Nach der wegweisenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts: CO2-Budget berechnen, Klimaschutzgesetz und Klimaplan anpassen.

Vorwort

Wir stecken inmitten der Klimakrise und es besteht kein Zweifel, dass wir alles unternehmen müssen, um diese abzumildern und beherrschbar zu machen. Diese wissenschaftlichen Erkenntnisse erkennen SPD und Grüne in ihrem Koalitionsvertrag 2020-2025 an. Zu diesem Zweck haben die Parteien vereinbart, ein CO2-Budget zu prüfen und nationale und europäische Entwicklungen zu berücksichtigen.

Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ist eine solche Entwicklung und setzt neue Maßstäbe in der Klimapolitik. Das Bundesverfassungsgericht bemängelt, dass die Reduktion nach 2030 deutlich drastischere Maßnahmen erforderlich machen wird und somit die Freiheiten unverhältnismäßig einschränkt. Grundlage der Betrachtung ist dabei ein Emissionsbudget. Der Bund hat daraufhin bereits ein neues Bundes-Klimaschutzgesetz auf den Weg gebracht.

Vor diesem Hintergrund ist es dringend erforderlich, die in Hamburg festgelegten Klimaschutzziele ebenfalls anzupassen.

Wir fordern die grünen Mandatsträger*innen, Senator*innen und den Landesvorstand dazu auf, sich dafür einzusetzen, dass Hamburg weiterhin eine Vorreiterrolle im Klimaschutz einnimmt und über die auf Bundesebene festgelegten Ziele hinausgeht.

Als Grundlage hierfür müssen mehrere Dinge getan werden: Hamburg muss wie im Koalitionsvertrag vereinbart ein geeignetes CO2-Budget berechnen. Außerdem müssen das Klimaschutzgesetz und der Klimaplan so angepasst werden, dass die Emissionsminderungen früher als bisher geplant erfolgen. Laut Bundesverfassungsgericht ist eine deutliche Reduktion der Emissionen vor 2030 nötig. Um noch Zeit für die Umsetzung der Maßnahmen zu haben, sind eine Neufestsetzung des Klimaziels und eine Neufassung des Klimaplans und Klimaschutzgesetzes so schnell wie möglich vorzulegen – die Arbeit daran muss sofort beginnen!

Grundlagen eines CO2-Budgets:

Mit dem Pariser Klimaschutzabkommen im Dezember 2015 haben sich 195 Staaten auf das Ziel geeinigt, die globale Erderhitzung auf 1,5 °C zu begrenzen. Da es einen linearen Zusammenhang zwischen den insgesamt in die Atmosphäre emittierten Treibhausgasemissionen und der globalen Erderhitzung gibt, ist nicht der Zeitpunkt der Klimaneutralität, sondern die kumulierte Menge an Treibhausgasen in der Atmosphäre für die Einhaltung des Paris-Ziels entscheidend. Daher lässt sich ein globales CO2-Restbudget bestimmen, mit dem sich systematisch messen und protokollieren lässt, wie viel eine Stadt wie Hamburg noch emittieren darf und ob die klimapolitischen Maßnahmen ausreichen, um die gesteckten Ziele zu erreichen.

Die Berechnung eines CO2-Restbudgets ist eine wissenschaftliche Frage. An welchen Zielen und Kriterien es ausgerichtet und wie dieses auf Staaten und Regionen verteilt wird, wirft allerdings politische Fragen auf:

  • Wie soll das globale Budget auf einzelne Länder und Städte in Anbetracht der bereits erfolgten Emissionen verteilt werden?
  • Wie soll vermeintlich weniger entwickelten Ländern eine möglichst CO2-arme wirtschaftliche Entwicklung ermöglicht werden?
  • Wie wollen wir unserer historischen Verantwortung begegnen?

