Zehn Jahre Verträge mit den islamischen Religionsgemeinschaften und den alevitischen Gemeinden: Gemeinsame Wertegrundlagen stärken, kritischen Diskurs erweitern!

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In unserem Grundsatzprogramm haben wir GRÜNE vor zwei Jahren festgehalten:

„In Deutschland leben Menschen zusammen, deren Familien bereits seit Generationen hier ansässig sind, sowie Menschen, die in jüngerer Zeit eingewandert sind. Hier leben Christ*innen, Jüd*innen, Muslim*innen, Angehörige anderer Religionen und nicht religiöse Menschen genauso wie Nachkommen von Arbeitsmigrant*innen und von Geflüchteten. (…). In einem offenen Deutschland werden alle von allen als dazugehörig anerkannt und können sich zugehörig fühlen.“

Und genau darum ging es in Hamburg vor zehn Jahren und geht es heute, wenn wir auf die Verträge mit der alevitischen Gemeinde und den islamischen Religionsgemeinschaften blicken: Um Anerkennung als gleichberechtigte Religionsgemeinschaften in einer religiös und weltanschaulich pluralen Stadtgesellschaft. Um Anerkennung als Partner, mit denen wir so gut zusammenarbeiten wie mit der evangelischen und der katholischen Kirche, wie mit der jüdischen Gemeinde. Um Anerkennung als Religionsgemeinschaften, mit denen wir aber ebenso hart diskutieren wie mit den anderen, und sie auch für innere und äußere Vorgänge sowie etwaige Missstände kritisieren.

Wir sind als GRÜNE gleichermaßen entschieden solidarisch mit denen, die wegen ihrer Entscheidung für eine Religion diskriminiert werden und denjenigen, die wegen ihrer Entscheidung gegen eine Religion Nachteile erleiden.

In unserem Grundsatzprogramm haben wir uns vorgenommen, das Verhältnis von Staat und Religionsgemeinschaften neu zu ordnen:

„Der säkulare Staat muss sich am Neutralitätsprinzip ausrichten und organisatorisch prinzipiell von ihnen getrennt sein. Das bedeutet aber nicht ein Kooperationsverbot zwischen Staat und Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaften. Das kooperative Modell des Staatskirchenrechtes soll zu einem pluralen Religionsverfassungsrecht weiterentwickelt werden.“

Deshalb sind die Verträge mit alevitischer Gemeinde und islamischen Religionsgemeinschaften auch nur ein Zwischenschritt. Sie haben nicht die verfassungsrechtliche Qualität und Stellung wie die Verträge mit den großen Kirchen. Wie im Grundsatzprogramm erläutert, ist für uns GRÜNE die derzeitige Form des Staatskirchenrechts nicht die geeignete Grundlage, um die Beziehungen zu Religionsgemeinschaften zu gestalten. Wir wollen diese weiterentwickeln zu einem pluralen Religionsverfassungsrecht. Bis dieses Ziel erreicht ist, gestalten wir aber die Beziehungen zu allen Religionsgemeinschaften auch auf Basis des derzeitigen Staatskirchenrechts mit dem Anspruch auf Anerkennung, Augenhöhe und Selbstbestimmung in unserer religiös und weltanschaulich pluralen Gesellschaft. Wir messen die Verträge und die Zusammenarbeit zwischen Staat und Religionsgemeinschaften vor allem daran, wie dies zur Selbstbestimmung beiträgt:

„Zur Selbstbestimmung gehört die Anerkennung und der Schutz kultureller Vielfalt einschließlich religiöser Vielfalt sowie der Freiheit, keine Religion zu haben.“

Zur Historie: Hamburgs Verträge mit Religionsgemeinschaften

Am 13. November 2022 jährt sich zum zehnten Mal die Unterzeichnung des Vertrages zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg, dem DITIB-Landesverband Hamburg, der SCHURA – Rat der Islamischen Gemeinschaften in Hamburg und dem Verband der Islamischen Kulturzentren sowie des Vertrages zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg und der Alevitischen Gemeinde Deutschland e.V. (siehe Bürgerschafts-Drucksache 20/5830). Die Verträge traten am 19. Juni 2013 in Kraft, nachdem sie in der Bürgerschaft beraten und beschlossen worden waren.

Dem Abschluss dieser Verträge ging ein Jahrzehnt umfassender religionspolitischer Debatten in Hamburg voraus. Die CDU nutzte ihre ab 2004 bestehende absolute Mehrheit, um erstmals überhaupt in der Geschichte des modernen Hamburgs Verträge mit Kirchen und Religionsgemeinschaften abzuschließen. So kam es im Jahr 2005 zu Staatsverträgen mit der Evangelisch-lutherischen Kirche (Nordelbische Kirche; 2005; Nachfolgerin seit 2012: Nordkirche), der Katholischen Kirche (Vatikan; 2005) und der Jüdischen Gemeinde (2007). Als GRÜNE standen wir diesem Weg kritisch gegenüber. Staatsverträge mit Religionsgemeinschaften und Kirchen waren aus unserer Sicht ein Konstrukt, das nicht ins 21. Jahrhundert passte. Als der Vertrag mit der Evangelisch-lutherischen Kirche am 29. Juni 2006 zur Abstimmung in der Bürgerschaft stand, lehnten viele Grüne Abgeordnete diesen ab bzw. enthielten sich bei der Abstimmung. Unsere damalige Fraktionsvorsitzende Christa Goetsch führte in der Debatte aus:

„Meine Damen und Herren, die Verträge gehen zulasten der Stadt Hamburg. Sie verpflichten die Stadt einseitig zu Zahlungen und Unterstützungsleistungen. Die Kirchen verpflichten sich zu nichts. Dem vertraglichen Prinzip des Gebens und Nehmens folgen Sie nicht. Stattdessen festigen Sie ein Vorrecht, das nicht mehr zeitgemäß ist. Der individuellen Religionsfreiheit entspricht die Trennung von Staat und Kirche.“

