Teilhabe, Inklusion und Barriere-Freiheit in Hamburg und Deutschland

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Im Grundgesetz steht: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“

Auch zehn Jahre nach der Verabschiedung der UN-Behindertenrechts-Konvention sind Inklusion und Teilhabe in großen Teilen der Gesellschaft noch immer in weiter Ferne. Wir brauchen deshalb ein Bundesteilhabegesetz, welches die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland garantiert und so das Recht auf Teilhabe behinderter Menschen in allen Lebensbereichen gesetzlich verankert.

Für Hamburg fordern wir eine*n hauptamtliche*n Behindertenbeauftragte*n, der/die mit einer schwerbehinderten Person besetzt werden sollte. Eine solche Aufwertung wäre ein deutliches Signal hin in Richtung Umsetzung der Ziele der Inklusion.

Nach aktuellen Angaben des Bundesfamilienministeriums sind gerade einmal 4,7 % aller Menschen mit Behinderungen von Geburt an betroffen. Das heißt, die meisten Behinderungen entstehen erst im Laufe des Lebens. Dazu kommt, dass die Menschen immer älter werden und im Alter umso mehr auf eine barrierefreie Umwelt angewiesen sind. Barrierefreiheit ist also ein Thema, das alle Generationen gleichermaßen angeht.

Beim barrierefreien Ausbau der Hamburger U- und S-Bahnen wurden große Fortschritte gemacht. Trotzdem gibt es für Schwerbehinderte in Hamburg immer noch Defizite in Sachen Mobilität, Erreichbarkeit und Nutzbarkeit von öffentlichen Einrichtungen. Die Stadt Hamburg sollte der Privatwirtschaft ein Beispiel sein und dafür sorgen, dass schwerbehinderte Menschen sämtliche Angebote in vollem Umfang nutzen können, egal ob Rollstuhlfahrer*innen,  Menschen mit Sehbehinderungen, Hörbehinderungen, Kommunikationsbehinderungen oder anderen Beeinträchtigungen.

Wir wollen uns mit unserem Thesenpapier jedoch nicht nur auf Hamburg beziehen, da viele Themen in die Zuständigkeiten sowohl hamburgischer als auch bundesweiter Behörden fallen. Dementsprechend können einige Forderungen auch als Anregungen für das Wahlkampfprogramm der GRÜNEN zur Bundestagswahl 2017 verstanden werden.

…Barriere-Freiheit

„Behindert ist man nicht, behindert wird man“ – lautet eine gängige Redensart. Und in der Tat ist es ein großes Ärgernis, wie viele physische Barrieren schwerbehinderten Menschen noch immer in den Weg gestellt werden. Die Teilhabe am Arbeitsmarkt ist schon deshalb oft unmöglich, weil viele Arbeitsplätze mit einem Rollstuhl nicht erreichbar sind. Und auch bei vielen Freizeit-Angeboten können Menschen mit Handicap nicht teilnehmen, weil immer wieder Stufen und Treppen oder andere Hindernisse im Weg sind. Ein gutes Bundesteilhabegesetz könnte hier für eine bessere Umsetzung der Inklusionsziele sorgen. Skandalös ist die Tatsache, dass Schwerbehinderte nur mit großen Schwierigkeiten eine Arztpraxis finden. Auch in bestehenden Praxen müssen Zugänge, Toiletten und vor allem Räume bzw. Geräte für Untersuchungen für Menschen mit Handicaps erreichbar sein. Zu diesem Zweck sollten Fördermittel zur Verfügung stehen, um auch Praxen im Bestand die Möglichkeit zu geben, barrierefrei umzubauen, damit eine zuverlässige und ortsansässige Versorgung gesichert ist. Darüber hinaus ist es dringend geboten, Informationen über vorhandene barrierefreie Praxen zugänglich zu machen.

Untragbar ist es außerdem, dass behinderungsbedingter Mehrbedarf (wie z. B. Assistenz) bei einem Krankenhaus-Aufenthalt nicht finanziert wird, obwohl das Krankenhauspersonal weder zur individuellen Pflege noch zur Hilfe bei der Kommunikation im Stande ist. Ein pflegebedürftiger Mensch braucht im Krankenhaus nicht weniger Hilfestellungen, sondern mehr.

Hamburg benötigt dringend mehr barrierefreie Wohnungen für alle Menschen mit Behinderungen. Alle Wohnungs-Neubauten sollten zukünftig über eine fest quotierte Anzahl von barrierefreien Wohnungen verfügen, darüber hinaus müssen 50 % aller mit öffentlichen Mitteln gebauten neuen Wohnungen barrierefrei und zeitlich unbegrenzt für Menschen mit Behinderungen reserviert sein.

…für Rollstuhlfahrer*innen

Öffentliche Gebäude müssen grundsätzlich für alle Menschen gleichermaßen erreichbar sein, dasselbe gilt für kulturelle Angebote, insbesondere, wenn sie staatlich gefördert sind. Aber auch für privatwirtschaftliche Unternehmen sollten Förderungen geschaffen werden, Barrierefreiheit herzustellen. Dieses Ziel muss vernünftig mit den Interessen des Denkmal- und Brandschutzes abgewogen werden.

