehnen wir sowohl in der EU als auch in Deutschland ab: Unsere strafrechtlichen und strafprozessualen Standards müssen strikt gewahrt bleiben. Nicht die Menge, sondern die Qualität von Daten ist entscheidend.

In Hamburg können wir die europäische Politik nicht allein gestalten, aber wir wollen und müssen auch hier zur Terrorismusbekämpfung beitragen. Dafür brauchen wir zum einen eine technisch und personell gut ausgestattete Polizei und Justiz und eine klare Präventions- und Deradikalisierungsstrategie. Eine grüne Sicherheitspolitik aus einem Guss muss zudem sehr viel stärker als bisher auf Prävention setzen. Dabei ist entscheidend, Radikalisierungsprozesse frühzeitig zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken. Zivilgesellschaftliche Akteur*innen sind bereits heute an vielen Orten damit befasst. Allerdings zeigt die Bundesregierung keinerlei Bemühen, diese Ansätze zielführend zu einer Präventionsstrategie zu bündeln. Das wollen wir GRÜNE ändern. Die Stellenausstattung in sozialen Einrichtungen trägt einen mindestens so großen Anteil an der Prävention wie die der Sicherheitsbehörden. Sozialpolitik und Innenpolitik müssen hier zusammen gedacht werden.

In Hamburg sind wir im Bereich Prävention und Deradikalisierung bereits auf einem guten Weg – mit einem umfangreichen Konzept, das unter anderem Ausstiegsberatung, Strategien in den Bereichen Kinder-, Jugend- und Familienhilfe, Schule, Justizvollzug und Zivilgesellschaft sowie eine umfassende Vernetzung aller in diesem Feld tätigen Akteure vorsieht. Aber auch in Zukunft gilt es wachsam sein. Neuen Zielgruppen und Radikalisierungsverläufen müssen wir in der Präventionsarbeit zuvorkommen. Zudem werden wir uns durch den militärischen Niedergang des IS vermehrt mit Zurückkehrenden beschäftigen müssen, darunter auch Frauen mit Kindern. Es gilt Gefahren konsequent zu begegnen, aber auch die individuell passenden Hilfsangebote bereitzustellen.

Grundsätzlich gilt für alle Maßnahmen, dass dafür Sorge getragen werden muss, dass der Zugriff auf persönliche Daten den Grundsätzen und Notwendigkeiten und Verhältnismäßigkeit folgt und nicht anlasslos und massenhaft stattfindet.

Konsequenzen aus G 20

Der G20-Gipfel im Juli 2017 war eine schwere Bewährungsprobe für den Rechtsstaat und die Grundrechte in Hamburg.

Der G20-Gipfel hat Hamburg nicht gut getan. Durch die Ereignisse rund um den Gipfel haben staatliche Organe erheblich an Vertrauen verloren. Viele Hamburgerinnen und Hamburger fragen sich: War es zu verantworten, eine solche Veranstaltung mitten in der Stadt stattfinden zu lassen? Hatte die Polizei die richtigen Konzepte, um drohenden Gewalttaten entgegenzuwirken? Woher kommt die massive Gewalt, die an den Gipfeltagen aufgetreten ist? Sind wir in der Lage, auf die Gewalttaten in geeigneter Weise zu reagieren? War es zu verantworten, eine solche Veranstaltung mitten in der Stadt stattfinden zu lassen? Woher kommt die massive Gewalt, die an den Gipfeltagen aufgetreten ist? Sind wir in der Lage, auf die Gewalttaten in geeigneter Weise zu reagieren? Außerdem gibt es eine Vielzahl von Fragen, die sich auf die Strategie und das konkrete Handeln der Polizei und der Innenbehörde beziehen.

