Für uns GRÜNE ist eine gerechte Handelspolitik seit vielen Jahren ein wichtiges Thema. Als Hamburger*innen, die in einer Hafen- und Handelsstadt leben, wissen wir um das große Potential des Handels. Eine Vertiefung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen Staaten, ein Austausch über gute Standards, sowie eine Vereinheitlichung von technischen Normen kommt insbesondere kleinen und mittelständischen Unternehmen zugute. Fairer Handel kann den Wohlstand der Menschen mehren und die friedliche Kooperation von Staaten verstärken. Diese Chancen können jedoch nur ausgeschöpft werden, wenn die Handelspolitik den ökologischen Grenzen der Erde Rechnung trägt und zum Ziel hat, Armut und Ungleichheit zu verringern. Die Handelsliberalisierungen in ihrer bisherigen Form haben die Armut und das Ressourcenungleichgewicht sowie (Binnen-)Migration und Vertreibung insbesondere in Ländern des Globalen Südens vergrößert. Die geplanten Freihandelsabkommen bergen die Gefahr, diesen Trend fortzusetzen. Wir streben daher eine Handelspolitik an, die globale Arbeits-, Sozial- und Gesundheitsstandards befördert und keine weiteren Migrationsursachen schafft. Eine solche Handelspolitik sollte multilateral sein und im Rahmen transparenter Regeln stattfinden. In diesem Sinne hat auch die 39. Bundesdelegiertenkonferenz in Halle (20.-22. November 2015) einen „multilateralen Ansatz“ gefordert.
Bereits an vergangenen Freihandelsabkommen, wie zum Beispiel den Abkommen zwischen der Europäischen Union (EU) und Zentralamerika sowie zwischen der EU, Peru und Kolumbien wurde daher von den Grünen auf allen Ebenen Kritik geübt. Beide Abkommen haben Umwelt- und Sozialstandards gefährdet sowie Menschenrechts- und Rechtsstaatlichkeitsfragen ausgeklammert. Aktuell verhandelt die EU die „Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft“ (TTIP) mit den USA sowie das „Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen“ (TiSA) zwischen 23 Parteien, einschließlich der EU und der USA; die Verhandlungen über das so genannte „Umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen“ (CETA) mit Kanada wie auch das sogenannte Economic Partnership Agreement (EPA – Wirtschaftspartnerschaftsabkommen) zwischen der EU und afrikanischen, karibischen sowie pazifischen Staaten wurden 2014 abgeschlossen. Die Verhandlungen fanden und finden im weitgehend intransparenten Rahmen zwischen den Staaten statt, EU Parlamentarier*innen haben nur unzureichenden Zugang zu den Verhandlungsdokumenten.
Um gegen die Art der Verhandlungsführung sowie problematische Ergebnisse der bisherigen Verhandlungen zu protestieren, fand am Samstag, den 10. Oktober 2015 ein europaweiter Aktions- und Protesttag statt, zu dem auch die Grüne Europafraktion und Bündnis 90/Die Grünen mit aufgerufen haben. Wir freuen uns, dass etwa 250.000 Kritiker*innen der geplanten Freihandelsabkommen CETA, TiSA und TTIP in Berlin auf die Straße gegangen und somit dem Aufruf des großen Trägerkreises gefolgt sind. Vor diesem Hintergrund ist auch eine eindeutige Positionierung der Hamburger Grünen angebracht.
Umwelt-, Verbraucherschutz-, Datenschutz- und Sozialstandards schützen
Die bisher bekannten Inhalte der aktuell verhandelten Abkommen geben Anlass zur Sorge. Das EU-USA-Freihandelsabkommen TTIP steht bisher für eine Politik, die hart erkämpfte Rechte und Standards zu untergraben droht, statt sie zu stärken. Es besteht eine reale Gefahr, dass digitale Grundrechte wie der Datenschutz unterlaufen werden und die im Dezember verabschiedete europäische Datenschutz-Grundverordnung in vielen Punkten obsolet würde, wenn die bisher geleakten Verhandlungstexte umgesetzt werden. Verbraucherschutz und Finanzmarktregulierung werden entsprechend dieser Logik ebenfalls zu Handelshemmnissen. Auch bei den Verhandlungen von CETA zeigte sich diese Gefahr: So stand zu befürchten, dass bei der Vergabe öffentlicher Aufträge ökologische und soziale Kriterien keine Anwendung mehr finden. Außerdem sollte die Beimischung von Öl aus umweltverschmutzender und klimaschädlicher Teersand-Produktion aus Kanada zu europäischen Kraftstoffen erleichtert und Aufhebung der Nulltoleranz bei der Verunreinigung von Lebensmitteln und Saatgut mit in Europa nicht zugelassenen gentechnisch veränderten Organismen in Betracht gezogen werden. Da es zunächst keine Ausnahme von öffentlichen Dienstleistungen gab, war darüber hinaus ein weiterer Liberalisierungsdruck auf kommunale Dienste zu befürchten. Bestrebungen der USA im Rahmen von TiSA den Austausch von Kundendaten zwischen Banken und Versicherungen zu vereinfachen beunruhigen uns ebenfalls.