Es ist absurd, wie viele Restaurants, Kneipen, Geschäfte und andere Angebote in Hamburg über eine einzige Stufe erreichbar sind. Eine für Rollstuhlfahrer*innen unüberwindbare Barriere, die jedoch in den meisten Fällen mit geringem Aufwand rückbaubar wäre. Dafür müssen gesetzliche Voraussetzungen geschaffen werden. Untragbar ist außerdem, dass nach wie vor sehr viele Wahllokale nicht barrierefrei sind.

Der Zustand der Kreuzungen in Hamburg – auch der neu gestalteten – ist teilweise schlecht. Sehr häufig findet man nicht ausreichend abgesenkte Kantsteine sowie unregelmäßig verlegte Blinden-Leit-Streifen, die oftmals mehrere Zentimeter aus dem Boden herausragen und somit eine weitere, überflüssige Barriere für Rollstuhlfahrer*innen und Rollator-Nutzer*innen darstellen. Benötigt werden doppelte Querungen, bei der ein schmaler Abschnitt auf null Millimeter abgesenkt wird, sowie plan verlegte Blinden-Leit-Streifen zur einwandfreien Orientierung für blinde Menschen.

Kopfstein-Pflaster hat in Hamburg Tradition. Für Nutzer*innen von Rollstühlen und Rollatoren ist es jedoch äußerst problemtisch, auf einem derart unebenen Untergrund voran zu kommen. Insbesondere in Einfahrten, die Gehwege queren, müssen Fahrstreifen für Rollstühle verlegt werden, von denen Fahrradfahrer*innen gleichermaßen profitieren würden.
Der Ausbau barrierefreier öffentlicher Toiletten ist ein weiterer wichtiger Aspekt, um Menschen mit Behinderungen die Teilhabe am Leben zu ermöglichen.

…für Sehbehinderte und blinde Menschen

Zur Orientierung im öffentlichen Raum sind sehgeschädigte oder blinde Menschen auf taktile Leitelemente angewiesen, die dementsprechend systematisch verbaut werden müssen. Menschen mit Seh-Beeinträchtigungen benötigen kontrastreiche Markierungen sowie kontrastreiche und große Beschriftungen. Um öffentliche Verkehrsmittel selbstständig nutzen zu können benötigen Sehbehinderte regelmäßige Ansagen an Bahnhöfen, Bushaltestellen und auch in den Verkehrsmitteln selber.

Benötigt wird außerdem ein Ausbau von kulturellen Angeboten mit Audio-Deskription, der insbesondere bei staatlich geförderten Veranstaltern Standard sein sollte. Wer auf einen Assistenzhund angewiesen ist braucht diesen auch während einer Veranstaltung. Es muss deshalb klar geregelt werden, dass solche Hunde bei Bedarf überall Zutritt bekommen. Für blinde und sehbehinderte Menschen müssen behördliche Dokumente zukünftig auch papierlos und über Online-Zugänge zur Verfügung stehen.

…für Menschen mit Hör- und Kommunikationsbehinderung

Menschen mit Hörbehinderungen und Kommunikationseinschränkungen erleben ein besonderes Maß an Ausgrenzung. Beispielsweise ist die Kontaktaufnahme mit Ärzten, Krankenhäusern oder Notrufen kaum möglich. Benötigt werden deshalb barrierefreie Kommunikationsmöglichkeiten (wie z.B. Termin-Vergabe per Fax oder Mail) sowie Schrift- oder Gebärdensprachdolmetscher bzw. Kommunikations-Assistenz für Arztbesuche und Krankenhausaufenthalte. Die Mehrkosten hierfür müssen von den Krankenkassen oder dem Sozialamt getragen werden.
Um öffentliche Verkehrsmittel autonom nutzen zu können, benötigen gehörlose Menschen visuelle Informations-Systeme auf Bahnhöfen und auch in Verkehrsmitteln.

Öffentliche Veranstaltungsräume und Kultureinrichtungen, insbesondere wenn sie staatlich gefördert sind, sollten mit Induktionsanlagen ausgestattet werden. Schrift- oder Gebärdensprachdolmetscher müssen bei Bedarf abrufbar sein.

Jeder Hörbehinderte hat das Recht auf lebenslange Bildung. Weiterbildungs- und Umschulungsmaßnahmen müssen dementsprechend für Hörbehinderte barrierefrei sein. In allem Schulen soll das Wahlfach Deutsche Gebärdensprache eingeführt werden, damit hörende mit hörbehinderten Schulkindern und Jugendlichen kommunizieren können.

…für Menschen mit Lernschwierigkeiten und kognitiver Behinderung

Um Menschen mit Lernschwierigkeiten Teilhabe zu ermöglichen sollten die Regeln der „Leichten Sprache“ beachtet werden. Insbesondere beim Umgang mit Behörden und bei medizinischer Versorgung muss es Gesetze geben.