Grüne Wege zu mehr Bildungsgerechtigkeit nach der Corona-Pandemie

Ziel GRÜNER Politik ist seit jeher ein Bildungssystem, das unabhängig von individuellen Faktoren gerechte Chancen für den Bildungserfolg einräumt und die Entwicklung aller Menschen zur Mündigkeit in einer demokratischen Gesellschaft ermöglicht. Doch unsere Antworten darauf, wie wir einen gerechten Zugang zu Bildung und Bildungserfolg unabhängig von Identität, Herkunft, ökonomischer Voraussetzung, religiöser Anschauung und Lebensalter ermöglichen können, sind bis heute nicht ausreichend.

Der sozio-ökonomische Hintergrund eines Kindes bestimmt noch immer wesentlich dessen Bildungschancen, in Deutschland laut OECD-Vergleich stärker als in vielen anderen europäischen Ländern. Das ist nicht nur ungerecht, sondern hemmt auch die allgemeine Erhöhung des Bildungsniveaus in Deutschland. Fehlende sprachliche Unterstützung und fehlende Förderung bei der frühen Entwicklung von Talenten, führen nach wie vor zu einem sogenannten Bildungstrichter. Dies bedeutet, dass beispielsweise 79 % der Kinder aus Akademiker*innenhaushalten ein Studium aufnehmen, hingegen nur 27 % der Kinder von Nicht-Akademiker*innen. [1]. Gleichzeitig stammen 72 % der Kinder in Deutschlands Schulen aus Nicht-Akademikerhaushalten. Des Weiteren zeigen Daten des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), dass auch die Bildungsbeteiligung sozioökonomisch benachteiligter Gruppen an Universitäten seit den neunziger Jahren rückläufig ist.

In den zwei Jahren Corona-Pandemie führten monatelange Schließungen von Bildungs-einrichtungen, Wechselunterricht und sehr unterschiedliche Möglichkeiten der digitalen Teilhabe zu noch mehr Ungleichheit und weiteren Ungerechtigkeiten. Dabei geht es uns GRÜNEN nicht nur um unterschiedliche Lernchancen während der Pandemie. Wissenschaft, Praktiker*innen und Eltern stimmen überein, dass psychische Auffälligkeiten wie Kontrollverlust, geringe Frustrationstoleranz und Gewalt ebenso wie psychische Erkrankungen zugenommen haben. Die soziale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ist oft verzögert, bei vielen Kindern und Jugendlichen gibt es ein geringeres Selbstvertrauen in das eigene Können und Defizite in sozialer Interaktion. Hinzu kommen Gewichtszunahmen, Bewegungsmangel und Verlangsamung der psychomotorischen Entwicklung. Dies betrifft laut einer Studie des Deutschen Jugendinstituts insbesondere Kinder von Eltern mit geringem Einkommen; vermehrt gibt es dort häusliche Enge sowie einen Mangel an Freizeitaktivitäten und Beschäftigungsressourcen.

Auch Studierende haben oftmals unter Einsamkeit und Existenzängsten gelitten – die Hochschulen geschlossen, den Nebenjob verloren, die einzige Interaktion mit anderen nur noch digital, oftmals aus dem alten Kinderzimmer, in das sie aus Kostengründen wieder einziehen mussten. Dies spiegelt sich auch in den Ergebnissen der deutschlandweiten Umfrage der Dachverband „freie zusammenschluss der studentInnenschaft (fzs)“ im Wintersemester 21/22 wider: die coronabedingte Lehr- und Lebenssituation bewirkte psychische und körperliche Mehrbelastungen, die sich u.a. in Rückenschmerzen (59 %), Konzentrationsschwierigkeiten (73 %) und Niedergeschlagenheit (62 %) niedergeschlagen haben [2].