Aber sie zeigte auch, was es konsequenterweise bedeutet, im 21. Jahrhundert nur mit den beiden großen christlichen Kirchen Staatsverträge abzuschließen:

„Wir sollten auch bedenken – das ist ein sehr wichtiger Punkt in meiner gesamten Fraktion –, dass die Exklusivverträge für die christlichen Kirchen kein Integrationssignal an die anderen Glaubensgemeinschaften in Hamburg senden. Wenn wir vertragliche Regelungen wollen, warum stellen wir dann nicht zum Beispiel Hamburgs islamischer Community einen Vertrag in Aussicht Die Bevorzugung der christlichen Konfessionen widerspricht dem verfassungsrechtlichen Gebot nach Gleichbehandlung des Bekenntnisses und sie wird dadurch den Realitäten einer pluralistischen Gesellschaft nicht gerecht.“

Tatsächlich griff die CDU diesen Gedanken auf, ging auf die islamischen Verbände zu und eröffnete im Jahr 2007 Verhandlungen über die Verträge. Diese wurden unter Schwarz-Grünen von 2008 bis 2011 fortgeführt und unter der SPD-Alleinregierung ab 2011 schließlich finalisiert.

Die Verträge wurden in der Überzeugung geschlossen, dass die Bürger*innen alevitischen und islamischen Glaubens einen bedeutenden Teil der Bevölkerung der Freien und Hansestadt Hamburg bilden und mit dem Ziel, die Freiheit ihrer Religionsausübung als Teil einer pluralen und weltoffenen Gesellschaft zu bestätigen und zu bekräftigen. Auch war es Ziel der Verträge auszudrücken, dass Religion einen wertvollen Beitrag als Mittlerin zwischen unterschiedlichen Kulturen und Traditionen zu leisten vermag. Es ging darum, auch die Beteiligung der alevitischen und islamischen Religionsgemeinschaften am religiösen, kulturellen und gesellschaftlichen Leben der Stadt anzuerkennen und zu unterstützen, damit sich die Beziehungen zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg und den Religionsgemeinschaften partnerschaftlich weiterentwickeln. Dies erfolgte im Bewusstsein, dass bei aller grundsätzlichen Trennung von Staat und Religionsgemeinschaften die Kooperation beider Seiten in ausgewählten Bereichen zum Kern unseres Religionsverfassungsrechtes gehört.

Im Koalitionsvertrag zwischen SPD und GRÜNEN für die 22. Legislaturperiode haben wir folgendes vereinbart:

„Vergleichbar zu den Gesprächen mit der Nordkirche und der katholischen Kirche werden die Koalitionspartner auch auf Senatsebene den Dialog mit den muslimischen Verbänden führen. Die Koalitionspartner betrachten den Staatsvertrag (sic!) mit den muslimischen Verbänden weiterhin als geeignete Grundlage, um auch in kritischen Fragestellungen eine Gesprächsbasis zu schaffen. Die Erfahrung zeigt, dass der entstandene Dialog das gegenseitige Verständnis fördert und einen Rahmen schafft, um gemeinsame Positionen für ein friedliches und tolerantes Miteinander zu entwickeln und zu vertreten. Die Koalitionspartner bekennen sich zu den Verträgen und werden die darin vorgesehene Revision im Jahr 2022 für eine weitere Intensivierung des Dialogs nutzen. Dazu gehört auch, dass bestehende Probleme klar angesprochen werden und Ziele und Maßnahmen für deren Lösung festgelegt werden.“1

Die Inhalte der Verträge

Die Verträge bündeln wie bei den Staatsverträgen mit den christlichen Kirchen zunächst einmal Rechte, die Religionsgemeinschaften und ihren Mitgliedern ohnehin verfassungsgemäß zustehen, und spezifizierten dann teilweise die Anwendung in Hamburg. Die 13 Artikel beinhalten folgende Themen:

  1. Glaubensfreiheit und Rechtsstellung
  2. Gemeinsame Wertgrundlagen
  3. Feiertage
  4. Bildungswesen
  5. Hochschulausbildung
  6. Religionsunterricht
  7. Religiöse Betreuung in besonderen Einrichtungen
  8. Rundfunkwesen
  9. Gewährleistung der Vermögensrechte; Errichtung und Betrieb von Moscheen, Gebetsstätten, Versammlungsräumen, Bildungseinrichtungen und sonstigen Gemeindeeinrichtungen
  10. Bestattungswesen
  11. Zusammenwirken
  12. Freundschaftsklausel
  13. Schlussbestimmungen

Im Unterschied zu den Verträgen mit christlichen Kirchen und jüdischer Gemeinde gibt es in den beiden Verträgen ein gemeinsames Bekenntnis zu den Wertegrundlagen. So heißt es in Artikel 2 der Verträge:

(1) Die Freie und Hansestadt Hamburg und die islamischen Religionsgemeinschaften bzw. die Alevitische Gemeinde bekennen sich zu den gemeinsamen Wertegrundlagen der grundgesetzlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere zur Unantastbarkeit der Menschenwürde, der Geltung der Grundrechte, der Völkerverständigung und der Toleranz gegenüber anderen Kulturen, Religionen und Weltanschauungen sowie der freiheitlichen, rechtsstaatlichen und demokratischen Verfassung des Gemeinwesens. Sie sind sich einig in der Ächtung von Gewalt und Diskriminierung auf Grund von Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientierung, Glauben oder religiöser oder politischer Anschauungen und werden gemeinsam dagegen eintreten.