Europa und die USA haben bis in die 2. Hälfte des 20sten Jahrhunderts mehr als 50 % aller Emissionen zu verantworten. Würde man das Gesamt-CO2-Budget, das seit Beginn der Industrialisierung zur Verfügung stand, um die 1,5-Grad Erwärmung nicht zu überschreiten, auf alle Länder entsprechend ihrer Einwohnerzahl verteilen, würde dies dazu führen, dass Deutschland und Hamburg bereits heute ihr Budget erschöpft hätten. Weiterhin hat die Verlagerung der Produktion von Konsumgütern aus den Industrieländern in Länder wie z.B. China, Indien und die Länder Südasiens mit zu deren Anstieg der Emissionen beigetragen. Diesen Tatsachen müssen bei der Berechnung des CO2-Budgets Rechnung getragen werden. Wir fordern deshalb die finanzielle und technologische Unterstützung von Städten und Ländern in ihrem Bestreben treibhausgasneutral zu werden und eine moderne Energieversorgung und Infrastruktur aufzubauen. Weiterhin sollen Perspektiven für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung erarbeitet, Klimainitiativen organisatorisch und finanziell unterstützt, der Schutz der Natur und insbesondere der Wälder entscheidend gefördert, Folgeschäden mit Klimaausgleichszahlungen entschädigt und Geflüchtete aufgenommen werden.

Herleitung eines Hamburger CO2-Budgets

SPD und Grüne haben sich im Hamburger Koalitionsvertrag auf die Berechnung eines CO2-Budgets für Hamburg geeinigt, das sich am 1,5-Grad-Ziel orientiert.

Die Kriterien für die Berechnung des Anteils Hamburgs am verfügbaren globalen CO2-Budget müssen gerecht und angemessen sein und so gewählt werden, dass andere Staaten die gleichen Kriterien nutzen würden.

  1. Um das Risiko der Überschreitung der 1,5-Grad-Grenze so gering wie möglich zu halten, fordern wir ein Budget, das die 1,5-Grad-Grenze mit einer 67 %igen Wahrscheinlichkeit einhält. Selbst mit dieser ambitionierten Forderung ist das Risiko irreversible Kipppunkte zu überschreiten weiterhin groß.
  2. Wir fordern den 1. Januar 2016 als Bezugspunkt zur Verteilung des CO2-Budgets, da das Paris-Abkommen im Dezember 2015 verabschiedet wurde.
  3. Wir folgen dem Ansatz, dass jeder Mensch denselben Anteil am globalen CO2-Budget auf der Grundlage von 2016 erhält (Pro-Kopf-Verteilung). Den Ansatz, Ländern wie Deutschland mit hohen Emissionen ein höheres CO2-Budget zuzuteilen, da es schwieriger sei die CO2-Emissionen zu reduzieren, halten wir für ungerecht. Wir verfügen über die notwendigen Forschungseinrichtungen, Finanzen und Technologien, um unsere CO2-Emissionen schneller zu reduzieren.

Umfang des Hamburger CO2-Budgets

Treibhausgase

Neben CO2 tragen noch andere Treibhausgase wie z.B. Methan, Lachgas, Fluorkohlenwasserstoffe und weitere Gase (im Hamburger Hafen insbesondere Sulfuryldifluorid) zur Erderhitzung bei. Diese werden, wie vom Sachverständigenrat für Umweltfragen (2020) empfohlen, nicht im CO2-Budget berücksichtigt, da sie in der Atmosphäre kurzlebiger sind und dadurch ihre Wirkung im Bezug auf die Erderhitzung nicht so wie CO2 bilanziert werden kann. Der CO2-Ausstoß bildet jedoch mit etwa 88 % der gesamten Treibhausgasemissionen den größten Teil der klimawirksamen Emissionen in Deutschland ab. Wir fordern daher Maßnahmen zur Reduktion dieser Treibhausgase entsprechend den Ambitionen des CO2-Budgets.