In der Corona-Pandemie wurde ganz besonders sichtbar, dass wir in Zeiten multipler Krisen leben. Deshalb ist Bildung für nachhaltige Entwicklung wichtiger denn je. Sie ermöglicht, Systeme und ihre Grenzen zu erkennen, unterschiedliche Werte abzuwägen und Strukturen sowie den eigenen Lebensalltag entsprechend zu ändern. Kitas, Schulen, Hochschulen und außerschulische Einrichtungen tragen einen Großteil der gesellschaftlichen Verantwortung, die junge Generation jetzt besonders zu unterstützen und ihnen alle Chancen auf ein erfülltes, selbstbestimmtes Leben zu eröffnen. Trotz der sehr schwierigen Haushaltslage, u.a. bedingt durch die Aufnahme von Krediten für die Corona-Sonderpakete, müssen Maßnahmen zur Bewältigung der sozialen Auswirkungen der Pandemie auf Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene und alle anderen Lernenden in dieser Stadt Priorität haben. Wir GRÜNEN fordern daher einen Pakt für mehr Bildungsgerechtigkeit für alle Bildungsinstitutionen, der folgende Punkte umfasst:

Frühe Hilfen

Familien in prekären Lebenslagen mit hohen psychosozialen Risiken sind die Adressaten früher Hilfen. Diese bieten Informationen und Unterstützung für Familien im Übergang zu Elternschaft bis hin zu einem Kinderschutzsystem für Babys und kleine Kinder. Dabei sind eine enge Kooperation zwischen Beratungsinstitutionen, dem Gesundheitswesen und der Jugendhilfe entscheidende Voraussetzung. „Runde Tische“ und interdisziplinärer Austausch sind Grundlage von Hilfs- und Unterstützungsangeboten für junge Familien [3]. Der Bedarf ist während der Corona-Krise weiter gestiegen. Es erfordert Zeit und Fortbildungen, um Unterstützungsbedarf zu erkennen und ggf. weiter zu begleiten und falls nötig in andere Hilfesysteme zu überführen. Fortbildungen zu „Babylotsen“ werden von der Stiftung „SeeYou“ angeboten.

Wir GRÜNEN fordern:

  • ein verbindliches Angebot der „Babylotsen“ auf allen Geburtsstationen von Hamburger Krankenhäusern;
  • Zeitkontingente bzw. Abrechnungsmöglichkeiten für Fortbildungen sowohl für Einrichtungen der Jugendhilfe, wie z.B. Kitas, aber auch für gynäkologische Praxen und Kinderärzt*innen;
  • eine zielorientierte und an Good-Practice-Beispielen orientierten Steuerung der Kooperation zwischen Jugendhilfe, Gesundheitswesen und beratenden Institutionen.

Kita

Kitas müssen als frühkindliche Bildungssysteme qualitativ gestärkt werden. Dabei geht es insbesondere um einen angemessenen Personalschlüssel im Krippen- wie auch Elementarbereich sowie um die Qualifikation der einzelnen pädagogischen Fachkräfte in den Kitas. Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, müssen Beschäftigungsbedingungen attraktiver und lohnender sein, damit Fachkräfte langfristig gebunden werden.
Während der letzten zwei Jahre waren die Kitas pandemiebedingt für die meisten Kinder wochenlang geschlossen. Folgen sind u.a. Ängste und Unsicherheiten sowie Verhaltensschwierigkeiten wie Hyperaktivität und emotionale Probleme [4]. Dieser zusätzliche Bedarf an Unterstützung und Beratung stellt auch unsere Fachkräfte vor erschwerte Aufgaben. Das Fachpersonal in Bildungs- und Betreuungseinrichtungen muss für den Umgang mit unseren Kindern nach zwei Jahren Ausnahmezustand gestärkt werden und sicher aufgestellt sein.

Wir GRÜNEN fordern:

  • dass das Gute-Kita-Gesetz fortgesetzt und in ein Qualitätsentwicklungsgesetz mit bundesweiten Standards überführt wird;
  • eine gezielte Kampagne zur Gewinnung von Erzieher*innen und Sozialpädagogischen Assistent*innen, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken.