Daher haben wir auf der 38. Bundesdelegiertenkonferenz in Hamburg (21.-23. November 2014) Folgendes beschlossen:
„Wir GRÜNE werden keinem Handelsabkommen zustimmen, das kurz- oder langfristig zu einer Absenkung rechtlicher Standards sowie Umwelt-, Verbraucherschutz-, Datenschutz-, oder Sozialstandards führen könnte. Einen Vertrag, der das Vorsorgeprinzip auch nur indirekt oder mittelfristig infrage stellt, lehnen wir ebenso ab wie einen Vertrag, der die Handlungsfähigkeit der Kommunen und gesetzgeberische Handlungsmöglichkeiten auf den unterschiedlichen Entscheidungsebenen (…) einschränken könnte.“
ISDS als Gefahr für demokratische und rechtsstaatliche Grundsätze
Ein weiterer problematischer Punkt in Freihandelsabkommen sind die sogenannten „Investor State Dispute Settlements“ (ISDS), welche gemeinhin als Investor-Staats-Klagen bezeichnet werden. ISDS erlauben ausländischen Unternehmen, ihren Gaststaat vor internationalen Schiedsgerichten zu verklagen, wenn sie die weitreichenden Eigentumsrechte, die ihnen in Investitionsabkommen eingeräumt werden, als verletzt ansehen. ISDS haben eine Reihe von Mängeln, die potentiell eine Gefahr für fundamentale Grundsätze unseres Demokratieverständnisses, vor allem von Rechtsstaatsprinzipien darstellen. Die mündlichen Verhandlungen finden in der Regel nicht-öffentlich statt, womit die Verfahren kaum transparent sind. Trotz der weitreichenden Schadenersatzansprüche, die Schiedsgerichte Investoren zusprechen können, gibt es keine Revisionsinstanz. Hinzu kommt, dass Schiedsgerichte ad hoc von Fall zu Fall gebildet werden, weshalb ihre Auslegung der Investitionsschutzabkommen nicht selten uneinheitlich ist. Dass es sich bei ISDS grundsätzlich um nichts „Neues“ handelt, sondern ein System, das bereits Teil vieler Handelsabkommen ist, macht die Sache nicht besser, sondern zeigt umso dringlicher den Handlungsbedarf.
Daher haben die BAGen Europa, Globale Entwicklung und Wirtschaft & Finanzen im April 2015 einen gemeinsamen Beschluss gefasst in dem ISDS abgelehnt werden. Eine mögliche Alternative hierzu stellt ein internationales Investitionsgericht dar. Dieses muss den folgenden Kriterien genügen: (1) Die Berufung und Unabhängigkeit der Richter*innen muss den Standards anderer internationaler Gerichte entsprechen. (2) Das Verfahren muss öffentlich und transparent sein. (3) Vor der Anrufung des internationalen Investitionsgerichts muss der nationale Rechtsweg ausgeschöpft sein, um keine Parallelgerichtsbarkeit zu etablieren; außerdem muss eine Berufungsmöglichkeit bestehen. Diese Haltung wird auch vom Europäischen Parlament unterstützt. Das EP hat am 8. Juli 2015 einen Beschluss gefasst hat, der ISDS ablehnt und einen internationalen Gerichtshof für diese Fälle fordert (siehe P8_TA-PROV(2015)0252).
Transparente Verhandlungen sicherstellen
Der TTIP Verhandlungsprozess verlief „völlig intransparent“, wie wir in unserem Europawahlprogramm von 2014 festgestellt haben. Das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente sind weiterhin nicht ausreichend eingebunden. Bei einem Abkommen, das so weitreichende Folgen hat, ist das nicht hinnehmbar. Wir wollen Abkommen, die transparent verhandelt werden. Dies beinhaltet mindestens, dass die Entscheidungsträger*innen auf europäischer und nationaler Ebene und ihre Mitarbeiter*innen sich angemessen über den Stand der Verhandlungen informieren können. Außerdem muss der Vertragstext zwingend öffentlich vorliegen, bevor das Ratifizierungsverfahren beginnt.
