„Die Gespräche zur Evaluation der Verträge mit muslimischen und alevitischen Religionsgemeinschaften begleiten“

Beschluss des Landesvorstandes vom 13. Januar 2022

Im Jahr 2022 jährt sich zum zehnten Mal die Unterzeichnung des Vertrages zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg, dem DITIB-Landesverband Hamburg, SCHURA – Rat der Islamischen Gemeinschaften in Hamburg und dem Verband der Islamischen Kulturzentren sowie des Vertrages zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg und der Alevitischen Gemeinde Deutschland e.V. (siehe Bürgerschaftsdrucksache 20/5830). Diese wurden am 13. November 2012 von den Vertragspartnern unterzeichnet. In Kraft traten sie schließlich am 19. Juni 2013, nachdem die Verträge in der Bürgerschaft beraten und beschlossen wurden.

Die Verträge wurden in der Überzeugung geschlossen, dass die Bürger*innen alevitischen und islamischen Glaubens einen bedeutenden Teil der Bevölkerung der Freien und Hansestadt Hamburg bilden und die Freiheit der Religionsausübung auch der Bürger*innen alevitischen und islamischen Glaubens als Teil einer pluralen und weltoffenen Gesellschaft zu bestätigen und zu bekräftigen. Auch war es Ziel der Verträge, auszudrücken, dass Religion einen wertvollen Beitrag als Mittlerin zwischen unterschiedlichen Kulturen und Traditionen zu leisten vermag. Es ging darum, die Beteiligung der alevitischen und islamischen Religionsgemeinschaften am religiösen, kulturellen und gesellschaftlichen Leben der Stadt anzuerkennen und zu unterstützen, damit sich die Beziehungen zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg und den Religionsgemeinschaften partnerschaftlich weiterentwickeln.

Die Verträge bündelten zunächst einmal Rechte, die Religionsgemeinschaften ohnehin zustehen und spezifizierten dann teilweise die Anwendung in Hamburg. Die 13 Artikel beinhalten folgende Themen:

  1. Glaubensfreiheit und Rechtsstellung
  2. Gemeinsame Wertgrundlagen
  3. Feiertage
  4. Bildungswesen
  5. Hochschulausbildung
  6. Religionsunterricht
  7. Religiöse Betreuung in besonderen Einrichtungen
  8. Rundfunkwesen
  9. Gewährleistung der Vermögensrechte; Errichtung und Betrieb von Moscheen, Gebetsstätten, Versammlungsräumen, Bildungseinrichtungen und sonstigen Gemeindeeinrichtungen
  10. Bestattungswesen
  11. Zusammenwirken
  12. Freundschaftsklausel
  13. Schlussbestimmungen

Am deutlichsten sichtbar wird das Wirken der Verträge in der Weiterentwicklung des hamburgischen Religionsunterrichtes zum Religionsunterricht für alle 2.0. Hier arbeiten die evangelische Kirche, die muslimischen Verbände Schura, Ditib und VikZ, die alevitische Gemeinde und die jüdische Gemeinde Hamburg gleichberechtigt gemeinsam mit der Schulbehörde an Bildungsplänen. Mit der Universität und der Wissenschaftsbehörde wird die Ausbildung der Lehrkräfte weiterentwickelt, so dass neben evangelischen Lehrkräften zukünftig auch muslimische, alevitische und jüdische Religionslehrerinnen und Religionslehrer das Fach unterrichten können. Inzwischen will auch die katholische Kirche in diesen Prozess einsteigen, so dass es künftig tatsächlich in Hamburg nur noch einen Religionsunterricht für alle Schüler*innen geben wird.

Doch wo stehen wir in Hamburg auch in den anderen Punkten zehn Jahre nach der Unterzeichnung? In den Verträgen haben die Vertragspartner folgendes vereinbart:

„Die Vertragsparteien werden nach Ablauf von zehn Jahren Gespräche mit dem Ziel aufnehmen, im Lichte der gewonnenen Erfahrungen über diesen Vertrag und die Notwendigkeit von Änderungen und Ergänzungen zu verhandeln.“

Dieser Passus ist die Grundlage für die sogenannten Revision oder Evaluation der Verträge. Im Koalitionsvertrag zwischen SPD und GRÜNEN für die 22. Legislaturperiode haben wir zudem folgendes vereinbart:

„Vergleichbar zu den Gesprächen mit der Nordkirche und der katholischen Kirche – werden die Koalitionspartner auch auf Senatsebene den Dialog mit den muslimischen Verbänden führen. Die Koalitionspartner betrachten den Staatsvertrag mit den muslimischen Verbänden weiterhin als geeignete Grundlage um auch in kritischen Fragestellungen eine Gesprächsbasis zu schaffen. Die Erfahrung zeigt, dass der entstandene Dialog das gegenseitige Verständnis fördert und einen Rahmen schafft, um gemeinsame Positionen für ein friedliches und tolerantes Miteinander zu entwickeln und zu vertreten. Die Koalitionspartner bekennen sich zu den Verträgen und werden die darin vorgesehene Revision im Jahr 2022 für eine weitere Intensivierung des Dialogs nutzen. Dazu gehört auch, dass bestehende Probleme klar angesprochen werden und Ziele und Maßnahmen für deren Lösung festgelegt werden.“

In den letzten zehn Jahren haben wir auch als GRÜNE immer wieder kritisch auf die Verträge geschaut. Insbesondere die Rolle des Islamischen Zentrums Hamburg (IZH), getragen von der Imam-Ali-Moschee und auch als Blaue Moschee an der Alster bekannt, war mehrfach Gegenstand von Parteibeschlüssen. Das IZH ist als Zentrum des schiitischen Islams in Deutschland eine wichtige religiöse Institution des Irans in Europa. Bis zum Herbst 2021 war das IZH stets im Vorstand der Schura vertreten. Gleichzeitig hat das Landesamt für Verfassungsschutz das IZH vor wie nach Unterzeichnung der Verträge auch weiter beobachtet und über dessen Aktivitäten berichtet. Dazu gehört die Propagierung der islamischen Revolution, aber insbesondere auch die Beteiligung an Demonstrationen wie dem Al-Quds-Tag, bei dem zur Vernichtung Israels aufgerufen wird. Dazu haben wir als GRÜNE Hamburg u.a. folgende Beschlüsse gefasst:

  • „Bedingungslose Anerkennung des Existenzrechts Israels“ (26. 11. 2016)
  • „Kein Schritt weiter mit dem IZH, dem Islamischen Zentrum Hamburg – das darf nicht ohne Folgen bleiben für den Staatsvertrag“ (9. 12. 2017)
  • „Unruhen im Iran – Grüne unterstützen säkulare und demokratische Kräfte“ (20. 2. 2018)

In diesen Beschlüssen haben wir deutlich gemacht, dass derartige Aktivitäten nicht mit den Wertgrundlagen der Verträge vereinbar sind und Landesvorstand, Bürgerschaftsfraktion und Senat aufgefordert, entsprechend mit der SCHURA zu sprechen. Diese Gespräche wurden seitdem mehrfach geführt.

Vor dem Hintergrund dieses Sach- und Debattenstandes wollen wir als GRÜNE Hamburg auch den Prozess um die Evaluation der Verträge im ersten Halbjahr 2022 intensiv begleiten. Dazu bereiten der Landesvorstand und die Bürgerschaftsfraktion in enger Abstimmung verschiedene Veranstaltungsformate vor. Dabei soll es sowohl interne Runden geben, um uns untereinander auszutauschen als auch Formate mit externen Akteuren, die wir für eine Bewertung der Verträge für relevant einordnen. Dazu gehören neben den unmittelbaren Vertragspartner*innen auch weitere Akteure wie die weiteren Religionsgemeinschaften, die Akademie der Weltreligionen, der Liberal-Islamische Bund, der Verein Säkularer Islam, das Hamburg Forum für interkulturelle Zusammenarbeit, der Beauftragte für das Jüdische Leben, die Heinrich-Böll-Stiftung Hamburg und weitere Akteure. Ziel des Begleitprozesses ist es, Informationen zu den Hintergründen der Verträge sowie zum Evaluationsprozess bereitzustellen, um auf dieser Basis eine konstruktive innerparteiliche Debatte zu der Thematik zu ermöglichen. Die Debatte dient vorbereitend für eine Beschlussfassung der Partei. Der Landesvorstand wird am Ende des Prozesses einen entsprechenden Antrag zur Abstimmung stellen.