Ganztagsschule

Die Ganztagsbetreuung ist ein wesentlicher Schlüssel für mehr Bildungsgerechtigkeit. Im Rahmen des Ganztags können Kinder Bildungsangebote in Bereichen wie Sport, Musik, Kunst oder Kultur unabhängig von ökonomischen Bedingungen des Elternhaushalts wahrnehmen. Das Lernen an der Schule ist immer noch überwiegend zweigeteilt nach Fachunterricht durch Lehrkräfte und Betreuung in Ganztagsaktivitäten durch Honorarkräfte. Um Bildungsgerechtigkeit zu erreichen, ist eine stärkere Verzahnung dieser Bereiche notwendig. Hier spielen viele Faktoren hinein, die sich insbesondere in einem gebundenen und rhythmisierten Ganztag gut organisieren lassen.

Wir GRÜNEN fordern, dass

  • die Zusammenarbeit zwischen Schule und Ganztagsträgern verbessert wird im Sinne einer engeren Verzahnung der koordiniert zu gestaltenden Bildungsbiographien der Lernenden;
  • Teamarbeit in multiprofessionellen Teams ermöglicht und selbstverständlich wird und Zeiten für die Koordination von Lehrenden und Erziehenden sowie Übergabezeiten im Ganztag eingeplant werden müssen;
  • der Ganztag darauf ausgerichtet wird, Chancengerechtigkeit zu realisieren und auch Angebote für besondere Interessen und Begabungen, für Lernbegleitung und Schülercoaching beinhaltet;
  • die Möglichkeiten außerschulischer Lernorte wie Schülerlabore, Musikschulen, Sportvereine und Einrichtungen zur politischen oder ökologischen Bildung stärker genutzt und gefördert werden.

Unterstützungssysteme auf dem Bildungsweg

In der Pandemie hatten viele Kinder keine oder deutlich weniger Kontakte zu Gleichaltrigen und sie waren verstärktem Leistungsdruck ausgesetzt. All das beeinträchtigte das psychische Wohlbefinden von fast einem Drittel der Kinder [5]. Es ist unsere Aufgabe, gegen diesen Zustand alle erforderlichen Schritte einzuleiten.
Zusätzlich entfielen pandemiebedingt zahlreiche Aktivitäten, die den Horizont der Schülerinnen und Schüler erweitern: Es gab keine Klassenfahrten, Schüleraustausche fielen aus, Grenzen innerhalb Europas spielten zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder eine Rolle.

Daher fordern wir GRÜNEN:

  • dass in Schulen mit geringem Sozialindex die Lehrkräfte mehr Zeit für Beratung und Unterstützung erhalten;
  • die schulische Sozialarbeit weiterhin aufzustocken und in den kommenden Jahren weiter auszubauen, die psychologischen Angebote der Regionalen Bildungs- und Beratungszentren zu erweitern und sie besser mit dem schulischen Mehrbedarf abzustimmen sowie eine unbürokratische Vergabe der zusätzlichen Mittel für Sozialarbeit direkt über das Schulbudget;
  • die Ausweitung der Lernentwicklungsgespräche, um mehr Raum für die Begleitung der Entwicklung der Schüler*innen zu schaffen;
  • dass die Teilnahme an Schüleraustauschprogrammen allen ermöglicht wird und insbesondere benachteiligte Jugendliche hierzu ermutigt werden;
  • die Unterrichtsausfälle in der Pandemie auch weiterhin über eine Entschlackung der zentralen Abschlussprüfungen (erster und mittlerer Schulabschluss und Abitur) analog der letzten Jahre zu berücksichtigen;
  • die Reduzierung und Flexibilisierung von Lernerfolgskontrollen zu ermöglichen, damit dem Lehrpersonal durch weniger Korrekturaufwand mehr Zeit für die pädagogische Arbeit und einen aufmerksamen Blick auf das psychosoziale Wohlbefinden der Kinder und Jugendlichen bleibt;
  • die vorhandenen Angebote zur interkulturellen und psychologischen Weiterbildung von Lehrer*innen weiter auszubauen und psychologische Erstanlaufstellen wie z.B. das „Aktionsbündnis seelische Gesundheit“ zu stärken, um die psychosozialen Folgen der Corona-Pandemie abzumildern;
  • die psychologische Beratung an den Hamburger Hochschulen auszubauen.

