Patriarchale Rechtsprechung beenden – Nur Ja heißt Ja!

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Sexualisierte Gewalt trifft Kinder und Jugendliche, Frauen und TINA*-Personen weltweit

Sexualisierte Übergriffe treffen häufig bereits Kinder und Jugendliche: Etwa die Hälfte aller dokumentierten Fälle betrifft Personen im Kindes- oder Jugendalter. [1] Gleichzeitig wird weltweit alle zehn Minuten eine Frau ermordet, weil sie eine Frau ist. [2] Auch in Deutschland sind Femizide keine Ausnahme: Allein von Januar bis August 2025 wurden laut Aktivist*innen von „Femizide stoppen“ 68 Frauen getötet, weil sie Frauen sind. [3] Im Jahr 2023 registrierte das Bundeskriminalamt 360 vollendete Tötungsdelikte an Frauen und Mädchen – fast täglich ein Todesfall, 155 Frauen wurden von ihren (Ex-)Partnern ermordet. [2]

Gewalt gegen trans*, inter, nichtbinäre und agender Personen

Auch trans*, inter, nichtbinäre und agender Personen sind stark von Gewalt betroffen. In der EU-weiten FRA-Studie 2014 gaben 34 % aller trans* Personen an, in den letzten fünf Jahren körperliche oder sexualisierte Gewalt erfahren zu haben; trans* Frauen waren mit 38 % am häufigsten betroffen. In der US Transgender Survey 2016 berichteten 47 % der Teilnehmenden über sexualisierte Gewalt. Auch in Australien, im Rahmen der Australian Trans and Gender Diverse Sexual Health Survey 2018, gaben über 53 % der Befragten an, bereits gezwungen oder eingeschüchtert worden zu sein, sexuelle Handlungen zu vollziehen, die sie nicht wollten. [4] Diese Zahlen verdeutlichen, dass geschlechtsspezifische Gewalt nicht nur Frauen, sondern alle geschlechtlich marginalisierten Gruppen betrifft.

Mit dem am 28. Februar 2025 in Kraft getretenen Gewalthilfegesetz wurde ein Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung bei geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt für Frauen und ihre Kinder geschaffen. [5] Die Finanzierung von Frauenhäusern und Beratungsstellen wird bis 2036 mit rund 2,6 Milliarden Euro unterstützt. Das Gesetz benennt jedoch explizit nur Frauen und ihre Kinder als Schutzberechtigte. Ob trans*, inter, nichtbinäre und agender Personen auch als schutzberechtigt gelten, bleibt unklar oder wird sogar ausgeschlossen, obwohl die Praxis einiger Einrichtungen deren Schutz bereits sicherstellt.

Gesetzliche Grundlagen: Istanbul-Konvention und Gewalthilfegesetz

Die Istanbul-Konvention [6], die in Deutschland seit 1. Februar 2018 ratifiziert ist, liefert klare Richtlinien:

  • In Artikel 18 der Istanbul-Konvention wird festgelegt, dass die Vertragsstaaten verpflichtet sind, umfassende Maßnahmen zum Schutz und zur Unterstützung von Opfern von Gewalt zu ergreifen. Dazu gehören die Bereitstellung von Schutz- und Unterstützungsdiensten, die Zugänglichkeit dieser Angebote für alle Betroffenen sowie die Sicherstellung einer effektiven Zusammenarbeit aller involvierten Stellen. Dies entspricht dem Grundprinzip, dass Opfer von Gewalt unabhängig von Geschlecht oder Identität Anspruch auf Schutz und Hilfe haben.
  • In Artikel 36 Absatz 2 wird explizit festgelegt, dass ein Einverständnis freiwillig und aus dem freien Willen der betroffenen Person erfolgen muss. Dies entspricht dem Grundsatz „Nur Ja heißt Ja“.

Opfer dürfen keine Mitverantwortung zugeschoben bekommen

Bei sexualisierter Gewalt trägt die betroffene Person keine Mitverantwortung. Die Zustimmungslösung („Nur Ja heißt Ja“) stellt den Willen aller Beteiligten in den Mittelpunkt – sexuelle Handlungen sind nur erlaubt, wenn der Wille ausdrücklich oder eindeutig non-verbal bekundet wird. Im Gegensatz dazu muss bei der aktuellen Widerspruchslösung („Nein heißt Nein“) das Opfer das eigene Verhalten erklären, wodurch es in eine Rechtfertigungsposition gedrängt wird. Gerade in traumatisierenden und übergriffigen Situationen, ist es jedoch eine häufige Reaktion der Opfer, sich aus Gründen des Schocks neutral und teilnahmslos zu verhalten. Das geltende Sexualstrafrecht verlangt dem Opfer in diesen Situationen jedoch ab, sich einer gegebenenfalls körperlich überlegenen und gewaltbereiten Tatperson aktiv in den Weg zu stellen, anstatt die Verantwortung der Tatperson zuzuordnen. So findet Victim-Blaming bereits auf Ebene des materiellen Rechts Einzug in das Strafverfahren. Für uns ist klar: Niemand sollte durch Abwehrverhalten oder das Ausbleiben eines aktiven „Nein“ für die Tat verantwortlich gemacht werden.

