Begleitet von bundesweiten Protesten hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière am 14. Dezember 2016 34 Personen nach Kabul abgeschoben, darunter Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen, Angehörige von Minderheiten wie den Hindus und Hazara und Menschen, die zum Christentum konvertiert sind.
Der Sammelcharterflug zurück in ein vom langjährigen Krieg gebeuteltes Land sollte ursprünglich mit 50 Personen besetzt sein.
Der Bundesinnenminister hatte die Bundesländer aufgefordert, ausreisepflichtige afghanische Staatsbürger*innen zu benennen und deren Abschiebung zu vollziehen. Aktiv daran beteiligt haben sich letztlich Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Hessen, das Saarland und Hamburg.
Aus Hamburg sind bei dieser Aktion sieben Menschen abgeschoben worden. Ursprünglich sollten es fast doppelt so viele sein. Dass nicht noch mehr afghanische Flüchtlinge aus Hamburg betroffen waren, ist der sehr guten und engagierten Arbeit des Eingabenausschusses und der Einlegung von Rechtsmitteln zu verdanken.
Die Bedingungen, unter denen die Menschen in Abschiebehaft genommen wurden, offenbaren ein unmenschliches und rechtlich fragwürdiges Verhalten der Innenbehörde. Menschen unter einem Vorwand einzubestellen um sie dann zu inhaftieren und ihre Abschiebung anzuordnen, ohne dass sie vorher einen Rechtsbeistand hätten hinzuziehen können, kritisieren wir aufs Schärfste!
Andere grün mitregierte Landesregierungen haben sich nicht an der Abschiebung beteiligt, weil Bundesinnenminister de Maizière nicht den zugesagten aktuellen Bericht zur Sicherheitslage in Afghanistan vorgelegt hatte. Uns verwundert dies nicht, denn zur Zeit kann nach unseren Kenntnissen nicht seriös dargestellt werden, dass Afghanistan ein sicheres Land ist oder es einzelne sichere Regionen gibt. Auch eine mittelfristige Stabilität kann nach unserer Einschätzung ebenfalls nicht prognostiziert werden.
Am 15.12.2016, also nur einen Tag später, hat der Bundestag eine Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan beschlossen.
Den Abschiebeflieger öffentlichkeitswirksam zu inszenieren, ist übelster Populismus.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) selbst hat bezüglich Afghanistan eine andere Entscheidungspraxis: Nach der Bundestagsdrucksache 18/10575 beträgt auch im dritten Quartal 2016 bei den Asylanträgen aus Afghanistan die bereinigte Schutzquote 52,1 Prozent – drei Prozent höher als im zweiten Quartal. Viele andere erhalten ein Aufenthaltsrecht durch Entscheidungen der Verwaltungsgerichte oder ein Bleiberecht aus humanitären Gründen.
Die abgeschobenen Afghanen werden in eine Situation voller Hoffnungslosigkeit gebracht. Speziell für jene, die einer Minderheit angehören, ist mit dem schlimmsten zu rechnen. Unter den in Deutschland lebenden Afghaninnen und Afghanen nimmt die Angst zu, weil weitere Sammelabschiebungen bereits zeitnah terminiert sind. Speziell in Hamburg ist sie groß, da hier die größte Gemeinschaft der in Deutschland lebenden Afghan*innen vorübergehende Zuflucht oder eine neue Heimat gefunden hat. Das Vertrauen in Zusagen auf Bleibeperspektiven für Geduldete, zum Beispiel über die 3 plus 2-Regelung, wird so massiv erschüttert. Gleichzeitig sind die Abschiebungen von Menschen mit unbefristeten und langjährigen Arbeitsverträgen auch ein verheerendes Signal an die Arbeitgeber*innen. Wer gibt einer Afghanin oder einem Afghanen mit Duldung einen Arbeitsvertrag, wenn dann doch die Abschiebung droht? Damit bleiben aber Zusagen, sich über Integration durch Ausbildung und Arbeit ein Bleiberecht quasi erarbeiten zu können, wirkungslos.
Afghanistan ist kein sicheres Herkunftsland
Die Situation der afghanischen Geflüchteten ist seit vielen Monaten im besonderen FokusDie Bundesregierung hat Afghan*innen zu einem Symbol für die Durchsetzung von Abschiebungen gemacht. De Maizière behauptet, es gäbe einige sichere Regionen im Land, in die sich ausreisepflichtige Personen nach der Ankunft am Flughafen Kabul begeben könnten. Diese Einschätzung teilen wir als Bündnis 90/Die Grünen nicht!
Die UN-Afghanistan-Mission (UNAMA) berichtet, dass der Konflikt in Afghanistan in 2016 noch mehr Opfer unter der Zivilbevölkerung gefordert hat, als in den Vorjahren. Zwischen Januar und Juni 2015 sind demnach 1592 Zivilist*innen getötet und 3329 weitere verletzt worden. Inzwischen gibt es mehr Opfer durch Kampfhandlungen am Boden als durch Attentate, Sprengsätze und ähnliches.
Verschiedene Medienberichte1 zeigen, wie das Land seit zwei Jahren dem Abgrund entgegen schlittert. Die Eroberung und mehrtägige Besetzung von Kundus kann als ein Wendepunkt für Afghanistan betrachtet werden, galten doch die größeren Städte den modernen Eliten trotz regelmäßiger Bombenanschläge noch immer als relativ sicher vor dem Zugriff der Taliban. Damit scheint es vorbei zu sein.