Berufliche Bildung

Seit Jahren sind die Ausbildungszahlen rückläufig sind. Verursacht wird dies durch die demografische Entwicklung (unsere Gesellschaft altert) , abnehmendes Interesse an handwerklich-technischen Berufen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen und erhöhtes Interesse an akademischer Ausbildung. Der Mangel an Fachkräften hat bereits jetzt negative Auswirkungen auf die Wirtschaft. Gut ausgebildete Handwerker*innen sind aber auch essentiell um die Klimakrise zu bewältigen, beispielsweise indem sie Häuser energieeffizient sanieren. Einen deutlichen Mangel an Fachkräften gibt es auch bei systemrelevanten Berufen wie z.B. Erzieher*innen und Pflegeberufen sowie im Dienstleistungssektor.

Die Corona-Pandemie hat die schwierige Lage noch einmal verschärft: Jobmessen, die Berufsorientierung an den allgemeinbildenden Schulen und Praktika konnten nicht wie üblich stattfinden. Vielen jungen Menschen fehlten deshalb Möglichkeiten zur Jobfindung und Perspektivklärung. Betriebe mussten zeitweise schließen und kämpften z.T. um ihr wirtschaftliches Überleben. Aus Sorge um die eigene Zukunft und auf Grund wirtschaftlicher Schwierigkeiten während der Corona-Pandemie wurden nicht mehr im gleichen Umfang wie vor der Pandemie Ausbildungsplätze angeboten. Auch waren Betriebe, vor allem im Dienstleistungssektor gezwungen, Auszubildende zu entlassen, trotz der vom Bund aufgelegten Ausbildungsprämie.

Der Wechsel von Schulabgänger*innen in die Ausbildung wurde durch die Pandemie erschwert. Hamburg hat mit verschiedenen Maßnahmen darauf reagiert. Jobmessen und Kennenlernen zwischen interessierten Schüler*innen und Betrieben fanden vermehrt digital statt, die Anmeldefristen für vollzeitschulische Bildungsgänge wurden verlängert, Ausbildungsplätze in rein schulischen Ausbildungsberufen und Ausbildungsgängen sowie Plätze für die dualisierte Ausbildungsvorbereitung und Berufsqualifizierung wurden bedarfsgerecht erhöht. Dadurch konnten viele Schulabgänger*innen aufgefangen werden. Dennoch ist der Anteil der Schüler*innen in einer beruflichen Ausbildung während der Pandemie stetig gesunken. Während der Anteil der Schüler*innen in der Berufsvorbereitung und der Ausbildungsvorbereitung sich durch Ausweitung der Angebote im Vergleich zu 2019 deutlich erhöht hat, gab es einen starken Rückgang der betrieblichen Ausbildungsplätze. Die Übergangsquote von Schule in eine Ausbildung sank während der Corona-Krise um knapp 9 Prozent im Vergleich zu 2019.

Wir GRÜNEN fordern daher, dass

  • Betriebe dabei unterstützt werden, vermehrt Praktika für Schüler*innen anzubieten;
  • Ausbildungsbetriebe vermehrt auf Jobmessen der Hochschulcampus vertreten sind, um Studienabbrecher*innen für Ausbildungen zu gewinnen;
  • mithilfe verschiedener Kampagnen das Image der beruflichen Bildung verbessert wird, um auch mehr Abiturient*innen für die berufliche Ausbildung zu gewinnen;
  • Ausbildungsabbrüche verhindert werden durch Ausbau der Unterstützungsangebote und Maßnahmen für Auszubildende;
  • Mentor*innenprogramme für Ausbildungsberufe ausgebaut werden.

Der Weg in Studium und Hochschule

Zu den Schwierigkeiten beim Bemühen um Bildungsgerechtigkeit gehört, dass Erfahrungen mit Bildungsinstitutionen innerhalb von Familien oft tradiert werden. Es fehlt an Wissen, welche Unterstützungsmöglichkeiten es zur Überwindung kultureller und habitueller Schranken gibt. Laut einer Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung ist mangelnde akademische Integration der Hauptgrund für Studienabbruch von Studierenden, deren Eltern keine Akademiker*innen sind. Ältere Freund*innen, die oft als erster Anlaufpunkt für Jüngere dienen konnten, haben die Universität während der Corona-Pandemie bisher überwiegend im digitalen Raum kennen gelernt und können nicht wie sonst mit Erfahrungen aus erster Hand helfen, die ersten Hürden zu überwinden.