Beweislast und Strafbarkeit

Die Unschuldsvermutung bleibt auch bei der Zustimmungslösung, also einer “Nur Ja heißt Ja” Regelung, unberührt: Die geforderte Reform würde nicht zu einer Umkehr der Beweislast führen. Es bleibt Aufgabe der Staatsanwaltschaft, die Schuld der Tatperson nachzuweisen; im Zweifel gilt für die angeklagten Personen weiterhin „in dubio pro reo“. Auch die Beweisführung wird nicht grundsätzlich verändert, sondern lediglich die Strafbarkeitsschwelle gesenkt: Das Gericht prüft nach seiner freien Beweiswürdigung, basierend auf konkreten Anhaltspunkten, ob die Tatperson wusste, dass keine aktive Zustimmung vorlag. Erfahrungen aus Schweden, wo „Nur Ja heißt Ja“ schon 2018 eingeführt wurde, zeigen, dass die Beweisführung mit der Zustimmungslösung praktikabel bleibt, während die Rechte der Opfer richtigerweise gestärkt werden.

Wie viele Fälle braucht es noch? – Frankreich als trauriges Vorbild

Über 50 Männer, über 200 Vergewaltigungen. Das ist das Ergebnis der Prozesse rund um Gisèle Pelicot. Und das brauchte es, um in Frankreich die Debatte anzutreiben und zu wenden. Künftig gilt in Frankreich „Nur Ja heißt Ja“: Sex ohne ausdrückliche Zustimmung wird nun als Vergewaltigung betrachtet. 

Damit nimmt Frankreich die explizite Zustimmung zu sexuellen Handlungen in sein Strafrecht auf. Als sexueller Übergriff gilt demnach „jede nicht einvernehmliche sexuelle Handlung“. Die Zustimmung sei unter anderem frei, konkret und widerrufbar. „Sie kann nicht allein aus dem Schweigen oder dem Ausbleiben einer Reaktion des Opfers hergeleitet werden“, heißt es im Gesetzestext. [8]
Wieso brauchte es erst solche grausamen Taten und einen so öffentlichen Prozess, um ein Umdenken anzuregen? Und warum müssen wir in Deutschland aktuell genau auf solch einen Fall warten, statt auch aus diesem Fall zu lernen und unser Strafrecht zu überarbeiten?

Unsere Forderungen

Vor diesem Hintergrund fordert wir:

  1. Einführung der „Nur Ja heißt Ja“-Regel im deutschen Strafrecht, die ausdrücklich auch verbale, psychische und digitale Formen sexueller Belästigung und sexualisierter Gewalt erfasst. Es braucht die Zustimmungslösung sowohl im Tatbestand der sexuellen Belästigung als auch der sexualisierten Gewalt.
  2. Konsequente Umsetzung der Istanbul-Konvention, insbesondere Artikel 36, um sicherzustellen, dass Einverständnis zu sexuellen Handlungen freiwillig und aus freiem Willen gegeben wird, und dass keine Tat aufgrund des Fehlens von körperlicher Gewalt straflos bleibt.
  3. Opfer tragen keine Mitverantwortung – die Anerkennung des erlittenen Unrechts darf nicht vom Verhalten des Opfers abhängen. Die Praxis der Strafverfolgung muss traumasensibler gestaltet werden.
  4. Schließung der Gesetzeslücken bei voyeuristischen und nicht-körperlichen Übergriffen, insbesondere heimliche Bildaufnahmen des bekleideten Körpers [9] sowie anzüglichen Äußerungen und “Catcalling” [10].
  5. Überarbeitung und Erweiterung des Gewalthilfegesetzes, zum schnelleren Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt für alle geschlechtlich marginalisierten Gruppen.
    Der Rechtsanspruch auf Beratungs- und Schutzangebote müssen ausdrücklich auch für trans*, inter, nichtbinäre und agender Personen gelten, ohne dass Einrichtungen in ihrer Aufnahmepraxis eingeschränkt werden. Der Anspruch muss viel früher, weit vor 2032 geltend gemacht werden können.

Wir fordern die Hamburger Senatores über den Bundesrat und die Hamburger Mitglieder des Bundestags über den Bundestag auf, sich für diese Forderungen und entsprechende Gesetzesänderungen aktiv einzusetzen.

[1] https://www.ifas-home.de/wp-content/uploads/2021/03/PM_Studie-zu-Grenzverletzungen-und-sexualisierter-Gewalt.pdf

[2] https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-journal/antifeminismus-rechtsextremismus-femizide

[3] https://www.instagram.com/femizide_stoppen/?hl=de 

[4] https://www.bundesverband-trans.de/gewalthilfegesetz-kommt/

[5] https://www.bmbfsfj.bund.de/bmbfsfj/ministerium/gesetze/gesetz-fuer-ein-verlaessliches-hilfesystem-bei-geschlechtsspezifischer-und-haeuslicher-gewalt-251160 

[6] https://rm.coe.int/16806b076a

[7] https://www.amnesty.ch/de/themen/frauenrechte/sexualisierte-gewalt/dok/2022/argumente-nur-ja-heisst-ja/22-07-05-argumentarium_nur-ja-heisst-ja-_final.pdf

[8] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/frankreich-sex-ohne-zustimmung-100.html 

[9] https://www.deutschlandfunk.de/sexuelle-belaestigung-voyeur-filmen-stgb-184-yanni-gentsch-100.html

[10] https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/politik/catcalling-verbale-sexuelle-belaestigung-straftat-100.html