Beschluss des Landesausschusses: Echte Betreuungs-Perspektiven für Kinder in der Corona-Krise zügig entwickeln und umsetzen!

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Mit den Kontaktbeschränkungen in der Corona-Krise, die in Hamburg direkt mit Ende der März-Ferien in Kraft traten, wurden unter anderem auch Krippen, Kitas und Schulen in der Hansestadt und in ganz Deutschland komplett geschlossen, um Ansteckungen unter Kindern sowie das Weitertragen durch diese an die Eltern zu verhindern. Damit einher ging bundesweit – und auch in Hamburg – die Aufforderung an alle Eltern, möglichst im Homeoffice zu arbeiten, gleichzeitig Kinder zu betreuen sowie zu beschulen und diese nur in so genannte „Notbetreuung“ zu geben, sofern man einem systemrelevanten Beruf nachgeht oder Homeoffice für Eltern in keiner Form möglich scheint.

Diese Situation führte und führt zu diversen Problemen: Eltern sind der Belastung ausgesetzt, ihren Job zu Hause mit Betreuung und Beschulung der Kinder in Einklang bringen zu müssen und können dadurch – auch im Homeoffice – kaum konzentriert einer regulären Tätigkeit nachgehen. Gleichzeitig fehlt den Kindern und auch Jugendlichen der soziale Kontakt zu Gleichaltrigen. Es kann zudem in keiner Form gesichert werden, dass die Kinder daheim tatsächlich die Möglichkeit haben, vernünftig zu lernen. So steht nach einer Schätzung von Bildungsforschern und dem Kinderschutzbund von Mitte Mai zu befürchten, dass etwa jedes 10. Kind völlig vom Radar verschwindet und von den Lernangeboten, die Kitas und Schulen derzeit machen, gar nicht erreicht wird. Gerade auch aus Kinderschutzperspektive ist dieser Zustand dramatisch: Gewalt oder Vernachlässigung in Familien kann von keiner staatlichen Stelle erkannt werden. Ist ein Kind davon betroffen, so hat es keinerlei Möglichkeiten, Hilfe und Unterstützung zu erhalten. In Hamburg wurde im Zuge der Krise zwar von Behördenseite darauf gesetzt, Kitas und Schulen zu ermutigen, Familien gezielt anzusprechen, in denen man mögliche Probleme mit Lernunterstützung oder problematischen Familienverhältnissen vermutet, doch letztlich hing es sehr stark vom individuellen Engagement in einzelnen Einrichtungen ab, inwiefern das auch umgesetzt wurde und werden konnte.

Mit Rückgang der Infektionszahlen bundesweit sowie in Hamburg traten immer mehr Lockerungen und Wieder-Eröffnungen in Kraft, mit denen eine intensive Diskussion einherging, wie Ansteckungsrisiken minimiert und Infektionswege nachvollzogen werden können. Ob Spielbetrieb der Bundesliga mit Massentestungen, Öffnung von vorerst nur kleinen Geschäften mit klar definierten Abstandsregeln oder Wiedereröffnung von Restaurants mit Aufnahme der Daten sämtlicher Gäste und Bedienung mit Mundschutz – in fast allen Bereichen wurden kreative Lösungen und Konzepte erarbeitet, um schnell wieder zu einem halbwegs normalen Betrieb zu kommen. In Sachen Kinderbetreuung und -beschulung hingegen warten Eltern mancher Altersgruppen noch immer darauf, ihr Kind wieder in Betreuung geben zu können. Diese Prioritätensetzung in der von Politik angestoßenen und geführten Debatte führte und führt zu einem starken Unverständnis, Kopfschütteln und Wut bei unzähligen Familien. Verstärkt wird dieses Unverständnis noch dadurch, dass nach aktuellem Wissensstand Kinder deutlich weniger selbst von der Krankheit betroffen sind. Sie erkranken seltener als Erwachsene und die Krankheitsverläufe sind zudem in der Regel deutlich milder.

In Dänemark kam es nach dem großen Lockdown mit als erstes zur Wieder-Inbetriebnahme der Betreuung und Beschulung von Kleinkindern und Schulkindern bis Klasse 6 mit durchdachten Hygiene- und Abstandskonzepten direkt nach Ostern. Eine massenhafte Infektionswelle blieb aus, die Infektionszahlen gingen stattdessen langsam, aber kontinuierlich zurück. Erst dann begann die Wieder-Öffnung auch anderer Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Dänemark hat hier aus unserer Sicht politisch eine klare Priorität darauf gelegt, das Recht auf Bildung für Kinder als erstes wieder bestmöglich zu garantieren und den Bedürfnissen der Kinder wie Eltern den Umständen entsprechend angesichts der schwierigen Situation bestmöglich gerecht zu werden, ehe Regeln der Kontaktbeschränkung in anderen Bereichen wieder gelockert wurden.

In Deutschland und auch in Hamburg hingegen fehlen für Familien klare Ansagen zur Betreuung und Beschulung bis heute und es wird keinerlei längerfristige Perspektive kommuniziert.

Bundesfinanzminister Olaf Scholz bringt aktuell eine 300-Euro-Zahlung für alle Familien ins Spiel, um „deren Leistung zu würdigen und gleichzeitig die Konjunktur anzukurbeln“. Dieses Angebot wirkt völlig ziellos, da es einerseits wahllos allen Familien zugestanden werden soll – egal, ob diese Bedarf an Geldleistungen und zusätzlichen Mitteln zum Konsumieren haben oder nicht. Es vermittelt außerdem in viele Familien den Eindruck, als wolle man sie mit Geld ruhigstellen – das Problem von fehlenden Perspektiven in Sachen Beschulung, Betreuung und Kinderschutz allerdings löst solch eine Zahlung kein Stück.