Verursacherbilanz/Quellenbilanz

Da wir den Ansatz der Pro-Kopf-Verteilung am verbliebenem CO2-Budget verfolgen, sollte die Verursacherbilanz als Bezugsgröße herangezogen werden. Die Quellenbilanz bezieht sich auf die primär emittierten CO2-Emissionen. Die Verursacherbilanz beinhaltet alle CO2-Emissionen, die durch die Endverbraucher entstanden sind. Obwohl die Verursacherbilanz Vereinfachungen enthält und keinen Anspruch auf Vollständigkeit hat, kann diese Methode dazu beitragen den Berechnungs- und CO2-Bilanzierungsprozess zu beschleunigen. Die Methode der Bilanzierung soll mit der Zeit verbessert werden, um die Einschätzung der CO2-Emissionen Hamburgs in Zukunft präziser zu machen. Laut Statistikamt Nord betrug in Hamburg in 2018 die Verursacherbilanz 16.321.000 Tonnen CO2 und die Quellenbilanz 17.110.000 Tonnen CO2.

Stadtgebiet oder Metropolregion

Bei der Berechnung des CO2-Budgets konzentrieren wir uns auf das Hamburger Stadtgebiet, da hier der Hamburger Senat spezifische Beschlüsse erlassen kann. Unabhängig davon müssen geeignete Konzepte zur CO2-Reduktion der angrenzenden Regionen (wie Schleswig-Holstein und Niedersachsen) ausgehandelt werden, da Hamburg als Metropolregion einen besonderen Stellenwert hat.

Städtische Unternehmen

Die CO2 Emissionen aus dem Geschäftsbetrieb von Unternehmen, an denen die Stadt Hamburg direkt oder indirekt beteiligt ist, müssen ebenso im CO2-Budget berücksichtigt werden. Es gilt zu verhindern, dass Emissionen einfach an einen anderen Ort ausgelagert und dort emittiert werden.

Carbon Capture

Zur Zeit gibt es keine sichere und im industriellen Maß einsetzbare Methode zum Einfangen und Speichern (Carbon Capturing and Storage = CCS) von CO2. Die aktuellen Optionen sind extrem kosten- und energieintensiv. Daher spielt CCS derzeit keine Rolle bei der Berechnung des Hamburger CO2-Budgets.

(Negativ-)Emissionen in der Natur

Grünland, Moorböden, Wälder, die Art der landwirtschaftlichen Nutzung und das Grün in der Stadt haben eine Auswirkung auf die CO2-Emissionen Hamburg. Dementsprechend fordern wir diesen Aspekt in Zukunft in der Bilanzierung zu berücksichtigen. Dadurch können auch negative Emissionen erreicht werden.

Maßnahmen bei Nichteinhaltung des Hamburger CO2-Budgets

Sollte es dazu kommen, dass die Stadt Hamburg ihr festgelegtes CO2-Budget überzieht, geschieht das auf Kosten von Menschenleben, Existenzen und Ökosystemen. Dafür muss Verantwortung übernommen werden. Wir fordern Anstrengungen zum Ausgleich der CO2-Emissionen, falls das Hamburger CO2-Budget überschritten wird. Dafür sehen wir Grüne folgende Möglichkeiten:

  • Andere Städte bei der ökologischen Transformation unterstützen: Hamburg verfügt über Erfahrung, technologisches Wissen und finanzielle Ressourcen, um anderen Städten (z.B. die Partnerstädte Hamburgs) dabei zu unterstützen aus der fossilen Wirtschaftsweise auszusteigen oder die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu überspringen. Zu diesem Zweck muss Hamburg Partnerschaften auf Augenhöhe entwickeln, die eine solche Unterstützung möglich machen.
  • Unterstützung von Klimaanpassungsmaßnahmen: Viele besonders von der Klimakrise betroffene Regionen haben nicht die nötigen Mittel sich an die Folgen des veränderten Klimas anzupassen und Maßnahmen durchzuführen, um Schäden vorzubeugen. An dieser Stelle muss Hamburg Verantwortung übernehmen und bei Anpassungsmaßnahmen Unterstützung leisten (z.B. durch finanzielle Hilfe).
  • Negativemissionen: Unter der Voraussetzung, dass es ökonomisch, sozial und ökologisch sinnvoll ist, CO2-Speicherung in Form von CCS in Hamburg einzusetzen, können wir uns vorstellen, diese Technologien zur Nutzung zu akzeptieren, sofern das CO2-Budget schon überzogen ist. Wir lehnen es ab mit CO2-Speicherung das CO2-Budget zu vergrößern (siehe “Umfang des Hamburger CO2-Budgets”).