(2) Die Freie und Hansestadt Hamburg und die islamischen Religionsgemeinschaften bzw. die Alevitische Gemeinde bekennen sich insbesondere zur Gleichberechtigung der Geschlechter und zur vollständigen und gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Mädchen am gesellschaftlichen und politischen sowie am schulischen und beruflichen Leben. Sie setzen sich für die Verwirklichung der gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Mädchen ungeachtet ihrer religiösen Überzeugungen an Bildung, Erwerbstätigkeit und gesellschaftlichem Leben ein und wenden sich entschieden gegen jede Art von Diskriminierung.“

Eine Befristung für die Verträge gibt es nicht. Sie gelten unbefristet und enthalten keine Kündigungsklausel. Allerdings haben die Vertragspartner*innen folgendes in den Schlussbestimmungen vereinbart:

„Die Vertragsparteien werden nach Ablauf von zehn Jahren Gespräche mit dem Ziel aufnehmen, im Lichte der gewonnenen Erfahrungen über diesen Vertrag und die Notwendigkeit von Änderungen und Ergänzungen zu verhandeln.“

Diese Klausel ist Grundlagen für den jetzt oft als Evaluation bezeichneten Prozess, an dem auch wir GRÜNE uns mit einer Vielzahl an Formaten beteiligen.

Zehn Jahre Verträge – ein Resümee

Blick auf Vertragsinhalte

Die Ausübung des islamischen sowie alevitischen Glaubens ist in Hamburg grundsätzlich möglich. Im Alltag stößt die „Achtung des religiösen Bekenntnisses“ immer wieder an Grenzen, beispielsweise bei der Ausübung des Gebetes oder dem Tragen eines Kopftuches. Gesellschaftlich ist kein Rückgang der Diskriminierung von muslimischen sowie muslimisch gelesenen Menschen festzustellen. Ähnliches gilt für die Diskriminierung von Alevit*innen. An dieser Stelle sehen wir GRÜNE Handlungsbedarf. Die Vertragspartner*innen haben ihrerseits in verschiedenen Netzwerken in den letzten zehn Jahren umfangreiche Präventionsarbeit gegen religiös begründeten Extremismus geleistet2. Dies sollte unbedingt beibehalten und ausgebaut werden. Zudem benötigen wir in Hamburg ein noch stärkeres Eintreten für Respekt gegenüber Menschen, die ihren Glauben liberal oder säkular interpretieren. Hier sind unsere Vertragspartner*innen in der Pflicht, sicht- und hörbar für die Freiheit einzutreten, dass jede*r den eigenen Glauben so zu leben vermag, wie er bzw. sie es möchte. Die Regelung zu den Islamischen Feiertagen wurde mit dem Inkrafttreten der Verträge umgesetzt. Das Recht, an religiösen Feiertagen, die nicht auch staatliche Feiertage sind, den Gottesdienst zu besuchen und dafür vom Arbeitgeber frei zu bekommen oder vom Unterricht befreit zu werden, gilt für Menschen islamischen Glaubens an je einem der zwei Tage des Opferfestes sowie des Ramadanfestes und an Aschura. Menschen alevitischen Glaubens können diese Rechte am Asure-Tag, an Hizir-Lokmasi und an Nevruz wahrnehmen. Die 2012 getroffene Feiertagsregelung benötigt weiterhin eine stetige Kommunikation in Schulen, Betriebe, Unternehmen etc. hinein.

Am deutlichsten sichtbar wird das Wirken der Verträge beim Hamburger Religionsunterricht für alle (RUfa). Mit den Verträgen verpflichten sich die Vertragspartner*innen auf einen eigenen konfessionellen Unterricht zu verzichten und beteiligen sich stattdessen am Hamburger Weg des RUfa. Hier arbeiten die evangelische Kirche, die muslimischen Verbände SCHURA, DITIB und VIKZ, die alevitische Gemeinde und die jüdische Gemeinde Hamburg gleichberechtigt gemeinsam mit der Schulbehörde an den Bildungsplänen. Mit der Universität und der Wissenschaftsbehörde wird die Ausbildung der Lehrkräfte weiterentwickelt. Hierfür wurden seit dem Wintersemester 2015/2016 die Teilstudiengänge „Islamische Religion“ sowie „Alevitische Religion“ für das Lehramt angeboten, so dass neben den bisherigen evangelischen Lehrkräften zukünftig auch muslimische und alevitische Religionslehrer*innen in Hamburg ausgebildet werden und das Fach unterrichten können. Für den Ausbau dieser Studiengänge wurden weitere Professuren geschaffen. Leider sind aktuell alle Lehrstühle nicht dauerhaft besetzt, die Berufungsverfahren laufen. Der schnelle und erfolgreiche Abschluss dieser Berufungsverfahren ist für die fundierte Qualifizierung von zukünftigen muslimischen und alevitischen Religionslehrer*innen dringend erforderlich. Da 2022 auch die katholische Kirche im Rahmen eines Pilotprojektes mit in diesen Prozess eingestiegen ist, wird es zukünftig an staatlichen Schulen in Hamburg tatsächlich nur noch einen Religionsunterricht für alle Schüler*innen geben wird. Für uns GRÜNE gilt nach wie vor, was wir im Programm zur Bürgerschaftswahl 2020 formulierten:

„Wir wollen unbedingt an diesem Hamburger Weg festhalten, weil er das Fundament eines dauerhaften interreligiösen Dialoges in Hamburg ist.“

Daher begrüßen wir die Einigung auf einen gemeinsamen Bildungsplan. Eine wissenschaftlich-theologische Qualifikation für Religionslehrkräfte ist elementar wichtig und ein zentraler Baustein gegen religiösen Dogmatismus. Gleichzeitig kann die Möglichkeit, islamische Theologie an der Universität Hamburg studieren zu können, auch die Basis dafür schaffen, dass Imame der Vertragspartner*innen eine grundständige wissenschaftliche Qualifikation in Deutschland erwerben.Alevitische und islamische Seelsorge in Justizvollzugsanstalten und Krankenhäusern findet inzwischen statt, aber in sehr kleinem Umfang verglichen mit den christlichen Angeboten und kann oft nur als Gruppenangebot gewährleistet werden. Sie leistet jedoch einen wichtigen Beitrag zur Betreuung und Stabilisierung derer, die sie nutzen. Das Angebot für die Qualifizierung zur Seelsorge muss unseres Erachtens ausgebaut werden. Als GRÜNE präferieren wir hier eine interreligiöse Ausbildung. Zu gewährleisten ist unseres Erachtens auch, dass die seelsorgerliche Schweigepflicht nach § 53 StPO auch für Seelsorger*innen der islamischen Religionsgemeinschaften wie der alevitischen Gemeinde gilt.

