I.
Am 25. Mai 2014 finden in der Freien und Hansestadt Hamburg erstmals eigenständige Bezirksversammlungswahlen statt. Sie bedeuten die enorme Chance, kommunalpolitische Arbeit vor Ort den Wähler*innen deutlich zu machen, damit sie nicht mehr nur im Schatten der Bürgerschaftswahlen steht.
Der Weg zu diesen Bezirksversammlungswahlen war lang und steinig: Nach einem klar gewonnenen Volksentscheid 2004 und einer anschließenden eigenmächtigen Änderung des Wahlrechts des damaligen CDU-Alleinsenats führte ein weiteres erfolgreiches Volksbegehren zu einem Wahlrechtskompromiss von CDU, SPD, Grünen und Linken sowie der Initiative “Mehr Demokratie”.
Unter anderem wurde dort der eigenständige Wahltermin für die Bezirksversammlungen eingeführt. Im Gegenzug hierzu wurde eine 3-Prozent-Sperrklausel vereinbart.
Das Hamburgische Verfassungsgericht hat inzwischen die im Wahlgesetz festgeschriebene Sperrklausel für nicht vereinbar mit der Landesverfassung erklärt. Dieses Urteil hat zu intensiven Debatten geführt. Vor allem die Begründung des Verfassungsgerichts, die Rolle der Bezirksversammlungen sei nicht wichtig genug für eine Sperrklausel, wird von den Grünen ausdrücklich nicht geteilt.
Alle Änderungen des hamburgischen Gesetzgebers der letzten Jahre zielten im Gegenteil darauf, dass die Bezirksversammlungen sich immer mehr der Rolle von Stadträten und Kreistagen annähern. Die nun erstmalig eigenständigen Bezirksversammlungswahlen im Jahr 2014 sollen dieser Entwicklung Rechnung tragen.
Das eigenständige Bezirkswahlrecht und die Arbeit der Bezirksversammlungen brauchen dafür eine breite Akzeptanz in Bevölkerung und Politik. Dies gelingt nur mit strukturell arbeitsfähigen Bezirksversammlungen. Wir wollen nicht abwarten, bis eine aus unserer Sicht wahrscheinliche Funktionsstörung eintritt und wir wollen auch nicht, dass in so einem Falle dann der Senat mit der Übernahme von Entscheidungen die Eigenständigkeit der Hamburger Bezirke wieder zurückdreht.
Deshalb sprechen wir uns für die Wiederherstellung des Wahlrechtskompromisses und die Verankerung einer 3-Prozent-Sperrklausel bei den Bezirksversammlungswahlen in Hamburg aus.
Diese Sperrklausel wollen wir in die Hamburgische Verfassung aufzunehmen. Eine vergleichbare Regelung wurde bereits in Berlin beschlossen und im Sommer 2013 vom Verfassungsgericht Berlin als verfassungskonform bestätigt.
II.
Aus Sicht von Bündnis 90 / Die Grünen Hamburg sprechen viele konkrete Gründe für eine 3-Prozent-Sperrklausel:
Die Bezirksversammlungen sollen gesellschaftliche Vielfalt widerspiegeln. Diese Vielfalt braucht aus unserer Sicht aber auch gesellschaftliche Relevanz. Da das Auszählverfahren kleinere Parteien bei der Sitzverteilung begünstigt, kann ein erstes Mandat schon zwischen 0,8 Prozent (Wandsbek) und 1,0 Prozent (andere Bezirke) erreicht werden. Die Hürde dafür würde ohne eine Sperrklausel nur bei wenigen hundert Wählerstimmen liegen. Das hätte mit Relevanz und Vielfalt nichts zu tun.
Ein Wahlrecht ohne Sperrklausel hat in mindestens neun schleswig-holsteinischen Kommunalparlamenten bereits dazu geführt, dass Parteien die absolute Mehrheit der Stimmen erhalten haben, aber keine Mehrheit in den Stadtvertretungen / Bürgerschaften. Das halten wir für unverhältnismäßig und für nicht vereinbar mit der Gleichheit und Repräsentativität von Wahlen. Es verzerrt den Willen der Wählerinnen und Wähler.
Ein Wahlrecht ohne Sperrklausel kann außerdem die Arbeitsfähigkeit der Bezirksversammlung schwächen. Fraktionslose Abgeordnete führen dazu, dass es mindestens in den Ausschüssen andere Mehrheiten gibt, als in der Bezirksversammlung. Die Ausschussarbeit ist das Rückgrat der Arbeitsfähigkeit eines parlamentarisch organisierten Prozesses. Werden jedoch in Ausschüssen gefundenen Lösungen bei der Beschlussfassung in der Bezirksversammlung jeweils erneut zur Diskussion und Disposition gestellt, führt dies dazu, dass sich die intensive inhaltliche Auseinandersetzung aus den Ausschüssen auf die Bezirksversammlung verlagert und diese zeitlich und organisatorisch überfordert. Wir GRÜNE treten dafür ein, den Bezirken mehr Kompetenzen einzuräumen und Letztenscheidungsrechte zu übertragen. Dafür bedarf es jedoch arbeitsfähiger Bezirke, deren Strukturen und Prozesse auch so ausgelegt sind, dass Entscheidungen getroffen werden können.
Anders als in anderen kommunalen Gremien braucht man in den Bezirksversammlungen drei Abgeordnete, um eine Fraktion zu bilden. Einzelne Abgeordnete haben nur das Rederecht und den Sitz in zwei frei gewählten Ausschüssen. Zwar steht es Abgeordneten frei, sich mit anderen Einzelabgeordneten zu Fraktionen zusammenzuschließen. Solche willkürlichen Zusammenschlüsse sind jedoch rechtlich fragwürdig und verwischen den Willen der Wähler*innen und wären vorrangig durch den Wunsch nach mehr Einfluss und mehr staatlichen Mitteln motiviert.
Das Gegenargument, dass es durch den Wegfall der Sperrklausel kleine Initiativen einfacher hätten, ihr Anliegen in die Bezirksversammlungen einzubringen, ist nicht überzeugend. Als eine*r von 51 bzw. 57 Abgeordneten sind sie maximal in der Lage, dem eigenen Anliegen ein Sprachrohr zu verschaffen, aber nur um den Preis einer fünfjährigen Bindung von Arbeitskraft für die Mitwirkung an allen Angelegenheiten des Bezirks. Viel wirkungsvoller für das Anliegen von Initiativen und die konkrete Politikgestaltung ist deshalb die Ausweitung der Möglichkeiten und der Verbindlichkeit von Bürger*innenentscheiden, die wir Grüne unterstützen.
Durch diese Effekte würde ohne eine Sperrklausel die Rolle der Bezirksversammlungen gegenüber der Bezirksverwaltung und vor allem gegenüber dem Senat geschwächt und eine effektive und demokratische Kommunalpolitik in Hamburg gefährdet.
Der Landesausschuss hat deshalb beschlossen:
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Der Landesausschuss von Bündnis 90 / Die Grünen Hamburg befürwortet eine 3-Prozent-Sperrklausel für die Bezirksversammlungswahlen.
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Die Bürgerschaftsfraktion wird beauftragt, Mehrheiten für eine dahin gehende Änderung der Hamburgischen Landesverfassung zu evaluieren.
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Sollte sich in der Hamburgischen Bürgerschaft eine Mehrheit dafür finden, empfehlen wir der Bürgerschaftsfraktion, einer solchen Verfassungsänderung zuzustimmen.