Darum ist es wichtig, dass Vorbereitung und Durchführung des Gipfels politisch aufgearbeitet werden. Die Einsetzung eines Sonderausschusses ist dazu der richtige Weg. Bislang konnte der Ausschuss jedoch nur einen Teil der drängenden Fragen beantworten, weil er chronologisch arbeitet und sich noch in der Vorbereitungsphase des Gipfels befindet. Während es z.B. klare Aussagen zu Fehlern im Verkehrskonzept, bei der Akkreditierung von Journalist*innen aufgrund der mangelnden Datenqualität bei der Polizei und immerhin eine Entschuldigung in Hinblick auf den durchsuchten Bus der „Falken“ gab, ist bislang ungeklärt, wie es zu dem zeitweiligen Kontrollverlust in der Stadt kommen konnte. Diese Fragen stehen als nächstes auf der Tagesordnung.

Wir sind überzeugt davon, dass das Vertrauen in Staat und Politik in Hamburg nur zurückgewonnen werden kann, wenn weitere zentrale Fragen beantwortet werden.

Vertrauen bedeutet auch, dass jede Veranstaltung, die gewollt, geplant oder von außen an die Stadt herangetragen wird, auf ihre Durchführbarkeit geprüft wird, bevor eine Zusage erteilt wird. Einsame Entscheidungen eines Ersten Bürgermeisters und einer Bundeskanzlerin darf es nicht mehr geben! Die vorausgehende Entscheidung zu Olympia hat bereits die Einstellung vieler Hamburger*innen zu überdimensionierten Großveranstaltungen in der Stadt gezeigt.

Einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung leistet auch die juristische Aufarbeitung. Es ist richtig, dass die an den Gipfeltagen begangenen Straftaten ermittelt und zur Anklage gebracht werden. Durch die Klärung individueller Schuld in öffentlichen Gerichtsverhandlungen kann sich die Öffentlichkeit ein differenziertes Bild über die begangenen Straftaten und ihre Hintergründe machen. Es wird deutlich, dass sehr unterschiedliche Motivationen hinter den Straftaten standen. Diese sorgfältige Aufarbeitung ist auch erforderlich für Straftaten, die Polizist*innen vorgeworfen werden. Aus dieser Erfahrung heraus wird deutlich, wie wichtig der Ausbau von Kontrollmechanismen auch in den Behörden ist. Die scheinbar unendliche Geschichte der Kennzeichnungspflicht von Polizist*innen in Hamburg, haben wir im Koalitionsvertrag adressiert und streben ihre Einführung an.

Auch die Einführung, eines in anderen Bundesländern bereits etablierten Beauftragten für die Landespolizei muss in Hamburg erneut auf die Tagesordnung. Dort wo sie etabliert sind, haben sie sich als wichtige Vermittler*innen zwischen Bürger*innen und Polizei erwiesen.

Demokratie erneuern – Volksgesetzgebung reformieren

In Hamburg ist die direkte Demokratie kaum mehr wegzudenken. Zahlreiche Bürgerbegehren und Volksinitiativen hat es in den vergangenen Jahren gegeben, mit – wie es sich für eine Demokratie gehört – unterschiedlichem Ausgang.

Doch die eigentliche Partizipation, die Gestaltung von Willensbildungsprozessen und die Einflussnahme auf die Ergebnisse darf nicht vernachlässigt werden. Das gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass Rechtspopulist*innen versuchen, „das Volk“ für sich zu vereinnahmen. Wenn die AfD Volksabstimmungen nach Schweizer Vorbild fordert und sich damit vermeintlich für mehr Demokratie einsetzt, dann tut sie das aus einer Ablehnung gegenüber dem Parlament. Für uns GRÜNE gehören Parlamentarismus und direkte Demokratie zusammen – beide ergänzen einander und stehen nicht im Widerspruch zueinander.