Regulatorische Kooperation darf kein Einfallstor für Lobbyist*innen werden
In den oben genannten Freihandelsabkommen ist zudem mit dem Rat zur regulatorischen Kooperation (RCC) ein Gremium geplant, das Lobbyist*innen die Möglichkeit geben könnte, Einfluss auf Gesetze zu nehmen, bevor diese in einem Parlament debattiert werden. Während ein Austausch zwischen Beamt*innen und/oder Parlamentarier*innen durchaus wünschenswert sein kann, ist die geplante Regelung als eine weitere Unterwanderung der parlamentarischen Demokratie zu sehen. Auch sollte eine solche Kooperation nur dann infrage kommen, wenn sie nur eine beratende und keinesfalls eine entscheidende Rolle spielt. Daher haben wir auf der 38. Ordentliche Bundesdelegiertenkonferenz in Hamburg (21.-23. November 2014) Folgendes beschlossen:
„Im TTIP und CETA sollen Foren für eine regulatorische Kooperation eingerichtet werden. In beiden Gremien ist eine Konsultation mit Dritten geplant. Die damit entstehenden Einflussmöglichkeiten sind noch nicht absehbar. Es ist nicht akzeptabel, wenn damit der Einfluss von Lobbyist*innen noch weiter gestärkt wird. Gesetze können zwar mit den betroffenen Akteuren besprochen werden, eine vorherige Einmischung lehnen wir allerdings ab.“
Neuste Entwicklungen bei CETA
Die Verhandlungen zwischen der EU und Kanada wurden im September 2014 abgeschlossen, und der vollständige Verhandlungstext wurde bereits für alle zugänglich veröffentlicht. Derzeit läuft die Rechtsförmlichkeitsprüfung, und das Abkommen wird in die notwendigen Sprachen übersetzt. Bisher ist es noch unklar, ob CETA ein gemischtes Abkommen sein wird und die Mitgliedsstaaten der EU zustimmen müssen. Alle involvierten Akteure gehen aber davon aus, dass der Bundestag und der Bundesrat in den Ratifizierungsprozess mit eingebunden sein werden.
CETA ist ein umfassendes Handelsabkommen, das weitreichende Marktöffnungen vorsieht. Diese Liberalisierung ist nicht für alle Bereiche unproblematisch. Daher ist es positiv, dass für die sensiblen Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge und audiovisuelle Dienstleistungen besondere Schutzmechanismen vorgesehen sind. Auch das „right to regulate“ bleibt bestehen und kann dafür genutzt werden, Standardabsenkungen in den Bereichen Verbraucherschutz, Umweltschutz, Lebensmittelsicherheit und Arbeitsbedingungen zu verhindern. Problematisch bleibt das im Investorenschutzkapitel weiterhin enthaltene Investor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren. Wir teilen daher die Auffassung der 39. Delegiertenkonferenz in Halle vom 20.-22. November, die den vorgelegten Vertragstext für CETA ablehnt.
Hamburger Positionierung
Wir begrüßen ausdrücklich die bisherigen Bemühungen der Partei und Fraktion in Hamburg, die Verhandlungen über Freihandelsabkommen kritisch-konstruktiv zu begleiten und beleuchten. Verschiedene Veranstaltungen und parlamentarischen Initiativen seitens der Fraktion im Rathaus und durch die Partei zeugen davon.
Im Wahlprogramm haben wir uns ebenfalls darauf verpflichtet „Abkommen, die eine Investor-Staats_Klage beinhalten, ab [zu] lehnen und Abkommen, die bestehende Standards und hart erkämpfte Rechte gefährden, nicht [zu] unterstützen“. Daher fordern wir unsere Senator*innen und Abgeordneten auf Landes-, Bundes- und Europaebene auf, Freihandelsabkommen im allgemeinen sowie TTIP und TiSA im speziellen im Bundestag, Bundesrat und Europäischen Parlament nur zuzustimmen, wenn diese Abkommen mit den in diesem Antrag formulierten Anforderungen sowie den aufgeführten Beschlüssen und Landes- und Bundesebene kompatibel sind.
Für die Hamburger Grünen steht fest, dass eine Zustimmung zu CETA nicht erfolgen kann, solange Investor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren nicht durch eine internationale Investitionsgerichtsbarkeit ersetzt werden, die den im Antrag formulierten Forderungen nach unabhängigen Richtern, Revisionsinstanzen und einem öffentlichen Verfahren entspricht. Auch bestehende Standards müssen wie im Wahlprogramm beschrieben selbstverständlich geschützt werden.