Sowohl das Thema Sendezeit als auch die angemessene Vertretung in den Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist noch offen und muss weiterhin im Rahmen der Verhandlungen über die verschiedenen Rundfunkstaatsverträge im Einvernehmen mit den daran beteiligten Bundesländern erreicht werden.

Ein Passus des Vertrages, in den große Hoffnungen gesetzt wurde, war das Thema Moscheebau. Im Vertrag wurde grundsätzlich das Recht eingeräumt, „Moscheegebäude der islamischen religiösen Tradition entsprechend, insbesondere mit Kuppeln und Minaretten, auszustatten“. Zudem verpflichtete sich die Stadt Hamburg, den Bedarf der Vertragspartner*innen „an Grundstücken bzw. grundstücksgleichen Rechten, insbesondere bei Erschließung neuer Stadtteile und Aufsiedlung neuer Gebiete, nach Maßgabe des geltenden Rechts [zu] berücksichtigen.“ Diese Regelung wurde vor dem Hintergrund getroffen, dass die meisten Gemeinden ihre Moscheen bzw. Gebetsräume in Bürogebäuden, Hinterhöfen und Kellern betrieben, in der öffentlichen Wahrnehmung wenig präsent waren und das „versteckte“ Dasein zu Misstrauen führte. Passiert ist mit Blick auf den Moscheebau seit Abschluss der Verträge 2012 wenig. Lediglich in Hamburg-Horn wurde aus der ehemaligen Kapernaumkirche die Al-Nour-Moschee. An diesem Vorgang war die Stadt allerdings kaum beteiligt. Gleichzeitig zeigt dieses Beispiel, wie es erfolgreich gelingen kann, religiöse Gebäude in Hamburg umzuwidmen und neu zu nutzen. Als GRÜNE erkennen wir den Bedarf der Vertragspartner*innen an, hier noch einmal zu konkretisieren, wie die im Vertrag verankerten Absichten der Unterstützung durch die Stadt auch praktisch erfolgen können.

Das Recht auf eine Bestattung nach religiösen Riten ist ein individuelles Recht und von hoher emotionaler Bedeutung. Auf den staatlichen Friedhöfen Öjendorf, Ohlsdorf, Bergedorf und Finkenriek befinden sich separate islamische Grabfelder. Der Betrieb eigener Friedhöfe setzt die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts voraus, die bei den islamischen Religionsgemeinschaften derzeit nicht ansteht.

Für das Zusammenwirken hat sich ein regelhafter Austausch zwischen Senat und Vertragspartner*innen ebenso fest etabliert wie regelmäßige Termine zwischen den Bürgerschaftsfraktionen und den Vertragspartner*innen. So konnten auf Basis dieser Gespräche in krisenhaften Zeiten wie 2015/16 bei der Versorgung von Geflüchteten oder 2020/21 in der Corona-Pandemie schnelle und verlässliche Absprachen getroffen werden, bei denen die Vertragspartner*innen die Maßnahmen der Stadt bestmöglich unterstützten. Gleichzeitig stellen wir mit Bedauern fest, dass die drei islamischen Vertragspartner*innen sich noch immer nicht auf eine*n gemeinsame*n Beauftragte*n bei Senat und Bürgerschaft haben einigen können. Diese*r einheitliche*r Ansprechpartner*in würde den kurzfristigen Dialog deutlich vereinfachen, wie dies beispielsweise bei der evangelischen oder katholischen Kirche der Fall ist. Die Benennung sollte zügig erfolgen. Und abschließend: Da sich die Vertragspartner*innen, wie im Vertrag damals festgehalten, immer noch in der organisatorischen Entwicklung hin zu Körperschaften des öffentlichen Rechts befinden und der Prozess nicht abgeschlossen ist, ist es für uns GRÜNE sinnvoll, die Schlussbestimmung dahingehend zu erneuern, dass eine fachliche Auswertung der Vertragsinhalte alle zehn Jahre stattfinden kann.

Blick auf Vertragspartner*innen

In den vergangenen zehn Jahren standen weniger die Vertragsinhalte, sondern vor allem die Frage, wie ernst es die Vertragspartner*innen mit den gemeinsamen Wertegrundlagen meinen, im Zentrum der öffentlich-politischen Debatten.

Insbesondere die Rolle des Islamischen Zentrum Hamburg (IZH), verbunden mit der Imam-Ali-Moschee, auch als Blaue Moschee an der Alster bekannt, war mehrfach Gegenstand von Parteibeschlüssen. Das IZH ist auf der einen Seite eine wichtige religiöse Institution, als Zentrum des schiitischen Islams und gleichzeitig der bedeutendste, politische Außenposten des islamistischen, autoritären, iranischen Regimes in Europa. Es war Gründungsmitglied der SCHURA und bis zum Herbst 2021 war es stets im Vorstand der SCHURA vertreten. Das IZH wurde bereits vor Abschluss der Verträge 2012 vom Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet. Dieses charakterisiert es als „weisungsgebundener Außenposten Teherans“. Das hat sich bis heute nicht geändert. Der Verfassungsschutz belegt zudem die Verbreitung frauenfeindlicher und homophober Thesen und sieht das IZH als Teil der Propagierung eines antiwestlichen und rigoros islamistischen Kurses des Iran. Aktivist*innen berichten, dass es aus dem Umfeld des IZH in der Vergangenheit wiederholt zu Einschüchterungen und Bedrohungen von Regime-Kritiker*innen kam. Hinzu kommt, dass das IZH kaum eine Entwicklung mit Blick auf die Anerkennung des Existenzrechts Israels innerhalb der letzten zehn Jahre zeigte. Auf Grund der Beteiligung an den Demonstrationen des sogenannten Al-Quds-Tags, bei dem zur Vernichtung Israels aufgerufen wird, hatten wir GRÜNE mit verschiedenen Beschlüssen auf Landesebene in der Vergangenheit gerade hinsichtlich dieser Frage ein klares Bekenntnis gefordert:

  • „Bedingungslose Anerkennung des Existenzrechts Israels“ (26. 11. 2016)
  • „Kein Schritt weiter mit dem IZH, dem Islamischen Zentrum Hamburg – das darf nicht ohne Folgen bleiben für den Staatsvertrag“ (9. 12. 2017)
  • „Unruhen im Iran – Grüne unterstützen säkulare und demokratische Kräfte“ (20. 2. 2018)

In diesen Beschlüssen haben wir deutlich gemacht, dass derartige Aktivitäten nicht mit den Wertgrundlagen der Verträge vereinbar sind, und Landesvorstand, Bürgerschaftsfraktion und Senat aufgefordert, entsprechend dies gegenüber der SCHURA zu verdeutlichen. Diese Gespräche wurden seitdem mehrfach geführt. Zwar mobilisiert das IZH inzwischen nicht mehr aktiv für den Al-Quds-Tag. Ein Bekenntnis zum Existenzrechts Israel steht aber aus. Zuletzt wurde im Sommer 2022 der stellvertretende Leiter des IZH wegen seiner Unterstützung der terroristischen Hisbollah ausgewiesen. Mit Blick auf die vergangenen zehn Jahre sehen wir beim IZH auf Leitungsebene keine positive Entwicklung und gelangen nicht zu der Überzeugung, dass das IZH die im Vertrag verankerten gemeinsamen Wertegrundlagen teilt. Die aktuellen Entwicklungen im Iran, der Mord an Mahsa Amini und in der Folge an weiteren Demonstrant*innen, das gewaltsame Vorgehen gegen die Proteste durch den iranischen Staat, all das macht unsere Forderung nach einer klaren Distanzierung des IZH vom Handeln der Regierenden im Iran umso dringender. Gleichzeitig hat für uns GRÜNE ein unverändertes Bekenntnis des IZH zum Iran eine klare Konsequenz: Das IZH kann nicht länger Teil der Verträge zwischen islamischen Religionsgemeinschaften und der Stadt Hamburg bleiben.

Innerhalb der SCHURA gibt es zum IZH und dessen Verhalten einen intensiven internen Prozess. So hat die SCHURA die Teilnahme am Al-Quds-Tag als nicht tragbar erklärt und das IZH dazu bewegt, daran nicht mehr teilzunehmen. Über die letzten Jahre wurde der dominante Einfluss des IZH Schritt für Schritt reduziert, als zuerst an Stelle des Leiters des IZH nur noch ein ehrenamtliches Gemeindemitglied in den Vorstand der SCHURA gewählt und schließlich Ende 2021 das IZH nicht mehr in den Vorstand gewählt wurde. Aktuell läuft in der SCHURA ein Schiedsverfahren, in dem es um die zukünftige Mitgliedschaft des IZHs geht. Dieses soll im November 2022 abgeschlossen werden. Nach vielen intensiven Gesprächen mit der SCHURA und schwierigsten Debatten über deren Mitglied IZH und dessen Verhalten haben wir jetzt die klare Erwartung an die SCHURA, dass die Mitgliedschaft des IZH dort endet. Gleichzeitig erachten wir es als ausgesprochen wertvoll, wenn schiitische Gemeinden und ihre Gläubigen in Hamburg, die sich den im Vertrag ausgedrückten Wertegrundlagen unmissverständlich verbunden wissen, auch weiterhin in der SCHURA repräsentiert würden.

Auch rund um den Vertragspartner DITIB Nord (Hamburg und Schleswig-Holstein) gab es immer wieder kritische Debatten. Diese entzündeten sich zum einen an der Abhängigkeit des DITIB-Bundesverbandes vom autoritären und zunehmend islamistisch agierenden Erdogan-Regime in der Türkei sowie an den Äußerungen einzelner Personen. So äußerte sich 2017 ein Vorstandsmitglied einer Gemeinde in sozialen Netzwerken demokratie- und deutschfeindlich. Dieses Jahr glorifizierte der Imam einer DITIB-Moschee die Hisbollah und ihren Gründer. In beiden Fällen reagierte DITIB Nord rasch. Das Vorstandsmitglied musste zurücktreten und der Imam wurde suspendiert. Ein weiterer Gegenstand der Kritik ist der Einfluss der türkischen Religionsbehörde (türkisches Bundesministerium), die bis heute die Imame der DITIB stellt und sie finanziert.
Der Landesverband DITIB Nord hat in den letzten Jahren stückweise über Satzungsänderungen den Einfluss der türkischen Religionsbehörde und des Konsulats reduziert. Auch hat DITIB insgesamt die Ausbildung der Imame, die in Deutschland eingesetzt werden, weiterentwickelt und inzwischen eine Akademie zur praktischen Ausbildung der Imame in Deutschland in deutscher Sprache eröffnet. Werden in Deutschland noch mehr Lehrstühle für islamische Theologie geschaffen, kann die Ausbildung auch insgesamt in Deutschland stattfinden. Das ist das Ziel von DITIB Nord. Die vollständige, strukturelle Unabhängigkeit von DITIB Nord gegenüber dem zunehmend autoritären Erdogan-Regime muss gefördert und eingefordert werden, damit DITIB Nord Teil der Verträge bleiben kann. Mittel- bis langfristig sollte mit DITIB Nord die Möglichkeit einer vollständigen Finanzierung über ihre Mitglieder in Deutschland bzw. in Hamburg und Schleswig-Holstein erörtert werden.

