Realisierbarkeit des Bürger*innentickets prüfen

PDF: 2018-03-24_LMV-Beschluss_BuergerInnenticket

Es gibt ein Grundrecht auf soziale Teilhabe, auf Arbeitsortwahl und auf Freizügigkeit. Diese Grundrechte werden dadurch gewährleistet, dass der Zugang zu Mobilität für alle Bürger*innen sowohl technisch als auch ökonomisch möglich ist. Sie können nur realisiert werden dadurch, dass der ÖPNV sozialverträgliche Tarife hat. Es gibt weiterhin ein Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, das gegen Gefährdung durch Unfälle im Straßenverkehr, gegen gesundheitsgefährdende Schadstoffbelastungen und gegen Lärm beim Wohnen, Lernen und Arbeiten realisiert werden muss.

Hamburg bemüht sich seit Jahren, diesen Grundrechten zu entsprechen, durch Busbeschleunigung, S/U-Bahnlinienausbau und die Transformation zur „Fahrradstadt“; durch Luftreinhaltepläne und Lärmaktionsplanung. Diese Schritte gehen in die richtige Richtung und wurde durch die GRÜNE Regierungsbeteiligung wesentlich besser! Die nächsten zwanzig Jahre werden eine Dekade des Schnellbahnausbaus sein. Durch unsere Regierungsbeteiligung wurde hier noch einmal mehr Dampf gemacht. Doch wenn die Verkehrswende wirklich gelingen soll, wenn wir die Lebensqualität in unserer Stadt wesentlich erhöhen wollen und wenn wir es ernst meinen mit dem Klimaschutz, müssten wir mehr tun! Wir wissen aus Befragungen, dass der Preis nicht das wesentliche Kriterium für die Verkehrsmittelwahl ist: Pünktlichkeit, Sauberkeit und Zuverlässigkeit sind starke Faktoren, die Menschen dazu bewegen HVV zu fahren. Doch auch der Preis ist entscheidend; und der ist in Hamburg zu hoch! „Ticketerhöhungen werden derzeit allein von den Fahrgästen getragen. Wir möchten, dass der Zuschuss der Stadt wieder proportional mit den Kostensteigerungen wächst und nicht eingefroren bleibt.“ heißt es im GRÜNEN LMV-Beschluss „HAMBURG IN BEWEGUNG: FÜR GUTES LEBEN. FÜR UMWELT. FÜR ALLE.“ vom 2.11.2013. Die Umsetzung ist uns in den Koalitionsverhandlungen nicht gelungen.

Stattdessen steigen die Ticketpreise im HVV seit Jahren weiterhin an. Für eine Vollzeit-Abo-Karte für Hamburg AB bezahlt man im Jahr rund 1000€. Zum Vergleich: Eine Bahn Card 100 kostet als Einmalzahlung etwas über 4000€ im Jahr. Für den Gesamtbereich kostet eine Vollzeit-Abo-Karte sogar etwas über 2000€ im Jahr. Auch die Preise für Einzelfahrscheine sind in den letzten Jahren gestiegen. Als Erfolg können wir jedoch verbuchen, dass mittlerweile mit jeder Erhöhung auch der Zuschuss zur Sozialkarte erhöht wird. Doch wir wollen mehr und andere machen es vor: In Wien kostet ein Jahresabo 365 Euro im Jahr. Für ganz Hessen kostet ein Schülerticket ebenfalls nur 365 EUR im Jahr. Für Beamtinnen und Beamte ist in Hessen das Jahresticket in der Besoldung enthalten. Eine Möglichkeit die Preise zu senken ohne die Einnahmen zu senken und somit die Verluste zu erhöhen, wäre eine breitere Verteilung der Fahrgeldeinnahmen. In anderen Worten wäre dies eine solidarische Finanzierung, bei der alle zahlen und zwar unabhängig von ihrer Nutzung. Eine Möglichkeit einer solchen solidarischen Finanzierung wäre ein Nahverkehrsbeitrag, welcher ähnlich des Semestertickets von (fast) allen Hamburger*innen geleistet wird. Ein solcher Beitrag würde dann defacto ein Bürger*innenticket sein.

Finanzierung

Die Kernfrage bei einem solchen Bürger*innenticket ist die Finanzierung. Wenn die Ticketeinnahmen wegfallen, können dann diese Einnahmen durch die solidarische Finanzierung ausreichend kompensiert werden? Ist ein solcher Nahverkehrsbeitrag niedrig genug, dass dieser politisch vertretbar ist? Betrachtet man überschlägig die derzeitigen Einnahmen aus Ticketerlösen im HVV und die Bevölkerungs- und Touristenzahlen in Hamburg, so scheint ein Bürger*innenticket grundsätzlich finanzierbar zu sein.

Die kostenfreie Nutzung für Kinder und Jugendliche könnte außerdem die ÖPNV-Kosten für Familien mit Kindern und Jugendlichen reduzieren, da diese oftmals die Tickets mit Taschengeld und damit mit dem Geld der Eltern bezahlen. Es wäre also auch eine familienfreundliche Maßnahme.

Auslastung und Wechselwirkung mit Rad-, Fuß- und Autoverkehr

Die Bahnen und Busse sind in Hamburg bereits jetzt in der Hauptverkehrszeit bis zum Anschlag ausgelastet. Eine Erhöhung der Passagierzahlen zur Hauptverkehrszeit ist daher nur mit erheblichen Infrastrukturinvestitionen möglich. Ein Großteil der Investitionen ist auch ohne ein Bürger*innenticket notwendig aufgrund der wachsenden Bevölkerung und den steigenden Fahrgastzahlen. Diese Kosten stehen daher nicht nur in einem funktionalen Zusammenhang mit der Einführung eines Bürger*innentickets. Gleichwohl bleibt zu prüfen, welche Auswirkungen die Einführung eines Bürger*innentickets auf die Auslastung hätte.

Eine weitere zu untersuchende Frage wäre, inwieweit durch ein solches Ticket Menschen vom Fahrrad auf den ÖPNV umsteigen und minimalste Distanzen per Bus/Bahn zurücklegen statt zu Fuß zu gehen oder mit dem Fahrrad zu fahren. Dabei ist zu beachten, welche sozialen Gruppen dies betrifft. Es sollte außerdem geprüft werden, wie primär Autofahrer*innen zum Wechsel auf den ÖPNV motiviert werden könnnen.

Vor dem Hintergrund der aktuellen, von der Bundesregierung auf Druck des EuGH ausgelösten Debatte um kostenlosen öffentlichen Nahverkehr möge die LMV beschließen:

BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN LV Hamburg setzt sich für eine langfristige Transformation des Verkehrs in Hamburg ein, der Mobilität nicht nur als Bewältigung von Wegen, die möglichst ökonomisch und effizient sein soll, sondern als Teilaspekt des kommunikativen Lebens und sozialen Teilhabe begreift. Lebensqualität ist unser Leitmotiv.

Die Landesmitgliederversammlung beauftragt den Landesvorstand und bittet die Bürgerschaftsfraktion, ein Konzept zu entwickeln, das Mobilität als Grundrecht anerkennt; das den Anteil des motorisierten Individualverkehrs (MIV) am Modal Split stark reduziert und das einen umlagefinanzierten Nahverkehr ermöglicht. Auf Grundlage dieses Konzeptes soll geprüft werden, ob das Bürger*innentricket in das nächste Bürgerschaftswahlprogramm aufgenommen werden soll.