Der Iran steht an einem Scheideweg. Nach dem Abschluss des Atomabkommens und der Aufhebung der Sanktionen erwartet das Volk einen wirtschaftlichen Aufschwung, die Öffnung nach außen und vor allem auch eine Liberalisierung der theoretischen Staatsordnung. Doch über einen neuen Kurs, auch über die Rolle des Iran in der Region, ist sich die Staatsführung nicht einig. Wie der Machtkampf, der schon seit geraumer Zeit zwischen Konservativen und Reformer*innen tobt, ausgehen wird, ist ungewiss.
Seit dem 28. Dezember 2017 erlebt der Iran die größten Demonstrationen seit der „Grünen Bewegung“ im Jahr 2009, die sich seinerzeit gegen die manipulierte Präsidentenwahl richteten und blutig niedergeschlagen wurden. Im Gegensatz zu 2009 gingen diesmal zwar weniger Demonstrant*innen auf die Straße, dafür protestierten Menschen an mehr Orten, vor allem auch im ländlichen Bereich.
Die Proteste begannen in der Stadt Maschhad, einer Hochburg der Konservativen, und richteten sich gegen die Politik des Präsidenten Rohani. Sie richteten sich gegen die katastrophale Lage der Wirtschaft, gegen die hohe Arbeitslosigkeit, die himmelschreiende Korruption, den drastischen Anstieg der Preise, vor allem bei Grundnahrungsmitteln, und die von der Regierung angekündigte Erhöhung des Benzinpreises. In zahlreichen Fabriken haben die Werktätigen schon seit Monaten keinen Lohn mehr bekommen. Die weit verbreitete Armut hat sogar Teile der Mittelschicht erreicht. Die Zahl der Aids-Infizierten steigt weiter an, die meisten Infektionen gehen auf infizierte Nadeln beim Drogenkonsum zurück. Die Proteste differenzierten sich stark aus, das repressive System der Islamischen Republik selber infrage gestellt. Dies sollte jedoch nicht mit einer Kritik am Schiitischen Islam selber verwechselt werden. Die Proteste richteten sich auch gegen Antisemitismus und das Infragestellen des Existenzrechts Israels. Die Einführung umfassender Frauenrechte waren ebenfalls Thema. So wurde das Bild von Frauen, die demonstrativ ihr Kopftuch abnehmen und wie eine Fahne schwenken, zu einem Symbolbild des Protests. Viele mutige Frauen machen dies nach – trotz hoher drohender Strafen.
Die Proteste breiteten sich blitzartig und ungesteuert über 80 Städte und Ortschaften im Iran aus. Kurz zuvor wurde die iranische Öffentlichkeit zum ersten Mal mit der Vorstellung des kommenden Haushaltsplans durch Präsident Rohani darüber informiert, dass Milliardensummen an religiöse Stiftungen, ins Militär und an die Revolutionsgarden fließen – und das ohne jegliche Kontrolle und Rechenschaftspflicht. Zeitgleich wurden die Benzinpreise erhöht und bestimmte Subventionen gestrichen. Die Korruption grassiert. Als Ausdruck regionalen Hegemoniestrebens fließen vermutlich Milliardensummen an diverse Verbündete, unter anderem an die libanesische Hizbollahmiliz und an das syrische Assad-Regime.
Die reformierte Regierung von Präsident Rohani hatte alle Karten auf das Atomabkommen gesetzt, um durch die Aufhebung der Sanktionen die Wirtschaft ankurbeln zu können. Doch die andauernde Zurückhaltung internationaler Banken bei Großgeschäften mit dem Iran wegen noch bestehender oder möglicher neuer Sanktionen durch die USA, macht diese Kalkulation zu Nichte. Die aussichtslose wirtschaftliche Lage hat eine hohe Arbeitslosigkeit zur Folge, besonders unter Jugendlichen. Die iranische Bevölkerungsstruktur extrem jung ist: über 55% der Bevölkerung sind unter 30 Jahren alt. Diese Bevölkerungsmehrheit steht überwiegend ohne glaubhafte, wirtschaftliche Zukunftsaussichten dar und stellt ein großes Problem der Iranische Führungseliten dar. Und zwar die Eliten der Konservativen und der Reformer.