Der Zugang zu Bildung hängt noch immer auch vom Geldbeutel ab. So beträgt der Semesterbeitrag an der Universität Hamburg mittlerweile 335 €. Diesen Betrag am Anfang des Semesters komplett zu bezahlen, kann eine große Belastung für Studierende sein. Hinzu kommen gerade zu Beginn eines Studiums noch zusätzliche finanzielle Belastungen, beispielsweise die Anschaffung von digitalen Arbeitsgeräten oder Kosten für einen Umzug zum Studienort.

Während das BAFöG lange ein geeignetes Instrument war, um vielen, die es trotz aller Widrigkeiten so weit geschafft hatten, ein Studium zu ermöglichen und die Bildungsbeteiligung insgesamt erhöht hat, ist laut BAFöG-Bericht der Bundesregierung vom Dezember 2021 die Zahl der geförderten Studierenden abermals gesunken, auf nur noch 11 %. Studiengänge und Regelstudienzeiten passen oft nicht zu den Lebensrealitäten von Studierenden und Workload-Erhebungen sind nicht flächendeckend umgesetzt worden. 

Der bundesweite Durchschnitt für ein WG-Zimmer liegt bei 414 €, Hamburger Mietpreise sind durchschnittlich noch höher, somit reicht die Wohnkostenpauschale von 325 € kaum für ein WG-Zimmer. Die Ampelregierung auf Bundesebene beabsichtigt erfreulicherweise eine Reform des BAFöG. Hierzu zählen die Einführung einer elternunabhängigen Komponente, für die sich die GRÜNEN seit vielen Jahren einsetzen, ein Notfallmechanismus, mit dem alle Studierenden in existenziellen Krisen wie bspw. der Corona-Pandemie respektvoll und angemessen finanziell aufgefangen werden können, Verlängerung der Förderhöchstdauer, das Prüfen einer Teilzeitförderung und eine vereinfachte, digitalisierte Antragstellung. Außerdem fordern wir einen Zuschussanteil für alle Studierenden, mindestens in der Höhe der Kindergrundsicherung. Um die Belastungen für Studierende aus Bedarfsgemeinschaften zu verringern, ist eine einmalige Studienstarthilfe geplant.

Bei der Finanzierung aus öffentlichen Mitteln landet das Studierendenwerk in Hamburg im bundesweiten Vergleich im unteren Bereich. Seit ein paar Jahren ist die Trendwende in der staatlichen Finanzierung allerdings klar erkennbar. Allein in dieser Legislatur hat die Hamburgische Bürgerschaft mit Anträgen von SPD und GRÜNEN 2 Millionen Euro für das Studierendenwerk beschlossen zur klimafreundlichen Sanierung oder zum Abfedern von steigenden Preisen. Außerdem hat die grüngeführte Wissenschaftsbehörde mit weit über einer Million die Verluste des Studierendenwerks durch den geringen bzw. fehlenden Präsenzbetrieb abgemildert bzw. zusätzliche Mittel zum Ausbau der Digitalisierung bereitgestellt.

Mit dem Hochschulzugang nach §38 HmbHG bietet das Gesetz einen Zugang für beruflich Qualifizierte ohne schulische Hochschulzugangsberechtigung. Dies ist bereits eine gute Regelung, um den Zugang zur Hochschule zu öffnen: Diese muss jedoch reformiert bzw. an die Regelung der Sozialökonomie angepasst werden. Die Bedingung dreijähriger Berufserfahrung nach einer abgeschlossenen Berufsausbildung bildet eine unnötige Hürde.
In der Pandemie wurde erneut deutlich, dass nach wie vor allem Frauen die Fürsorgearbeit übernehmen, was bei Wissenschaftler*innen mit Familienverantwortung zu einer Verringerung der Forschungs- und Publikationsleistung geführt hat. Um dem entgegenzuwirken, hat die GRÜNEN-geführte BWFGB mit ‚Close the Gap‘ ein Verbundprojekt aufgelegt, um diese Nachteile auszugleichen.