Veranstaltungsformate

Austauschformate mit verschiedenen Akteur*innen zur Weiterentwicklung der Verträge

1. Austausch mit den Vertragspartner*innen

Zu den beiden Verträgen mit der alevitischen Gemeinde wie mit den muslimischen Verbänden laden wir Vertreter*innen der Vertragspartner*innen zum Dialog mit den Mitgliedern ein. Hierfür werden wir im Vorfeld auf die Mitglieder zugehen und bestehende Fragestellungen sammeln, um damit an unsere Dialogpartner*innen heranzutreten. Mögliche Themen sind:

  • Welche Vorteile/Nachteile haben sich in den vergangenen Jahren für sie im Rahmen der Staatsverträge ergeben?
  • Welche Änderungen streben sie an?
  • Welche Bedeutung haben die Verträge für die Vertragspartner/Muslime in Hamburg?
  • In welcher Form sind sie bereit, den liberalen und säkularen Islam in die künftige Gestaltung einzubeziehen?
  • Wie beurteilen sie die Weiterentwicklung des Religionsunterricht für alle?

Dem Format vorgeschaltet wird es für all diejenigen, die die Geschichte und Genese der Verträge nicht oder nicht im Detail kennen, ein Informationsangebot mit Personen geben, die bis zum Abschluss der Verträge 2012 mit der Ausarbeitung der Verträge und der Debatte darüber befasst waren. Dieses Angebot dient ausdrücklich dem Blick zurück, um allen die Chance zu geben, auf demselben Debattenstand zu sein.

Das Format soll in Form eines internen Mitgliederabends im [April]1 stattfinden.

2. Austausch mit Kritiker*innen der Verträge

Zu den Verträgen haben sich im Laufe der Jahre verschiedene interne wie externe Akteure zu Wort gemeldet. Um für uns die Kritik an den Verträgen zu verstehen und zu reflektieren, laden wir auch zum Dialog die kritischen Akteure zum Austausch ein. Hier geht es unter anderem um die säkulare Perspektive auf die Verträge, die unsere LAG Säkulare, der Verein Säkularer Islam sowie das Säkulare Forum einnehmen. Aber auch weitere Akteure wie der Beauftragte für das Jüdische Leben oder die Deutsch-Israelische Gesellschaft sind hier zu nennen.

Auch hier werden im Vorfeld auf die Mitglieder zugehen und bestehende Fragestellungen sammeln, um damit an unsere Dialogpartner*innen heranzutreten.

Das Format soll in Form eines internen Mitgliederabends im [Juni]2 stattfinden.

3. Diskussionsformat zum Für und Wider der Verträge mit weiteren Akteuren

Nach der getrennten Auseinandersetzung mit der Perspektive der Vertragspartner*innen und der Kritiker*innen geht es in einem weiteren Format darum, die Argumentationslinien aufeinander abzustimmen und auch Perspektiven aus einer anderen Ebene zu hören. In einer diskursiven Veranstaltung werden wir neben Vertragspartner*innen und Kritiker*innen auch mittelbar betroffene Akteure wie Vertreter*innen des Interreligiösen Forums als Zusammenschluss aller Religionsgemeinschaften, der Akademie der Weltreligionen als Perspektive der Wissenschaft und andere einbeziehen.

Das Format soll in Form eines internen Mitgliederabends im [August]3 stattfinden.

Dezentrale Angebote innerhalb der Partei

Das Thema wird mit Sicherheit auch innerhalb verschiedener Landesarbeitsgemeinschaften und der Kreisverbände auf Interesse stoßen. Der Landesvorstand und die Bürgerschaftsfraktion begrüßen, wenn es hier ebenfalls Veranstaltungsangebote gibt und bieten an, bei der Suche nach Referent*innen behilflich zu sein. Idealerweise stimmen wir die dezentralen Veranstaltungsangebote so ab, dass sich inhaltliche Überschneidungen reduzieren. Hierzu ist der Landesvorstand bereits auf die Landesarbeitsgemeinschaften und die Kreisverbände zugegangen und wird dies auch in Zukunft noch einmal tun.

Auch die Bürgerschaftsfraktion wird neben fraktionsinternen Austauschformaten noch Fachveranstaltungen zu den Verträgen sowie einzelnen Aspekten, wie z.B. den Religionsunterricht für alle, anbieten. Ebenso bereitet die Heinrich-Böll-Stiftung Hamburg für das Jahr 2022 eine Veranstaltungsreihe zu den Verträgen vor, die wir allen Mitgliedern als weitere Möglichkeit zur Information und Meinungsbildung empfehlen.

1 Vorbehaltlich dem noch nicht final festgelegten Evaluationsprozesses des Senats.

2 Vorbehaltlich dem noch nicht final festgelegten Evaluationsprozesses des Senats.

3 Vorbehaltlich dem noch nicht final festgelegten Evaluationsprozesses des Senats.