„Die mangelnde Heranziehung von Frauen zu öffentlichen Ämtern und ihre geringe Beteiligung in den Parlamenten ist schlicht Verfassungsbruch in Permanenz.“ Dr. jur. Elisabeth Selbert, „Mutter“ des Artikel 3, Absatz 2 Grundgesetz (1949)
51% aller Wahlberechtigten in Deutschland sind Frauen. Allerdings spiegelt sich das in unseren Parlamenten – vom Bundestag bis zu den Kommunalparlamenten – nicht wider. In den Parlamenten ist das Verhältnis von Frauen und Männern bis heute unausgewogen. Eine faire, gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an politischen Entscheidungen ist also nicht gewährleistet.
Ursächlich für dieses Ungleichgewicht sind die Nominierungsverfahren der Parteien und politischen Wähler*innengemeinschaften im Vorfeld der Wahlen, die Frauen nur in unzureichendem Maße als Kandidatinnen aufstellen. Die logische Konsequenz: Werden Frauen aufgrund parteiinterner Strukturen nicht für Wahlen aufgestellt, können sie auch nicht von den Wähler*innen gewählt werden.
Selbst im hamburgischen Wahlrecht bei dem die Wähler*innen sowohl bei den Bezirksversammlungswahlen als auch bei der Bürgerschaftswahl mit ihren 10 Stimmen kumulieren und panaschieren können und dadurch Verschiebungen auf den Wahllisten bewirken, haben sie keinerlei Einfluss auf die parteiinternen Nominierungsverfahren selbst. Wähler*innen können nur diejenigen Personen wählen, die ihnen von den Parteien und politischen Vereinigungen vorgegeben werden.
In Hamburg sind Frauen im Vergleich zu Männern, gemessen an ihrem Anteil an der wahlberechtigten Bevölkerung i.H.v. 52,6 Prozent (wahlberechtigte Hamburgerinnen ab 18 Jahren ohne EU-Ausländerinnen) dauerhaft unterrepräsentiert. Aktuell liegt der Anteil der Parlamentarierinnen bei nur 38 Prozent1. Damit sind wir auf dem gleichen Stand wie in der 16. Wahlperiode (08/2001). Noch nie waren Frauen zu gleichen Teilen Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft!
Wenn wir in die Bezirksversammlung gucken, sehen wir das gleiche Bild: Am geringsten ist der Anteil weiblicher Abgeordneter im Bezirk Hamburg Nord mit 30 Prozent, gefolgt von Bergedorf und Mitte mit 33,3 Prozent, auf die Wandsbek mit 35 und Harburg mit 39,2 Prozent folgen. Allein der Bezirk Eimsbüttel nähert sich mit 45,1 Prozent einer paritätischen Besetzung an.2
Frankreich zeigt seit dem Inkrafttreten des Paritégesetzes im Jahr 2001 wie es besser gehen kann. Dort ist eine geschlechterparitätische Besetzung von Kandidat*innenlisten vorgegeben. Nach einem Reißverschluss-Prinzip werden abwechselnd eine Frau und ein Mann platziert, ähnlich wie wir GRÜNE es aufgrund unseres Frauenstatuts in der Regel auch handhaben. Vergleichbare Regelungen gibt es mittlerweile in zehn EU-Ländern, neben Frankreich auch in Luxemburg, Kroatien, Irland, Belgien, Polen, Portugal, Slowenien, Spanien und Griechenland. Das hat zu einem höheren Anteil an Parlamentarierinnen beigetragen.
Auch in Deutschland bewegt sich etwas. Berlin prüft die Einführung eines Parité-Gesetzes, Thüringen hat sich für die laufende Legislaturperiode vorgenommen ein solches Gesetz auf den Weg zu bringen, und in Brandenburg haben die Grünen bereits einen Gesetzentwurf für ein inklusives Parité-Gesetz in den Landtag eingebracht. Dort hatte die Landesregierung ein Gutachten in Auftrag gegeben, das zeigen sollte, wie Brandenburger Wahlgesetze den Weg von Frauen in die Politik beeinflussen. Im Ergebnis kommt das Gutachten dazu, dass verpflichtende Regelungen und die Möglichkeit zu deren Durchsetzung eingeführt werden müssten.3
Das Hamburger Wahlrecht bietet durch seine Struktur mit Wahlkreisen und Landes- bzw. Bezirkslisten und der Möglichkeit durch kumulieren und panaschieren Einfluss auf die jeweilige Listenreihung zu nehmen gute Voraussetzungen für ein Paritégesetz nach französischem Vorbild. Gleichwohl ist die Frage zu klären, ob ein Parité-Gesetz, das den Parteien zwingende gesetzliche Vorgaben zur geschlechterparitätischen Besetzung bei der Aufstellung von Kandidat*innenlisten macht, auch ohne Grundgesetzänderung verfassungsmäßig ist. Die Verfassungspositionen, die in diesem Zusammenhang diskutiert werden, sind Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG (Wahlrechtsfreiheit und Wahlrechtsgleichheit), Art. 20 GG (Demokratieprinzip), Art. 21 Abs. 1 GG (innerparteiliche Demokratie und Parteienfreiheit) sowie Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 S. 1 GG (Diskriminierungsverbot und Gleichstellungsgebot).
Wir GRÜNE sind überzeugt: Paritätische Wählbarkeit von Frauen ist die Voraussetzung für eine gerechte Vertretung und Durchsetzung der politischen Belange und Interessen aller Bürger*innen. Nur eine repräsentative Aufstellung von Kandidat*innen kann das aktuelle demokratische Defizit ausgleichen.
Ohne gleichberechtigte Parlamente keine gleichberechtigte Gesetzgebung – und keine gleichberechtigte Gesellschaft.
Aus unserer Sicht rechtfertigen das Diskriminierungsverbot und das Gleichstellungsgebot einen Eingriff in Form einer gesetzlichen Listenquotierung.
Deshalb fordern wir GRÜNE auch für Hamburg ein Parité-Gesetz für die Wahlen zur Bezirksversammlung und zur Hamburgischen Bürgerschaft! Dafür wollen wir uns in der kommenden Legislatur mit den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen auseinandersetzen und ausloten, welche Maßnahmen mit und welche Maßnahmen ohne Grundgesetzänderung möglich und erfolgversprechend sind um wirksame Instrumente für eine gleichberechtigte und damit angemessene Beteiligung von Frauen zu installieren und auch die Diskussion um das dritte Geschlecht mit einbeziehen.
1Zu Beginn der 21. Legislaturperiode waren es 38,8 %.
2Die Zahlen entsprechen dem Stand vom 06.01.2019. Durch personelle Veränderungen hat sich auch das Geschlechterverhältnis im Laufe der Legislatur leicht verändert.
3https://www.parlamentsdokumentation.brandenburg.de/starweb/LBB/ELVIS/parladoku/w6/gu/48.pdf
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