Bislang hat die Bewegung noch keine Anführer*innen und kein politisches Programm. Es gibt unter den Demonstrant*innen auch Gegner*innen der Islamischen Republik und ihrer Strukturen. Diese rissen unter anderem Portraits des Staatsoberhauptes Ali Khamenei ab und setzten Polizeistationen in Brand. Doch auch die Reformer waren Ziel der Proteste.
Die Reaktionen des Regimes spiegelten die unterschiedlichen Lager im Land wider. Während aus der Regierung von Präsident Rohani Verständnis für Anliegen der Demonstrant*innen geäußert wurde, solange diese nicht gewaltsam vorgebracht würden, hatten die Fundamentalisten und Hardliner um Staatsoberhaupt Khamenei und die Revolutionsgarden die Schuldigen schnell und vor allem im Ausland ausgemacht: Monarchist*innen, Nationaler Widerstandsrat (sogenannte Volksmojahedin), USA, Israel und Saudi Arabien. Die Tweets von US-Präsident Trump ließen sich für diese Sichtweise instrumentalisieren. Das Regime reagierte, indem es den im Iran vielgenutzten Messenger-Dienstes Telegram vorübergehend abschaltete und gewaltsam gegen die Proteste vorging. Nach offiziellen Angaben gab es innerhalb von einer Woche 22 Tote und über 1.000 Verhaftete. Nach Angaben eines reformorientierten Politikers sollen 3.700 Menschen verhaftet worden sein. Außerdem wurden Pro-Regime-Demonstrationen organisiert. US-Präsident Trump ist ein wenig glaubhafter Verteidiger der Demonstrant*innen. Noch vor Kurzem verhängte er ein Einreiseverbot gegen Iraner*innen in die USA. Trump scheint vielmehr nach Gründen zu suchen, um das Nuklearabkommen mit dem Iran aufzukündigen. Umso wichtiger ist die Rolle einer Europäischen Union, die sich mäßigend verhält und versucht, die Situation zu beruhigen. Emanuel Macron beispielsweise rief die USA, Israel und Saudi Arabien auf, ihre extrem konfrontative Rhetorik zu zügeln und warnte davor, eine neue “Achse des Bösen” aufzubauen.
Vor diesem Hintergrund möge der Landesauschuss beschließen:
Die Europäische Union und die Bundesregierung müssen eine klare Sprache gegenüber dem iranischen Regime finden:
- Die Grünen in Hamburg zeigen sich besorgt ob der Menschenrechtslage im Iran und fordern, zukünftige Proteste nicht gewaltsam zu unterdrücken.
- Es darf kein Schweigen zu Menschenrechtsverletzungen geben, es braucht eine glaubwürdige Menschenrechtspolitik.
- Gleichzeitig gilt es, das Nuklearabkommen zu bewahren. Wir sind dafür, die Gesprächskanäle mit dem Iran aufrechtzuerhalten, auch um die Missstände im Iran anzusprechen und unsere Erwartungen mitzuteilen. Wir unterstützen die mäßigende Rolle der EU und wissen, das eine Liberalisierung der iranischen Gesellschaft nur mit internationaler Zusammenarbeit erreicht werden kann. Wir untersützen ausdrücklich die Protestaktionen der mutigen Frauen, die ihr Kopftuch demonstrativ ablegen.
Wir bekunden unsere Solidarität auch mit denen, die hier in Hamburg für eine solche Entwicklung auf die Straße gehen. Niemand in Hamburg soll Angst haben müssen, dass die Familie, Freund*innen und Verwandten bedroht und verfolgt werden, wenn sie hier in Hamburg friedlich demonstrieren und ihre Meinung sagen.
Wir unterstützen die Kräfte, die das Existenzrechts Israels anerkennen und dafür eintreten. Ausdrücklich unterstützen wir die Protestierenden in ihrem Anliegen, anstatt der enormen personellen und finanziellen Unterstützung von Gruppen wie Hamas und Hizbollah, alle Anstrenungungen darauf zu lenken den Iran zu einem sozial gerechteren, demokratischen Rechtsstaat zu entwickeln.
Die Fortsetzung der Gespräche mit der Schura halten wir weiterhin für ein wichtiges Elemente der politischen Auseinandersetzung in Hamburg und sehen uns als verantwortungsbewusste Vertragspartner*innen.