Wir GRÜNEN fordern, dass:

  • Mentor*innenprogramme wie „arbeiterkind.de“ oder „Weichenstellung“ verstärkt unterstützt werden, um sich schon an den Schulen gezielt um Talente zu bemühen und um den Erfolg von Student*innen mit nicht-akademischem Hintergrund zu stärken;
  • die Hochschulen den Bildungsintergrund des Elternhauses abfragen und gezielt Maßnahmen – unter Beachtung der jeweiligen Fächerkulturen – zur Bewältigung des Übergangs von der Schule in die Hochschule sowie zum Beitrag zum Studienerfolg fördern und fortentwickeln;
  • die Hochschulen sich ein Beispiel an der Hochschule für bildende Künste nehmen und Studierenden bei Bedarf eine monatliche Zahlung des Semesterbeitrags ermöglichen;
  • im Zuge der Bund-Länder-Beratungen zur BAföG-Reform den Darlehnsanteil abzusenken und den Zuschussteil zu erhöhen sowie ferner die Wohnkostenpauschale in Städten mit hohen Mieten auf 500 € anzusetzen und damit den gesamten Regelsatz anzuheben, damit Studierende unabhängig von ihrer Herkunft überall studieren können;
  • das Studierendenwerk weitere Unterstützung erhält, damit auch in Zeiten der Inflation die Studierenden nicht überproportional durch Preiserhöhungen belastet werden und zusätzliche Wohnheimplätze geschaffen werden können;
  • die Hochschulen bei der Einstellung von Wissenschaftler*innen mit Fürsorgepflichten die geringere Publikationsleistung während der Coronapandemie als nicht nachteilig betrachten;
  • ein Hochschulzugang nach §38 HmbHG nach einer abgeschlossenen Berufsausbildung und einer Aufnahmeprüfung ermöglicht wird.

Lebenslanges Lernen

Für uns GRÜNE ist lebenslanges Lernen eine Chance, aber auch eine Notwendigkeit, um in unserer dynamischen und sich rasant verändernden Welt Schritt halten und am öffentlichen Leben teilnehmen zu können.
Damit mehr Menschen unabhängig von ihrer sozialen Herkunft und finanziellen Ausgangslage ihr individuelles Potenzial entfalten können, brauchen wir eine bessere Verschränkung der akademischen und beruflichen Bildung mit Anschluss- und Umstiegsmöglichkeiten für individuelle Bildungswege. Zudem muss zur Vermeidung zeitraubender Umwege ein transparentes Verfahren zur wechselseitigen Anerkennung von Kompetenzen – auch solcher, die in der Praxis oder im Ausland erworben wurden – entwickelt werden. Bildungsangebote müssen flexibler zur Lebenssituation passen, insbesondere, weil Bildungsbiografien immer weniger linear verlaufen.

Auch deshalb muss die Abschottung zwischen Studium und Beruf überwunden werden. Die Erfahrungen in der Pandemie mit Blended Learning haben dafür neue Möglichkeiten eröffnet. Zur besseren Gestaltung der Schnittstelle zwischen akademischer und beruflicher Bildung müssen sich in beide Richtungen Anerkennungsroutinen entwickeln. HAWen und einige private Hochschulen machen heute schon Angebote zur Kombination von Berufserfahrung und wissenschaftlichen Kompetenzen. Davon brauchen wir mehr – auch durch Weiterbildungsangebote von Hochschulen.

Wir GRÜNEN fordern, dass

  • durch eine verschränkte Bildungswege-Beratung Transparenz und Orientierung an der Schnittstelle zwischen Studium und Beruf verbessert wird;
  • die Träger beruflicher Ausbildung sich öffnen für Menschen mit akademischen Bildungsanteilen und dass gleichzeitig berufliche Bildungsgänge für leistungsstarke Auszubildende mit wissenschaftsorientierten Elementen angereichert werden;
  • durch die Neuordnung der Bildungsfinanzierung die Verzahnung erleichtert wird, ebenso durch Modularisierung der beruflichen Bildung, Zertifizierung von Teilqualifikationen auch im Studium und Angebote von Studienphasen zur Orientierung;
  • öffentliche Hochschulen in Hamburg ein Konzept für die berufliche Weiterbildung entwickeln;
  • die öffentliche Verwaltung ihre Laufbahnsysteme öffnet und flexibilisiert, um damit zu beiderseitigem Nutzen sowohl mehr Durchlässigkeit und Chancengerechtigkeit als auch eine stärkere Diversität der Verwaltung zu fördern.