Als GRÜNE haben wir bereits vor vier Jahren die grünen Leitlinien für gute Bürgerbeteiligung beschlossen. Wir setzen uns auf Bezirks- und Landesebene im Sinne dieser Leitlinien ein. Für uns war es ein logischer und konsequenter Schritt, dass wir auch die Möglichkeit eines Bürgerschaftsreferendums geschaffen haben. Wenn der gesellschaftliche Diskurs deutlich macht, dass es eine relevante Frage gibt, die in einer Abstimmung klar darstellbar ist, dann sollte es auch dem Parlament möglich sein, die Bevölkerung direkt abstimmen zu lassen.

Gleichzeitig wollen wir nicht vergessen, dass Bürgerbeteiligung viel mehr ist als indirektes und direktes Abstimmen: Daher setzen wir uns für eine Reform der Volksgesetzgebung ein, die eine diskursive Bürger*innenbeteiligung mit direktdemokratischen Elementen verbindet und der parlamentarischen Demokratie stärkend zur Seite stellt.

Datenschutz und Persönlichkeitsrechte wahren

Wie wir uns in der Demokratie beteiligen und einbringen, uns informieren und wie wir unsere Meinungen bilden und äußern können – das alles wird beeinflusst durch den Prozess der Digitalisierung, der nicht nur eine technische Revolution ist sondern auch ein gesellschaftliches Phänomen. Wie sich Digitalisierung auf unser Leben und unser Zusammenleben mit anderen auswirkt, ist immer auch eine politische Frage.

Einerseits beeinflussen technische Neuerungen menschliches Verhalten und Denken: in der Art und Weise wie wir kommunizieren, uns informieren, Informationen zugänglich machen und wie wir Teilhabe gestalten. Andererseits beeinflussen Menschen aber auch, wie Technologie verwendet wird, was sie tut und wie sie funktioniert. Es geht um zwei ethische Fragen: Was machen neue Technologien mit Menschen? Und was machen Menschen mit Technologien? Was machen Technologien mit und aus Menschen?

Wir wollen diesen Prozess mitgestalten. Aus grüner Sicht bieten sich vielfältige Chancen, die wir nutzen können, um unsere Demokratie und unser gesellschaftliches Miteinander zu festigen, unsere Wirtschaft zu stärken und das Erreichen unserer ökologischen und sozialen Ziele zu unterstützen. Wir wollen die Digitalisierung für eine nachhaltige Entwicklung in Richtung einer weltweit vernetzen und offenen Wissensgesellschaft nutzen, die durch Austausch und Informationen die Möglichkeiten der Teilhabe an sozialen, politischen, ökologischen und technologischen Entwicklungen vorantreibt: Eine nachhaltige Entwicklung hin zu mehr globaler Gerechtigkeit und einer besseren Verteilung des Wohlstandes und des ressourcenschonenden Verbrauchs.

Globalisierung und Digitalisierung dürfen nicht dazu führen, dass durch die monopolähnlichen Verhältnisse der Zugang zum Internet sowie die Nutzung persönlicher Daten in wenigen – politischen und kommerziellen – Instanzen liegen. Zudem muss die politische Zielrichtung sein Plattformen zu dezentralisieren und zu demokratisieren, um die extreme Konzentration abzubauen bzw. zu vermeiden.

Ob ich Zugang zum Internet habe, entscheidet zunehmend mit darüber, ob ich meine Rechte und Freiheiten ausüben kann und ob ich am demokratischen Prozess partizipiere. Internetzugang ist zwar noch kein verbrieftes Menschenrecht, in der heutigen Informationsgesellschaft ist jedoch eine effektive Teilhabe ohne Zugang zu digitaler Kommunikation nur sehr eingeschränkt möglich.

Wir GRÜNE wollen, dass die Digitalisierung nicht zur Exklusion von Menschen führt. Dazu sind zum einen der technische Ausbau (Breitband- und Glasfaserausbau) nötig, zum anderen adäquate Weiterbildungsangebote und die Gewährleistung des Zugangs zum Internet für alle Hamburger*innen. Hamburg testet bis 2019 gemeinsam mit Venedig als erste in Europa das Giganetz 5G. Die Hafenbehörde Hamburg Port Authority (HPA) setzt 5G im Hamburger Hafen für logistische Anwendungen ein, damit wird Hamburg Teil des Forschungslabors für Digitalisierung.