Ausgleichsmaßnahmen sind immer als Notfallplan zu verstehen. Die Planung mit Ausgleichsmaßnahmen darf kein Anreiz sein, Klimaschutzmaßnahmen vor Ort zu verschleppen. Es darf nicht übersehen werden, dass der Handel mit CO2-Kompensation zur Einhaltung des eigenen CO2-Budgets zu neokolonialen Effekten führen kann.

Nächste Schritte zur Anwendung des CO2-Budgets

Das Hamburger CO2-Budget soll die Grundlage für die Entwicklung des Klimaschutzes in Hamburg sein. Das Ambitionsniveau und die zu erarbeitenden Maßnahmen sollen sich am Restbudget orientieren, denn so können wir auch unsere globale Verantwortung wahrnehmen. Darüber hinaus muss das Budget Maßgabe für den Hamburger Klimavorbehalt sein. Projekte, die das CO2-Budget Hamburgs überziehen, sollen dann Ausgleichsmaßnahmen und damit verbundene Kosten mit einplanen. Das Monitoring von CO2-Emissionen soll zu einem Mechanismus ausgebaut werden, der politische Maßnahmen nicht nur auf Finanzierbarkeit prüft, sondern auch auf die Vereinbarkeit mit dem CO2-Budget.

Natürlich muss Hamburg auch Vorkehrungen dagegen unternehmen, dass sich das CO2-Budget zu Lasten der Hamburger*innen oder auch der globalen Klimaneutralität auswirkt. So soll Hamburg Maßnahmen gegen Carbon Leakage entwickeln. Es liegt nicht in unserem Interesse, dass bspw. Hamburger Unternehmen aus Hamburg emigrieren und an einem anderen Ort emittieren. Mit einem nationalen CO2-Budget sollen außerdem auch alle anderen Bundesländer dazu verpflichtet werden, verpflichtende CO2-Budgets einzuführen.

Die grünen Mandatsträger*innen, Senator*innen und der Landesvorstand werden aufgefordert sich für Folgendes einzusetzen:

Hamburg muss seine Vorreiterrolle im nationalen und internationalen Klimaschutz über die auf Bundesebene festgelegten Ziele hinausgehen beibehalten.

Als Grundlage hierfür müssen mehrere Dinge getan werden: Hamburg muss wie im Koalitionsvertrag vereinbart ein geeignetes CO2-Budget berechnen. Dieses soll sich an den im Antrag beschrieben Kriterien orientieren. Außerdem müssen das Klimaschutzgesetz und der Klimaplan so angepasst werden, dass die Emissionsminderungen früher als bisher geplant erfolgen. Laut Bundesverfassungsgericht ist eine deutliche Reduktion der Emissionen vor 2030 nötig. Um noch Zeit für die Umsetzung der Maßnahmen zu haben sind eine Neufestsetzung des Klimaziels und eine Neufassung des Klimaplans und Klimaschutzgesetzes so schnell wie möglich vorzulegen – die Arbeit daran muss sofort beginnen!

Die bisher im Klimaplan festgelegten Transformationspfade und Einzelmaßnahmen müssen beschleunigt werden insbesondere durch zusätzliche finanzielle und personelle Ressourcen die zum Haushaltsplan 23/24 bereitgestellt werden, um die Umsetzung der Transformationspfade und Einzelmaßnahmen schneller als bislang geplant realisieren zu können.