In den Familien fallen derweil vielfach die Partner in alte Geschlechter-Klischee-Rollen zurück – Frauen übernehmen ersten Untersuchungen zufolge einen deutlich größeren Anteil der Care-Arbeit und fangen an, ihre Arbeitszeit sowie damit verbunden ihr reales Einkommen zu reduzieren – entweder freiwillig oder weil Arbeitgeber sie in Kurzarbeit drängen. Neben den kurzfristigen negativen Auswirkungen kann die Reduzierung der Arbeitszeit dazu führen, dass die betroffenen Frauen auch in Zukunft Folgen der Krise in ihrem Erwerbs- und Privatleben schmerzlich spüren: Keine interne Weiterentwicklung, keine Berücksichtigung bei Beförderungen sowie das langsame Unsichtbarwerden im Homeoffice und gesundheitliche Folgen durch die tägliche Überlastung werden immer wahrscheinlicher. Klar ist auch, dass eine Reduzierung der Arbeitszeit sich negativ auf die Renten- und Arbeitslosengeldansprüche auswirken wird.

In Hamburg wird mittlerweile zwar kommuniziert, dass Kinder der verschiedenen Altersgruppen in Kitas und Krippen nach und nach in reduziertem Umfang wieder in Kleingruppen betreut werden können. Für Eltern, die aus beruflichen Gründen auf eine ganztägige Betreuung angewiesen sind, reicht dies jedoch langfristig nicht aus. In Bezug auf die Grundschulen kommunizieren Stadt und Land weiterhin, dass es nur eine „Notbetreuung“ gibt, in der zwar niemand abgewiesen werde, die man aber begründen müsse. Sie ist in den Öffnungszeiten eingeschränkt und auf maximal 30% aller Kinder ausgelegt.

Die fehlende Konzeptentwicklung und Kommunikation von Perspektiven in der Kinderbetreuung auch in Hamburg lässt uns als Antragsteller*innen kopfschüttelnd und ratlos zurück.

Dass es immer noch heißt, Eltern die Homeoffice machen könnten, sollten ihre Kinder zu Hause betreuen statt sie in eine Einrichtung zu geben, offenbart aus unserer Sicht einen sehr abwertenden Blick auf Homeoffice insgesamt. Denn bei gleichzeitigen Anforderungen an Kinderbetreuung ist ein konzentriertes Arbeiten schlichtweg kaum möglich. Und der ohnehin skeptische Blick vieler Unternehmen aufs Homeoffice als „Einladung zum Bummeln und Faulenzen“ wird mit solchen Ansagen erst recht von staatlicher Seite noch bestärkt.

Zudem hat der Betrieb von Schulen, Kitas und Krippen aus unserer Sicht gegenüber öffentlichen Räumen wie S-Bahnen oder Bau- und Supermärkten den Vorteil, dass man im Falle auftretender Infektionen bei Betreuung in kleinen festen Gruppen die Infektionswege klar nachvollziehen kann und Menschen, die sich in Quarantäne begeben sollten, schnell identifizieren kann.

Uns ist klar, dass die Wiederaufnahme von Beschulung und Betreuung mit zahlreichen Problemen wie beispielsweise Widerstand bei einigen Eltern und Lehrer*innen einher geht, die aus Angst vor Ansteckung nicht in ihre Einrichtungen zurückkehren oder Kinder dorthin schicken möchten. Lehrer*innen muss daher mit schlüssigen Beschulungs-Konzepten ermöglicht werden, den nötigen Mindestabstand zu den Kindern stets einhalten zu können. Schnelle Testungen auf das Virus müssen unkompliziert möglich sein. Außerdem muss möglicherweise darüber diskutiert werden, wie die Schulpflicht sinnvoll anders ausgestaltet und durchgesetzt werden kann bis ein Impfstoff zur Verfügung steht.

Ein großer Teil der Familien – und zwar Eltern wie Kinder – allerdings wartet darauf, endlich die Perspektive zu erhalten, die Kinder wieder regelmäßig über mehrere Stunden in Krippe, Kita und Schule schicken zu können, um einem halbwegs regulären Erwerbsleben nachgehen zu können. Verschärft wird diese Situation dadurch, dass in immer mehr Berufen der Druck durch Arbeitgeber auf die Eltern steigt, endlich wieder „normal“ zu arbeiten.

Ein „Weiter so“ mit Eltern im ineffizienten Homeoffice-Betrieb und einer Rückkehr zu Familiensituationen, in denen alte Geschlechterrollen wieder verstärkt gelebt werden, weil Familien eine andere Perspektive nicht sehen, ist für uns deshalb kein noch länger haltbarer Zustand!

Der Landesausschuss beschließt daher:

Die Grüne Partei in Hamburg setzt sich dafür ein, auf allen Ebenen darauf hinzuwirken, dass schnellstmöglich Betreuungs-Angebote für alle Kinder in Krippe, Kita und Grundschule in Zeiten von Corona entwickelt und angeboten werden, die wirklich allen Eltern zur Verfügung stehen und die es in Bezug auf die Betreuungszeiten beiden Elternteilen ermöglichen, ihrer regulären Beschäftigung ernsthaft nachzugehen – egal, ob im Homeoffice oder anderswo. Die Partei kommuniziert das Ziel, dass alle Kinder spätestens nach den Sommerferien wieder in solchen Betreuungsverhältnissen unterkommen, wenn die Infektionszahlen in Hamburg dies zulassen, offensiv. Zudem wirkt die Partei daraufhin, dass in zukünftigen Öffnungs- oder Schließungsdebatten der Bildung und Betreuung der Kinder eine höhere Priorität eingeräumt wird.