Digitalisierung muss mehr Möglichkeiten zur Teilhabe schaffen und nicht weniger. Die Ängste von Menschen, die glauben, bei der Digitalisierung nicht mithalten zu können, nehmen wir ernst. Gerade für diese Menschen sind Weiterbildungsangebote besonders wichtig, genauso wie die Vermittlung von Medienkompetenzen, ein Grundverständnis für Programmieren und eine gute Ausstattung mit Computern an allen Hamburger Schulen. Wir wollen, dass alle Menschen die Digitalisierung für sich nutzen können. Deshalb müssen Bildungsangebote sowohl gendersensibel sein, als auch altersspezifischen und ökonomischen Bedürfnissen gerecht werden.

Demokratie, Engagement und Digitalisierung gehören für uns zusammen. Dazu gehört auch die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung. Digitale Verwaltungsdienstleistungen wollen wir weiter ausbauen, um Bürger*innen einen einfachen und barrierefreien Zugang zur Verwaltung zu eröffnen. Dabei muss sichergestellt sein, dass Online-Angebote nicht den persönlichen Zugang zu Verwaltungsdienstleistungen verhindern.

Wir setzen uns dafür ein, dass auch in der Hamburger Verwaltung stärker als bisher die Möglichkeiten von freier und quelloffener Software (Open Source) genutzt werden. Die Vielfalt von Software ist dabei auch mit Blick auf ihre sicherheitstechnischen Vorteile gegenüber herstellerabhängiger Software ein wichtiges politisches Ziel. Die Umstellung von Microsoft auf freie Software würde Möglichkeiten eröffnen, flexible und passgenaue Lösungen für die besonderen Bedarfe der Verwaltung zu finden und dabei gleichzeitig das Sicherheitsnivieau zu erhöhen.

Gerade im Kontakt mit der Verwaltung übermitteln Bürger*innen häufig sensible Informationen und müssen in besonderer Weise gegen eine Ausspähung ihrer Daten geschützt werden. Wir wollen auch in diesem Bereich den Datenschutz stärken. Wir setzen uns daher dafür ein, eine verschlüsselte Kommunikation mit Behörden zu ermöglichen, sowohl in Hinblick auf Internet-Telefonie, als auch bei der E-Mail-Kommunikation.

International unterstützen wir das Nachhaltigkeitsentwicklungsziel der UN, den Zugang zur Informations- und Kommunikationstechnologie signifikant zu verbessern und bis 2020 weltweit erschwinglichen Internetzugang zu ermöglichen.

In vielen Staaten dieser Welt steht aber auch die gezielte Abschaltung von Kommunikationsnetzen regelmäßig auf Tagesordnung; meist geschieht dies im Zuge politischer Krisen, wie etwa dem Arabischen Frühling kurz vor Wahlen oder während Massenprotesten. Das zeigt, nicht nur die Herstellung, sondern auch der Erhalt des technischen Zugangs ist es, was wir politisch voranbringen müssen. Die Stabilität der Kommunikationsinfrastruktur ist Voraussetzung für die Verwirklichung von Menschenrechten.

Internetnutzung und neue Medien haben neue Herausforderungen für die Gewährleistung der Meinungsfreiheit geschaffen. Beim Umgang mit Mobbing im Netz, Hate Speech und dem Einsatz von Social Bots müssen der Schutz der Meinungsbildungs- und Äußerungsfreiheit und – wo erforderlich – der Schutz von Betroffenen vor Hassrede, Cybergrooming und Cybermobbing durch eine effektive Rechtsdurchsetzung und Strafverfolgung in Ausgleich gebracht werden. Bei der Weiterentwicklung des NetzDG wollen wir darauf hinwirken, dass die Gefahr eines „Overblockings“ durch die Netzbetreiber weiter minimiert wird und eine unabhängige Clearingstelle geschaffen wird.