Inklusion

Inklusion bedeutet dazugehören und ist eine Frage der Gerechtigkeit. Nur wenn wir niemanden ausschließen, eröffnen sich Chancen der Beteiligung und Weiterentwicklung für die gesamte Gesellschaft. Im engeren Sinne betrifft dies zum Beispiel Schüler*innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf, im weiteren Sinne sind es aber auch Barrieren anderer Art, die Teilhabe und Weiterentwicklung verhindern. Es bedarf einer Pädagogik, die auf der Annahme maximaler Heterogenität beruht und diese zu nutzen und wertschätzen weiß.
Generell gilt: Jedes Kind ist anders, und die jeweiligen Herausforderungen sind individuell. Um dem gerecht zu werden, aber gerade auch, um die unterschiedlichen Folgen der Pandemie für Kinder und Jugendliche auffangen zu können, ist die alte GRÜNE Forderung nach multiprofessionellen Teams aus Psycholog*innen, Sonderpädagog*innen, Sozialarbeiter*innen und Schulgesundheitsfachpersonal momentan besonders berechtigt.
Schulbegleitungen können gelingende Inklusion stützen. Eine systemische Verteilung der Mittel spart Ressourcen, schafft bessere Arbeitsbedingungen und ist der Realität kooperativer Lernprozesse im Klassenverband angemessen. Des Weiteren bedarf es eines besonderen Blicks auf Menschen, die vulnerablen Gruppen zugehören und damit von der Pandemie auch weiterhin stark betroffen sind.

Wir GRÜNEN fordern, dass:

  • Schulbegleitungen der Schule über einen Schlüssel zugewiesen und damit in gesicherte Arbeitsverhältnisse gebracht werden; nicht nur, um den Beruf attraktiver zu machen, sondern auch, um Schulen mehr Handlungsspielräume zu geben und das System von Verwaltung zu entlasten. Auch befürworten wir eine Verbesserung der Ausbildung und eine Qualitätssicherung in den Schulbegleitungen;
  • binnendifferenzierte Lernarrangements als Ziel der Schulentwicklung verankert werden und dass die Unterrichtsentwicklung durch erhöhte Teamarbeitszeiten gefördert wird, um die durch die Pandemie verstärkten Unterschiede besser zu kompensieren;
  • für vulnerable Gruppen (z.B. durch die Pandemie gefährdete chronisch Kranke) an allen Bildungsinstitutionen zuverlässige hochwertige hybride Formate, psychologische Begleitung und Unterstützung bei der Selbstorganisation sowie persönlicher Kontakt zu pädagogischem Personal angeboten werden;
  • Hochschulen und digitale Angebote der Hochschulen barrierearm eingerichtet werden;
  • Lehrende Fortbildungen in inklusiver Lehre und der Gestaltung von inklusiven Lehrmaterialien erhalten

Lernen in der digitalen Welt

Die Wichtigkeit, sich in der digitalen Welt zurecht zu finden und die Chancen und Risiken der Digitalisierung wurden unter Corona besonders deutlich. So hat sich die Bildungs-ungerechtigkeit unter anderem durch die unterschiedlichen IT-Ausstattungen und Unterstützungsmöglichkeiten im Distanzunterricht verschärft.
Gleichzeitig bietet die Arbeit mit digitalen Lernumgebungen auch die Möglichkeit, das Lernen so zu gestalten, dass im jeweils eigenen Tempo an den individuell anstehenden Themen gearbeitet wird, und damit alle passgenauer zu fördern und zu fordern. Dabei sollen digitale Medien nach bildungswissenschaftlich begründeten Kriterien als Ergänzung eingesetzt werden.
Chancengerechtigkeit in einer Kultur der Digitalität braucht einen verstärkten technischen Support für benachteiligte Schüler*innen. Dafür brauchen alle Schulen kompetente Ansprechpersonen, um die jeweiligen Fachlehrenden in den Unterrichtssituationen bei technischen Problemen zu entlasten. Schüler*innen mit weniger technik-affinen Eltern brauchen einen schulischen Support für die Nutzung von digitalen Geräten. Außerdem braucht jede Schule ad hoc ausleihbare Ersatzgeräte, um auf technische Probleme schnell reagieren zu können.