Als die Vertragsverhandlungen damals begannen, war der Aufruf ein offener: Es konnten sich alle Vereine und Verbände melden, die sich als islamische oder alevitische Religionsgemeinschaft verstanden und am Vertrag mitwirken wollten. Im Ergebnis wurden Verhandlungen mit den späteren Vertragspartner*innen SCHURA, DITIB und VIKZ sowie den alevitischen Gemeinden Hamburgs geführt. Das Spektrum islamischer Religionsgemeinschaften war schon damals weiter und ist es heute erst recht. So gibt es die schon lange als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannte Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland, deren Fazl-e-Omar Moschee die älteste Moschee in Hamburg ist. Als neuere Organisationen kommen beispielsweise der Liberal-Islamische Bund, der Zentralrat der Muslime in Deutschland (Landesverband Hamburg) oder der Verein Säkularer Islam hinzu. Grundsätzlich ist es schwer zu sagen, wie viele Menschen muslimischen Glaubens in Hamburg leben und wie groß der Anteil ist, der durch die Vertragspartner*innen repräsentiert wird. Dazu gibt es keine offizielle Statistik.

Die Verträge selbst können zwar durchaus die Rechte der einzelnen muslimischen Gläubigen regeln, die dadurch auch denjenigen zugutekommen, die nicht durch die Vertragspartner*innen repräsentiert sind. Doch gerade im Hinblick auf Gespräche über das alltägliche Miteinander in Hamburg, die interreligiöse Vielfalt und Toleranz darf sich der Blick nicht auf die Vertragspartner*innen allein verengen. Hamburg als Stadt des interreligiösen und weltanschaulichen Dialogs, der sich in vielerlei Form wie dem Religionsunterricht für Alle, der Akademie der Weltreligionen oder dem Interreligiösen Forum manifestiert, sollte auch den Dialog mit der Gesamtheit der muslimischen Hamburger*innen suchen und organisieren. Dazu schlagen wir GRÜNE als Erweiterung der vertraglich fixierten Zusammenarbeit mit den Vertragspartner*innen die Einrichtung eines Runden Tisches muslimisches Leben in Hamburg vor, der neben den Vertragspartner*innen noch weitere Vereine, Verbände, Institutionen und Personen einbezieht, die sich der Gestaltung, Begleitung und Erforschung des muslimischen Lebens in der Hamburger Stadtgesellschaft widmen.

Gesellschaftliche Bilanz der Verträge

Über einzelne Vertragsbestandteile hinaus sind die Verträge ein sichtbares Zeichen der Anerkennung der islamischen Religionsgemeinschaften und der alevitischen Gemeinde, sie werden bei den Vertragspartner*innen selber als wichtiges Integrationsinstrument gewertet. Sie bedeuten einen Schritt zur Gleichberechtigung gegenüber den traditionellen Glaubensgemeinschaften der christlichen Kirchen und der jüdischen Gemeinde. Aber sie bedeuten auch im Verhältnis zwischen islamischen Religionsgemeinschaften und alevitischer Gemeinde, dass beide auf derselben Stufe stehen. Gerade für die alevitische Gemeinde ist das nicht nur aus Hamburger Perspektive, sondern in globaler Sicht ein wichtiges Signal gewesen.

Die Gleichberechtigung der Religionsgemeinschaften auf vertraglicher Ebene ist auch ein wichtiger Aspekt für die Zusammenarbeit der Religionsgemeinschaften in Hamburg auf Augenhöhe. Diese haben sich schon im Jahr 2000 im „Interreligiösen Forum Hamburg“ zusammengeschlossen. Hier arbeiten Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland, Katholische Kirche – Erzbistum Hamburg, Jüdische Gemeinde Hamburg, SCHURA – Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg, Aleviten, Buddhistische Religionsgemeinschaft Hamburg, Hindus u. Zentralrat der Inder, die Bahá’í-Gemeinden Hamburg und die Akademie der Weltreligionen zusammen. Mit den Verträgen sind es nicht mehr nur die christlichen Kirchen und die jüdische Gemeinde, die für das Forum allein gegenüber Senat und Bürgerschaft einen besonderen Zugang haben, sondern auch die islamischen Religionsgemeinschaften und die alevitische Gemeinde.

Mit den Verträgen hat die Stadt für aktuelle Fragen rund um den Islam und das Alevitentum zuverlässige Ansprechpartner*innen. Drei Beispiele dafür:

  1. Als in Folge des Syrienkrieges ab 2015 zahlreiche geflüchtete Menschen in Hamburg ankamen, um hier entweder Asyl zu beantragen oder sich für die Weiterreise zu einem anderen Ziel zu stärken, waren es vor allem auch die Gemeinden der Vertragspartner*innen, die hier ihre Moscheen in St. Georg öffneten und der Stadt bei der Bewältigung dieser Aufgabe schnell und unbürokratisch mit hohem ehrenamtlichem Engagement halfen.
  2. Gemeinsam gelang es, über die Zusammenarbeit im Beratungsnetzwerk Prävention und Deradikalisierung sowie weiterer gemeinsamer Projekte die offene Propaganda der Salafisten zum Stillstand zu bringen wie auch die Rekrutierung junger Männer für den IS deutlich zu begrenzen. Auch insgesamt ist die Anzahl der vom Verfassungsschutz erfassten Salafisten und Jihadisten seit einem Peak 2017 rückläufig.
  3. In der Corona-Pandemie waren es die islamischen wie alevitischen Gemeinden, die als erstes konsequent Schutzkonzepte für die religiöse Praxis erarbeiteten und den Besuch der Freitagsgebete auf ein Minimum noch unterhalb des nach Verordnung Zulässigen reduzierten. Sehr früh beteiligten sie sich systematisch an der Aufklärungsarbeit zur Schutzimpfung und boten regelmäßig niedrigschwellige Impfaktionen in ihren Gemeinden an. Dadurch konnten in Hamburg erheblich leichter noch einmal andere Zielgruppen vom Sinn einer Impfung überzeugt und für die Impfung erreicht werden.