Der Einsatz von Social Bots in sozialen Netzwerken kann die Meinungsbildungsfreiheit beeinträchtigen, wenn durch Identitätstäuschungen und Multiplikationseffekte Einzelmeinungen einen hohen Verbreitungsgrad erhalten, ohne dass dabei deutlich wird, dass nicht durch „echte“ Personen kommuniziert wird. Um dem Grundsatz kommunikativer Chancengleichheit besser gerecht zu werden und Gefahren für die demokratische Willensbildung entgegenzuwirken, setzen wir uns für eine Kennzeichnungspflicht von Social Bots ein.

Kritischen Umgang lehren und lernen

Menschen treten als Datenproduzent*Innen und -konsument*Innen auf. Erst Bewusstsein um die eigene „Datenspur“ regt zur Datensparsamkeit und der kritischen Hinterfragung von „kostenlosen“ Apps an, bei denen die eigenen Daten das Produkt sind.

Viele unserer Entscheidungen im Alltag werden auf Algorithmen gestützt. Bildungsangebote müssen die Fähigkeit vermitteln, Input und Output von maschineller Entscheidungsfindung mit einer gesunden Skepsis zu bewerten. Umgekehrt kann gute Mensch-Maschine-Interaktion dafür sorgen, dass technische Systeme leicht nachvollziehbar sind. Auch hier tragen quelloffene Anwendungen eine besondere Bedeutung.

Die Vielzahl an Apps und Programmen täuscht über die tatsächlichen Monopole hinaus. In Bildungseinrichtungen kann die Angebotsvielfalt bei jeder Dienstleistung genutzt werden, um Monopolbildung entgegenzutreten.

Damit die digitale Bildung in jedem Klassenzimmer – real oder virtuell – ankommt, müssen die Lehrenden befähigt werden, gute, digitale Lehrangebote zu schaffen.

Nur, wenn es gelingt, jungen Menschen klar zu machen, welche Inhalte welchen Ursprung haben, kann eine politische Öffentlichkeit lebendig bleiben und können informierte Menschen an wichtigen Diskursen teilnehmen. Quellenkritischer Umgang mit digitalen Informationen muss Priorität im schulischen Alltag haben, damit Demokratie langfristig funktionieren kann.

My data – my choice

In der digitalen Gesellschaft gibt es die Möglichkeit das analoge Leben quasi zu doppeln. Jedes Verhalten an jedem Ort der Welt kann über digitale Sensorik aufgezeichnet und analysiert werden. Ein extremes Beispiel ist China, hier müssen die Menschen damit leben, dass ihr Gesicht in der Öffentlichkeit permanent gefilmt, gescannt und ausgewertet wird. Die Gesichtserkennung hat inzwischen alle Bereiche des öffentlichen Lebens erfasst. Seit 2014 baut der chinesische Staat ein gesellschaftliches Bonitätssystem, eine Art „Schufa“ für das gesamte Leben aus. Bis 2020 wird jedem Bürger und jeder Bürgerin eine Punktezahl zugewiesen, die sich aus ihrem Verhalten bei der Arbeit, in der zivilen Sphäre und bei finanziellen Transaktionen zusammensetzt. Hilfe bekommt die chinesische Regierung dabei von Technologiefirmen, die riesige Datenmengen sammeln und Überwachungstechnologien austesten, um den Zuschlag als das offizielle System zu erhalten. Die Gesichtserkennung gilt dabei als eines der mächtigsten Mittel, da die künstliche Intelligenz inzwischen biometrische Daten schnell und akkurat mit einer großen Datenbank abgleichen kann, die sich aus Informationen von Behörden, sozialen Netzwerken und digitalen Geschäften speist. Die Bevölkerung dort hat kein Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Die Menschen werden vom Subjekt zum Objekt gemacht. Dieses Beispiel ist extrem, aber es ist real.