Auch die WDR Sendung Monitor zeigte am 08.12.2016 eindrucksvoll, dass auch der Norden von Afghanistan rund um die afghanische Stadt Masar-i-Scharif, wo auch die Bundeswehr stationiert ist, nicht sicher ist. Menschen vor Ort berichten, dass die Taliban auch im Norden Afghanistans Menschen foltern und ihre eigenen Strukturen mit Lehrern und Richtern haben. Die Taliban haben überall Minen gelegt, so dass zahlreiche Menschen nicht in leerstehende Häuser zurückgehen können.
Bei einem Treffen des Politischen Direktors des Auswärtigen Amts, Andreas Michaelis, mit Außenpolitikern der Unionsfraktionen habe dieser nach eigenen Angaben mehrfach auf die prekäre Sicherheitslage hingewiesen.2
Dabei berief er sich auf einen internen Lagebericht der Botschaft in Kabul. Die „Ausdehnung der Taliban“ sei heute größer als zu Beginn des militärischen Eingreifens der NATO 2011, heiße es darin. Die Bedrohung habe sich dramatisch erhöht. Die Gefahr für Leib und Leben sei in jedem zweiten afghanischen Distrikt hoch oder extrem. Selbst in Landesteilen, die bisher als relativ sicher galten, wachse die Bedrohung rasant. Die Situation werde auf absehbare Zeit weiter echte Gründe für Asyl hervorbringen, heiße es im Botschaftsbericht.
Große Koalition hat keinen Plan für Integration – Hamburg schon
Schon seit dem letzten Jahr bemüht sich die Bundesregierung verstärkt um Rückführungen nach Afghanistan. Die Strategie ist dabei klar: die Bundesregierung will Handlungsfähigkeit demonstrieren, den afghanischen Geflüchteten wird signalisiert, dass sie sich nicht sicher fühlen sollen und potentiellen Schutzsuchenden aus Afghanistan wird mitgeteilt, dass sich eine Flucht nach Europa nicht lohnt. Eine solche Politik auf dem Rücken von Schutzsuchenden löst kein einziges Problem sondern ist ein perfides Symbol, das rechte Ressentiments bedient. Die Bundesregierung trägt damit zur Festung Europa bei und tritt Menschenrechte und die Werte unseres Grundgesetzes mit Füßen.
Die Bundesregierung hat keine Idee dazu, wie sie Integration ermöglicht. Sie lässt sich von den Stimmen rechtsaußen treiben anstatt von humanitären Aspekten.
Noch immer gibt es zudem keine funktionierenden Rückkehrprogramme, die auf Freiwilligkeit und Nachhaltigkeit basieren und den Menschen wirklich einen Neuanfang in sicherer Umgebung ermöglichen würden.
Hamburg hat anders als die Bundesregierung einen Plan: Wir sind ist nicht nur Willkommens- und Ankommensstadt, wir wollen auch eine inklusive Stadt sein. Hamburg sieht den Zuzug der vielen Geflüchteten einerseits als Chance zur Weiterentwicklung, andererseits erkennt es seine humanitäre Verantwortung an. Die rot-grüne Landesregierung hat ihren unbedingten Willen zur Integration wiederholt deutlich gemacht. Ein eigens eingerichteter Integrationsfonds unterstützt die vielen zivilgesellschaftlichen Initiativen, die mit unzähligen Projekten den Integrationserfolg ermöglichen. Wir haben die besondere Situation von Frauen, von Familien, von nicht heterosexuellen Geflüchteten und religiös verfolgten Menschen fest im Blick. Auch über spezielle Angebote zur Arbeitsmarktintegration ermöglichen wir einen Neuanfang und echte Teilhabe unser Neu-Hamburger*innen. Das ist der richtige Weg, diesen wollen wir konsequent weitergehen. So lange im Herkunftsland eine Bedrohungslage herrscht, schicken wir unsere Mitmenschen nicht in dieses Risiko zurück, weil es schlichtweg verantwortungslos ist.
Petitum
Wir fordern unsere grünen Senator*innen und die grüne Bürgerschaftsfraktion dazu auf:
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Sich in einem engen Abstimmungsprozess mit der grünen Parteispitze im Senat dafür einzusetzen, dass ab sofort für die Dauer von mindestens zwei Jahren bei künftigen durch das Bundesinnenministerium durchgeführten Abschiebungen nach Afghanistan keine Afghan*innen aus Hamburg mehr mit dabei sind.
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Sich im Senat und bundesweit für eine sofortige Aussetzung der Abschiebungen von afghanischen Staatsangehörigen gemäß § 60a Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) für die Dauer von mind. zwei Jahren einzusetzen;
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Sich im Bundesrat dafür einzusetzen, das Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern herzustellen, eine Aufenthaltsgewährung nach § 23 Absatz 1 AufenthG für afghanische Staatsangehörige zu erklären und entsprechende Landesaufnahmeprogramme einzuführen.
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Sich im Bundesrat dafür einzusetzen, bei afghanischen Staatsangehörigen die Anerkennung als Asylberechtigter, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, die Gewährung subsidiären Schutzes und die Feststellung von Abschiebungsverboten gemäß § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG nicht zu widerrufen.
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Sich im Bundesrat dafür einzusetzen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge angewiesen wird, das Vorliegen der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, insbesondere bei geschlechtsspezifischer Verfolgung, bei der Entscheidung über Asylanträge von afghanischen Staatsangehörigen besonders sorgfältig zu prüfen und afghanischen Asylbewerber*innen zumindest subsidiären Schutz zu gewähren.
1 Die „FAZ“ berichtete am 06.10.2015
2 (www.spiegel.de/politik/deutschland/fluechtlinge-rueckfuehrung-nach-afghanistan- kaum-moeglich-a-1062500.html).