Mit den Verträgen sind die islamischen Religionsgemeinschaften und die alevitische Gemeinde jedoch auch selbst mehr in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt. Wer Partner*in der Stadt ist und sich zu gemeinsamen Wertegrundlagen bekennt, muss sich auf noch ganz andere Art und Weise der öffentlichen Debatte stellen. Für die überwiegend ehrenamtlich getragenen Strukturen der Vertragspartner*innen ist dies eine besondere Herausforderung, da sie oft mit den gleichen Erwartungen an Reaktionsfähigkeit wie die großen Kirchen mit ihren gut ausgestatteten hauptamtlichen Apparaten konfrontiert werden. In den letzten zehn Jahren ist gut erkennbar, dass es auch innerhalb der Religionsgemeinschaften und Gemeinden intensive Debatten über die eigene Rolle und das eigene Auftreten in Hamburg gibt.

Während die alevitische Gemeinde mit der Verleihung des Rechts einer Körperschaft des öffentlichen Rechts an die Alevitische Gemeinde Deutschland durch das Land Nordrhein-Westfalen der Anerkennung auch hier in Hamburg einen großen Schritt nähergekommen ist, arbeiten die islamischen Religionsgemeinschaften noch intensiv daran, die Voraussetzungen zu erfüllen. Für diese ist der Weg zur Körperschaft eng damit verbunden, sich aus den geschichtlich begründeten Abhängigkeiten vom Ausland zu lösen. Die meisten islamischen Gemeinden wurzeln in Gründungen aus der Zeit der sogenannten Anwerbeabkommen mit Staaten wie der Türkei, Marokko, Tunesien und Jugoslawien, als diese Gemeinden, finanziert aus den Herkunftsländern der sogenannten Gastarbeiter*innen, sich um die Seelsorge und Religionsausübung in Deutschland kümmerten. So sind und waren die Verträge mit der Stadt Hamburg auch ein wichtiges Signal für eine Verwurzelung in Hamburg und Deutschland und ein Schritt zu dem Ziel, eigenständige und unabhängige Hamburger Religionsgemeinschaften und Gemeinden zu werden.

Auch unser GRÜNES Grundsatzprogramm aus dem Jahr 2020 unterstützt den Kurs, dass islamische Religionsgemeinschaften gleichberechtigt anerkannt werden.:

„Das Anliegen vieler Muslim*innen, anerkannte und gleichberechtigte Religionsgemeinschaften im Sinne und nach den Regeln des Grundgesetzes bilden zu können, verdient Unterstützung. Das Ziel sind Staatsverträge mit islamischen Religionsgemeinschaften, die in keiner strukturellen Abhängigkeit zu einem Staat, einer Partei oder politischen Bewegung und deren oder dessen jeweiliger Regierungspolitik stehen und sich religiös selbst bestimmen.“ (Ziffer 193)

Außerdem heißt es in unserem Grundsatzprogramm ganz allgemein zu Religionsgemeinschaften:

„Voraussetzung für eine Zusammenarbeit mit öffentlichen Stellen sind die uneingeschränkte Anerkennung der verfassungsmäßigen Ordnung des Grundgesetzes und die Unabhängigkeit von autokratischen Regimen.“ (Ziffer 190)

Unser Grundsatzprogramm macht also ein Spannungsverhältnis auf zwischen der Unabhängigkeit von autokratischen Regimen, die von allen Religionsgemeinschaften verlangt wird, und einer grundsätzlichen Unabhängigkeit von einem Staat, einer Partei oder politischen Bewegung, die bei den islamischen Religionsgemeinschaften verlangt wird.

In Hamburg sind wir mit den Verträgen mit den islamischen Religionsgemeinschaften einen ersten Schritt Richtung Staatsverträge gegangen. Sollten diese die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts erreichen, könnten aus den bisherigen Verträgen auch formale Staatsverträge werden. Auf dem Weg dahin sind die Verträge insgesamt ein Baustein hin zu struktureller Unabhängigkeit vom Ausland. Hierfür braucht es unter anderem den Ausbau des wissenschaftlichen Studiums der jeweiligen Theologien in Deutschland und eine Unterstützung der Religionsgemeinschaften bei der Ausbildung ihrer Geistlichen in Deutschland. Ebenfalls ist die Finanzierung des Baus von Gotteshäusern eine Herausforderung, das wir gemeinsam in Deutschland lösen müssen, um diese Unabhängigkeit zu erreichen und zu sichern. Diesen Weg der Verträge in Hamburg führen wir weiter, verstehen ihn aber als Zwischenschritt hin zu einem neuen Religionsverfassungsrecht, das sich die die Koalition auf Bundesebene vorgenommen hat:

„Wir entwickeln das Religionsverfassungsrecht im Sinne des kooperativen Trennungsmodells weiter und verbessern so die Beteiligung und Repräsentanz der Religionsgemeinschaften, insbesondere muslimischer Gemeinden. Dazu prüfen wir, ob hierfür Ergänzungen des Rechtsstatus von Religionsgemeinschaften notwendig sind und erörtern dies in enger Abstimmung mit den betroffenen Kirchen und Religionsgemeinschaften. Neuere, progressive und in Deutschland beheimatete islamische Gemeinschaften binden wir in diesen Prozess ein. Wir bauen die Ausbildungsprogramme für Imaminnen und Imame an deutschen Universitäten in Zusammenarbeit mit den Ländern aus.“ (Koalitionsvertrag 2021-2025, SPD, Grüne, FDP, S. 88)

Unsere Forderungen für den weiteren Prozess

Vor dem Hintergrund der bisherigen Bilanz der Verträge und der Debatte um die Vertragspartner*innen fordern wir GRÜNE Hamburg unsere Abgeordneten in der Bürgerschaft und unsere Mitglieder im Senat dazu auf, für folgende Punkte einzutreten:

  • Weiterentwicklung der gemeinsamen Wertegrundlagen im Vertrag: In der neuen Präambel der Hamburger Verfassung wird das Eintreten gegen „Antisemitismus und jede andere Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ explizit aufgenommen. Auf diese neue Präambel mögen sich auch die Verträge beziehen und so das Eintreten der Vertragspartner*innen gegen Antisemitismus vertieft festgeschrieben werden.
  • Ausschluss des IZH aus dem Vertrag: Angesichts der dargelegten mangelnden Entwicklung zum Positiven ist darauf hinzuwirken, dass das IZH kein Akteur im Rahmen der Verträge mehr sein kann. Der mit Stimmen der GRÜNEN Bundestagsfraktion gefällte Beschluss, eine Prüfung zur Schließung des IZH durchzuführen, ist in jeder Hinsicht zu unterstützen. Zugleich ist es aus unserer Sicht wünschenswert, wenn die schiitischen Gemeinden, die sich den im Vertrag ausgedrückten Wertegrundlagen unmissverständlich verbunden wissen, weiterhin in der SCHURA repräsentiert sein würden.
  • Unabhängigkeit von DITIB Nord: Wir erkennen die Bemühungen von DITIB Nord an, eine strukturelle Unabhängigkeit von der Türkei zu erreichen, und fordern DITIB Nord auf, diese konsequent weiterzuverfolgen. Die strukturelle und finanzielle Abhängigkeit der Moscheen von DITIB Nord vom autoritären zunehmend islamistisch agierenden Erdogan-Regime muss beendet werden, damit DITIB Nord Teil der Verträge bleiben kann. Daher sind Senatsmitglieder und Bürgerschaftsfraktion aufgerufen diese Entwicklung einzufordern und gemeinsam mit DITIB Nord in einer mittel- bis langfristigen Perspektive Möglichkeiten zu erörtern, eine vollständige Finanzierung aus Eigeneinnahmen sicherzustellen. Dabei sollen Beiträge der Mitglieder die zentrale Säule bilden und die Einnahmen müssen frei von Zuwendungen ausländischer Staaten sein.
  • Klausel zum Umgang mit verfassungsfeindlichen Vertragspartnern: Aus den Erfahrungen mit der problematischen Rolle im Umgang mit dem verfassungsfeindlichen IZH heraus sollten die Verträge eine Klausel beinhalten, nach der geprüft wird, ob Organisationen, die im Bundes- oder Landesbericht für Verfassungsschutz erwähnt werden, die vereinbarten Wertegrundlagen einhalten. Ergebnis dieser Prüfung muss auch sein können, diese Organisationen von den Rechten, die sich aus den Verträgen ergeben, zu suspendieren.
  • Universitäre Absicherung der Ausbildung der Lehrkräfte für den Religionsunterricht: Die Wiederbesetzung bzw. Einrichtung und erstmalige dauerhafte Besetzung der Lehrstühle für islamische und alevitische Theologie ist zügig abzuschließen.
  • Seelsorgerliche Schweigepflicht auch für alevitische und islamische Seelsorge: Das Recht bzw. die Pflicht, aus seelsorgerischen Gesprächen in Justizvollzugsanstalten nichts zu berichten, muss auch für die Seelsorger*innen der islamischen Religionsgemeinschaften und der alevitischen Gemeinde gelten. Es ist zu klären, ob § 53 StPO entsprechend ausgelegt werden kann oder geändert werden muss.
  • Konkretisierung der Unterstützung beim Bau von Moscheen: Um die Moscheegemeinden raus aus den Hinterhöfen und Bürogebäuden zu holen, ist die im Vertrag verankerte planungs- und baurechtliche Unterstützung bei der Ausweisung von Grundstücken, auf denen der Bau von Moscheen möglich ist, zu konkretisieren.
  • Weitere Verankerung der Evaluierung: Um die unbefristeten Verträge einer regelmäßigen Weiterentwicklung zu unterziehen, soll die Klausel der Gespräche nach zehn Jahren zu einem regelmäßigen Instrument werden, das durch regelmäßige Zwischenberichte vorbereitet wird.
  • Runder Tisch muslimisches Leben in Hamburg: Ergänzend zu den Vertragspartner*innen sollte es ein Begleitgremium geben, welches eine breitere Repräsentanz und eine Stimmenvielfalt der Hamburger Muslime garantiert.
  • Offenheit für weitere Verträge: Wir GRÜNE Hamburg unterstützen auch weiterhin den Abschluss vergleichbarer Verträge mit weiteren Religionsgemeinschaften – islamischer wie anderer -, sofern sie daran interessiert sind und die dafür notwendigen Voraussetzungen erfüllen.

Abschließend begrüßen wir GRÜNE den kritischen Diskurs und die konstruktive Weiterentwicklung innerhalb der Organisationen der Vertragspartner*innen über die letzten zehn Jahre. Wir erkennen an, dass sie sich starken öffentlichen Debatten gestellt haben und dies für die ehrenamtlichen Organisationen nicht einfach war. Wir unterstützen den Prozess zu einer wachsenden Professionalisierung in den Religionsgemeinschaften und zunehmenden Unabhängigkeit vom Ausland und halten die Verträge hier für eine geeignete Grundlage, dieses Ziel zu erreichen. Für uns GRÜNE sind die Verträge wertvoll, da sie für das gute Zusammenleben mit verschiedenen Religionen und den interreligiösen Dialog in der Stadt ein Anker sind. Insbesondere begrüßen wir, dass sich die islamischen und alevitischen Vertragspartner*innen zum Hamburger Modell des Religionsunterrichts für alle und damit zum gemeinsamen interreligiösen Lernen aller Schüler*innen bekennen.

1 Während es sich bei den Verträgen mit der Nordkirche, der Katholischen Kirche und der Jüdischen Gemeinde (als Körperschaften des öffentlichen Rechts) um Staatsverträge handelt, sind die Verträge mit den muslimischen und alevitischen Gemeinden, die keine Körperschaften des öffentlichen Rechts bilden, keine Staatsverträge im eigentlichen Sinne. Die Gleichstellung der Religionsgemeinschaften folgt keiner Logik allein, die sich aus dem Körperschaftsstatus ergibt, sondern einer faktischen-quantitativen allein aus dem Bevölkerungsanteil.

2 Vgl. dazu die Senats-Drucksachen zum bürgerschaftlichen Ersuchen „Effektive Maßnahmen gegen gewaltbereiten Salafismus und religiösen Extremismus ergreifen“ 20/13460, 21/5039, 21/14037, 22/2378