Und auch schon durch die Nutzung unserer Mobiltelefone, die unsere kompletten Kommunikations- und Bewegungsdaten erfassen und „in der Cloud“ speichern oder die gerade hippen Gesundheitsarmbänder und damit der Zugriff auf unsere Gesundheits- und Verhaltensdaten zeigen, dass auch wir in Deutschland und Europa eine ganz zentrale Aufgabe bei der Digitalisierung zu bewältigen haben: den Schutz unseres Rechts auf informationelle Selbstbestimmung.

Einen wichtiger Schritt dazu, eben dieses Recht auch in einer digitalisierten Welt zu schützen und die Rechtsposition von Bürger*innen zu stärken und so etwas wie eine Digital Governance2 in Europa zu etablieren, ist die europäische Datenschutzgrundverordnung. Dank dieses Erfolgs, der maßgeblich durch grüne Politik im Europäischen Parlament geformt wurde, gilt ab Ende Mai 2018 weitgehend nur noch ein Recht, nicht mehr 28. Mit der Verordnung wird erstmals ein echter digitaler Binnenmarkt in der EU geschaffen. Das Recht auf Daten-Portabilität (Daten können von einem Diensteanbieter zum nächsten portiert werden), das Recht auf Vergessen (Löschung der Daten), Privacy by Design (Datenschutz als Standardeinstellung in Geräten und Apps) und die betrieblichen Datenschutzbeauftragten sind nun rechtlich verankert. Eine wesentliche Verbesserung sind die durch die Verordnung eingeführten Informationspflichten von Unternehmen und Behörden über die Verarbeitung personenbezogener Daten. Durch die Einführung des Marktortprinzips müssen internationale Unternehmen sich an die geltenden Standards des Landes richten, in denen sie ihre Dienste anbieten.

Die Datenschutzgrundverordnung sorgt dafür, dass es keine Relativierung des Rechts durch Digitalisierung gibt. Sie ist technikneutral und offen für Entwicklung formuliert. Dieses Prinzip soll für uns GRÜNE grundsätzlich der Maßstab sein.

Wir haben dementsprechend unter unserer Regierungsbeteiligung den Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit unabhängig gemacht.

In den kommenden Jahren wollen wir GRÜNE erreichen, dass:

  • Datenschutz, Datensicherheit und Datensouveränität als notwendige Voraussetzungen und nicht Hemmnisse der Digitalisierung im politischen Handeln begriffen werden. Rein abwehrender Datenschutz, der auch nützliche Angebote verhindert, ist nicht zielführend. Wir brauchen einen „gestalterischen Datenschutz“, der schon bei der Entwicklung digitaler Angebote Berücksichtigung findet. Deutschland kann weltweiter Vorreiter für Datenschutz und Datensicherheit werden. Hamburg kann gestalterischen Datenschutz zu seinem Markenkern machen und kann damit beispielgebend sein.
  • bei der Anpassung der deutschen Datenschutzgesetze an die EU-Datenschutzreform die hohen Standards für klare Grenzen für Sammlung und Verwertung persönlicher Daten und Informationen nicht aufgeweicht werden. Datenhungrige Unternehmen speichern Informationen über individuelles Verhalten ihrer Kund*innen und nutzen diese Daten zur Profilerstellung. Die bestehenden Schutzmechanismen wie das Prinzip der Einwilligung laufen dabei ins Leere, solange Verbraucher*innen nicht wissen, worin genau sie einwilligen. Alle Verbraucher*innen haben das Recht zu wissen, wer was wann und wo über sie speichert. Nur sie selbst – kein*e Arbeitgeber*in, kein Internetanbieter, keine Krankenkasse – dürfen bestimmen, wer Zugriff auf ihre Daten hat und was damit geschehen soll.
  • die Verwendung von Algorithmen und „künstlicher Intelligenz“ im Bereich von öffentlichen Unternehmen, sozialen Medien und der Daseinsvorsorge nicht zu struktureller Diskriminierung führt. Unternehmen und Staaten nutzen immer öfter Software, um Entscheidungen zu treffen, die zuweilen erhebliche Konsequenzen für die Betroffenen haben. Computer berechnen zum Beispiel in Polen, wer Sozialhilfe bekommen soll. Oder in den USA, wer durch die NSA überwacht werden soll.
  • In Unternehmen werden andere Fragestellungen von Computern (mit)entschieden: Wer bekommt welche Werbung angezeigt? Wer bekommt den Arbeitsplatz? Wer bekommt eine Krankenversicherung oder einen Kredit? Diese Fragen sind marktwirtschaftlicher Alltag und nicht an sich diskriminierend. Studien zeigen jedoch, dass einzelne Gruppen von Menschen mit einem bestimmten Geschlecht, Hautfarbe oder sexueller Orientierung bei diesen Entscheidungen strukturell benachteiligt werden. Solchen strukturellen Benachteiligungen wollen wir entgegenwirken.
  • der/die Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit weiter gestärkt wird. Alle zwei Jahre verdoppeln sich die digitalen Datenmengen die wir produzieren. Daher muss auch die personellen und technische Ausstattung für den Datenschutz mitwachsen.
  • der Einsatz von Technologien durch die Sicherheitsbehörden bei Versammlungen sensibel gehandhabt und streng geregelt wird.