Um die Chancen der Digitalisierung für mehr Bildungsungerechtigkeit zu nutzen, fordern wir GRÜNEN:

  • eine am Sozialindex der Schulen ausgerichtete technische Grundausstattung der Schulen;
  • die landesweite Bereitstellung geprüfter Lernsoftwares, die adaptiv zum jeweiligen Lernstand der Nutzer*in passende Inhalte, Lernschleifen und Feedbacks bieten und die von den Lehrkräften unkompliziert genutzt werden können. Die Kosten für Einkauf oder Lizenznahme solch hochwertigen Contents sind bei der Digitalisierungsstrategie mitzudenken;
  • die schulübergreifende Speicherung und Nutzbarkeit digitaler Bildungsinhalte, die durch ein anwendungsfreundliches Such- und Bewertungssystem für die Lehrkräfte leicht auffindbar werden. Dafür könnte die Weiterentwicklung des digital.learning.labs ein Ansatzpunkt sein;
  • ausreichend Spielräume in den Bildungsplänen, damit Schüler*innen unter Nutzung digitaler Medien an eigenen, für ihre jeweiligen Lernstände relevanten Themen arbeiten können;
  • eine Vorbereitung von hybriden Unterrichtsformen für eventuell auftretende Pandemie-Wellen im Herbst/Winter und deren Erprobung an einem Stichtag im Spätsommer an allen Hamburger Schulen sowie eine didaktische Öffnung für die Entwicklung hybrider Unterrichtsorganisation in den Sek II-Bildungsplänen und die Förderung von Modellprojekten für die Entwicklung von hybriden Unterrichtsformen oder anderen flexiblen Unterrichts- und Lernformen;
  • eine Fortbildungsoffensive zum inklusiven und individualisierten Lernen im digitalen Raum, die den Schulen auch Freiräume für den effektiven Peer-to-peer-Austausch unter Lehrkräften ermöglicht. Auch braucht es niedrigschwellige und direkte Beratungs- und Unterstützungsangebote für Schulen und Lehrkräfte, um das Lernen mit und über Medien pädagogisch sinnvoll weiterzuentwickeln;
  • dass die Digitalisierung in den Beruflichen Schulen weiter vorangetrieben wird, sowohl bei den Endgeräten und Programmen für die Schüler*innen, als auch durch feste und gut ausgebildete IT-Beauftragte für die Schulen;
  • die Weiterentwicklung der Hochschullehre, bei der digitale Inhalte sinnvoll mit anderen Formaten kombiniert werden;
  • die Nutzung der Digitalisierung im Sinne der Nationalen Weiterbildungsstrategie des BMBF, sodass alle Menschen Zugriff auf passgenaue Weiterbildungsangebote haben und niedrigschwellige Angebote zum Aufbau digitaler Grundkompetenzen vorfinden.

Quellen:

[1] https://www.stifterverband.org/medien/vom_arbeiterkind_zum_doktor
[2] https://www.fzs.de/2022/01/18/ergebnisse-wie-gehts-euch-bundesweite-studierendenbefragung-2021-22/  
[3] Deutscher Präventionstag: Forschungsbericht – Entwicklung der Frühen Hilfen in Deutschland
[4] Ergebnisbericht Deutsches Jugendinstitut: Kind sein in Zeiten von Corona: https://www.dji.de/fileadmin/user_upload/bibs2020/Ergebnisbericht_Kindsein_Corona_2020.pdf
[5] https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/coronavirus/Aktuelle-UKE-Studie-Wie-sich-die-Pandemie-auf-Kinder-auswirkt,copsy100.html