Angriffe auf den demokratischen Diskurs und die weltoffene Gesellschaft zurückweisen

Die Rechtspopulist*innen haben in ganz Europa durch sowohl durch ihre Art politische Meinungen kund zu tun als auch durch ihre Themensetzung stark polarisiert. Der demokratische Diskurs hat sich durch kalkulierte Tabubrüche und die eigene Opferinszenierung negativ verändert. In Deutschland ist die AfD das parlamentarische Sprachrohr dieser Rechtspopulist*innen. Im Umgang mit ihnen verfolgen wir als GRÜNE eine 5-Punkte-Strategie:

1. Den Wald vor lauter Bäumen sehen: Die Mehrheit steht ein für die Vielfalt. Wir verteidigen sie!

So bedrohlich die Wirkung rechter Propaganda ist, fest steht doch: Die ganz große Mehrheit in Deutschland steht ein für die Vielfalt!

Wenn die AfD behauptet, sie sei der Anwalt der Mehrheit, sie sei ganz nah am Volk, dann ist das falsch. Die und derjenige, die und der sich für die liberale Gesellschaft und für unsere freiheitliche, demokratische Grundordnung einsetzt, ist der Anwält*in der Mehrheit! Die Grünen sind seit ihrer Gründung eine emanzipatorische Partei des gesellschaftlichen Fortschritts. Die Bundestagwahl hat uns einmal mehr gezeigt, wie wichtig und notwendig das ist, um auch nur das Erreichte zu wahren. Damit weiterhin gewährleistet ist, dass die Menschen ihr Lebensmodell selbst aussuchen können, für die freiheitliche, demokratische Grundordnung und für den Erhalt des Parlamentarismus.

2. Der Botschaft von Angst und Spaltung müssen wir deswegen eine positive emotionale Botschaft entgegensetzen: Die Liebe zählt!

Rechtspopulismus ist nicht (allein) mit rationalen Argumenten zu besiegen. Wer gute Politik machen will, braucht eine klare Faktenbasis und wissenschaftsbasierte Lösungen. Das reicht aber nicht aus. Wir müssen deutlich machen, dass durch die öffentlichen Diffamierungen und die Hetze unser Gesellschaftsmodell in Gefahr ist. Dass ganz konkrete Lebensentwürfe in Gefahr sind, als minderwertig abgestempelt zu werden. Der Botschaft von Angst und Spaltung müssen wir deswegen eine emotionale Botschaft der Solidarität entgegen setzen.

Gleiche Rechte für alle: Mehr Feminismus wagen

In den letzten Jahren lässt sich immer wieder feststellen: Anti-Feminismus und Rechtspopulismus gehören in der Praxis häufig zusammen. Aus dem Umfeld der AfD wird gegen feministische Aktivistinnen gehetzt, in den Parlamenten will die AfD geschlechtergerechte Sprache abschaffen oder die Förderung für LSBTI*-Projekte streichen. Sogenannte Lebensschützer*innen finden hier genauso ein politisches Zuhause wie aggressive Männerrechtler. Für die Rechte von Frauen interessiert sich die AfD nur, wenn es sich lohnt diese zu instrumentalisieren um gegen Geflüchtete Stimmung zu machen.

Für uns Grüne gilt: Wir sind eine feministische Partei, wir wollen die Hälfte der Macht für Frauen, wir wollen gleiche Rechte für alle. Wir werden daher nicht nur bisherige Errungenschaften gegen Rechtspopulist*innen verteidigen, sondern uns auch weiterhin für die Rechte von Frauen und LSBTI* einsetzen. Uns geht es darum, dass alle Menschen selbstbestimmt und diskriminierungsfrei leben können. Wir wollen, dass alle frei von Gewalt leben können, ihre sexuelle Selbstbestimmung und ihre reproduktiven Rechte verwirklichen können. Dafür gibt es noch viel zu tun und das begreifen wir als Arbeitsauftrag.

3. Klare Regeln für alle: Argumente ja, aber Hetze und der Aufruf zur Gewalt sind tabu

Wenn die Führer*innen der AfD sagen: Man wird doch mal sagen dürfen… Entgegnen wir: Ja, darf man! Genau das ist Demokratie und genau deshalb verteidigen wir die Demokratie. In einer Demokratie gibt es Regeln und es gibt Minderheitenschutz. Darum ist die Grenze klar: Hetze und der Aufruf zur Gewalt sind tabu. Im Strafgesetzbuch gibt es klare Regeln. Die gelten für alle.

4. Weder Schönrederei noch Haudrauf-Slogans: Lösungen anbieten!

Die weit verbreitete These, dass Rechtspopulist*innen berechtigte Sorgen aufgreifen, nur leider die falschen Lösungen anbiete, halten wir für falsch. Wir dürfen der Verrohung des Diskurses keinen Nährboden bieten, wie es die AfD macht. Dazu gehört, kluge Konzepte parat zu haben und so nicht nur Kritik zu äußern, sondern gleich einen fundierten Lösungsvorschlag anzubieten. Hier ist auch Platz für eine Tonlage des Erwägens und Abwägens, in der auch die Komplexität von Politik Raum erhält.

5. Europäische Identität statt nationale Illusionen: Ja zu Europa!

Die AfD macht, wo es irgend geht, die EU zum politischen Sündenbock. Sie ist überzeugt, die EU sei ein zutiefst undemokratisches Konstrukt. Dabei ist das EU-Parlament mit seinen 751 Abgeordneten direkt von den Bürger*innen gewählt. Außerdem kann es für viele grenzüberschreitende Probleme keine überzeugenden nationalen Lösungen geben: zum Beispiel beim Kampf gegen den Klimawandel. Die eindeutige Mehrheit in Deutschland bewertet die Europäische Union im Grundsatz positiv. „Wir sagen: Von weniger Europa hat keiner mehr – und sind willens, die ausgestreckte Hand Macrons zu ergreifen und gemeinsam mit progressiven Kräften überall in Europa die EU solidarisch weiterzuentwickeln.“

1Hierzu hat auch die Parlamentarische Versammlung des Europarates eine Resolution gefasst (April 2017).

2Digital Governance definiert klare Verantwortlichkeiten, Rollen, Rahmenbedingungen und Standards.