Aufklärung und Zusammenhalt statt Spaltung und Eskalation

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Der G20-Gipfel hat für Hamburg eine Woche der Zumutungen bedeutet. Es hat sich gezeigt, dass sich unsere frühen Befürchtungen realisiert haben. Als Teil des rot-grünen Senats tragen auch wir politische Verantwortung. Wir wollen die Aufklärung der Geschehnisse rund um G20 voran treiben und setzen dabei auf Zusammenhalt statt Eskalation und Spaltung. Wir begrüßen, dass die Aufarbeitung mit dem Sonderausschuss jetzt auf den Weg gebracht wird.

Es kam zu massiven Einschränkungen im Verkehr, teilweise schon einen Tag früher als geplant, was stundenlangen Stau für viele Menschen zur Folge hatte. Menschen, die in der Nähe des Veranstaltungsortes selbst wohnen, waren besonders von Einschränkungen betroffen und in ihrer normalen Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Der Hubschrauber-Lärm war für viele sehr belastend.

Sehr schlimm und sehr prägend waren für viele aber andere Ereignisse als das Verkehrschaos: brennende Autos und Mülltonnen, die Anrufe aus Schule und Kita, doch bitte die Kinder abzuholen, weil man für ihre Sicherheit nicht länger garantieren könne, die marodierenden Banden, die durch Altona, Ottensen und Eimsbüttel zogen, die Bilder von massiven Sachbeschädigungen und Plünderungen in der Schanze. Auch die Videos von verletzten Demonstrant*innen, Polizist*innen und Unbeteiligten haben sich in den Köpfen eingebrannt.

Diese Gewaltszenen und Gewaltexzesse vom vorletzten Wochenende berühren uns immer noch tief. Für dieses Tun gibt es keine Rechtfertigung. Diese Straftaten müssen aufgeklärt und verfolgt werden. Wir GRÜNE haben von Anfang an eine harte Trennlinie zu allen Formen von Gewalt oder ihrer Rechtfertigung gezogen. Daran werden wir aus Überzeugung festhalten.

Wir konnten es nicht verhindern, dass Menschen, ihr Eigentum und unser Gemeinschaftseigentum teilweise über Stunden nicht effektiv durch Polizei und Feuerwehr geschützt werden konnten. Dafür möchten auch wir uns bei den Hamburger*innen entschuldigen. Wir konnten das Gefühl der Ohnmacht nicht verhindern, aber wir werden damit jetzt auch keinen Menschen allein lassen.

Die Einsatzkräfte der Polizei standen zwischendurch vor unlösbaren Aufgaben, sie haben bis zur Erschöpfung und mit einem hohen persönlichen Einsatz alles für die Menschen in dieser Stadt gegeben. Dafür sind wir dankbar. Dort wo Einsatzkräfte gegen die Regeln verstoßen haben, ist Aufklärung unabdingbar.

Wir haben uns als GRÜNE im Vorfeld des G20-Gipfels dafür stark gemacht, dass in Hamburg in der Abwägung der verschiedenen Schutzgüter die Meinungsfreiheit und das Demonstrationsrecht eine starke Position haben. Nicht immer ist es gelungen, weitgehende Eingriffe in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zu verhindern. Dennoch konnten rund 50 Demonstrationen in der Hamburger Innenstadt durchgeführt werden.

Der Alternativgipfel auf Kampnagel, Yoga gegen G20, #liebertanzichalsg20, 1000Gestalten, Protestwelle, Hamburg zeigt Haltung und viele, viele Aktionen und auch die größte Demonstration am Samstag haben den Protest im Zentrum Hamburgs bunt, kreativ und friedlich gemacht. Wir sollten ihnen ebenso wie der kritischen Betrachtung der inhaltlichen Ergebnisse des Gipfels auch in unserem Rückblick wieder mehr Platz einräumen, weil dieser demokratische und friedliche Protest und die öffentliche politische Kritik das ist, was vielen Menschen auf der Welt auch in Staaten der G20 verwehrt bleibt.1

Hamburg steht bei der Aufarbeitung der Ereignisse noch ganz am Anfang. Es sind sehr viele Aspekte zu berücksichtigen, um zunächst ein Lagebild für diese Zeit zu bekommen, worauf eine Analyse des Geschehenen aufsetzen kann. Wir haben als Politik Vertrauen verloren und das können wir nur zurück gewinnen, wenn es bei der Aufklärung keine blinden Flecken gibt. Dazu gehört natürlich der ganze Komplex rund um die Frage von Gewaltausübung und den Mechanismen, persönlichen und politischem Verhalten, das hierbei zuträglich war. Genauso gehört für uns allerdings auch die Einsatzstrategie der Polizeiführung dazu. Wer wie wir konsequent die Gewalt von Seiten der sogenannten Autonomen verurteilt, der muss gleichzeitig auch bereit sein, eine klare Einschätzung über das Vorgehen der Polizei zu gewinnen. Die Einsatzstrategie bei der welcome to hell-Demo wurde bereits vielfach, aus unserer Sicht zu Recht, in Zweifel gezogen. Dieser missglückte Einsatz darf dennoch nicht als Rechtfertigung für die Gewaltexzesse in den Stunden und Tagen nach der Demo dienen. Gleichzeitig gibt es Anzeigen gegen Polizeibeamte und auch Videos und Bilder von verschiedenen Tagen und Orten, auf denen gewaltvolle Szenen zu sehen sind sowie Vorwürfe, dass der Rechtsschutz behindert wurde. Auch viele Journalist*innen berichten von einem unangemessenen und äußerst rabiatem Umgang der Polizei mit ihnen. Wir begrüßen, dass die Bundestagsfraktion bereits die gründliche Aufklärung zu der Frage, warum Journalist*innen die Akkreditierung entzogen wurde sowie zu den geäußerten datenschutzrechtlichen Bedenken eingefordert hat

Auch diese Berichte brauchen ihren Raum und verdienen selbstverständlich eine Aufarbeitung im Sonderausschuss der Bürgerschaft. Der selbstorganisierte Diskussionsprozess der Flora mit den Anwohner*innen kann ein Anfang sein.

Populistische Vorstöße, die die Rote Flora vorverurteilen und die linke Räume per se in Sippenhaft nehmen, lehnen wir ab. Die Aufklärung über die Täter*innenstrukturen rund um den G20-Gipfel ist noch gar nicht abgeschlossen. Eine offene Gesellschaft muss einen Platz für subkulturelle Räume bieten, aber ebenso den kritischen Diskurs darüber ermöglichen, was an diesen Orten passiert. Wir stehen für den Erhalt solcher Räume. Unterstützung von Gewalt tolerieren wir nicht.

Wir wollen als GRÜNE diesen schwierigen Weg der differenzierten Aufklärung und des Diskurses gehen und sehen unsere Rolle darin, auf den verschiedenen Seiten für einen gemeinsamen Prozess zu werben. Wer heute schon alle Schuldigen kennt und meint, es schon immer besser gewusst zu haben, verkennt die komplexe Situation und ihre Dynamiken. Vertrauen gewinnt man nicht durch politische Schnellschüsse und markige Forderungen, sondern durch Aufklärung, Diskurs und den Willen, daraus zu lernen. Wir haben diesen Willen.

1 s.iehe beispielsweise Beschluss der Landesmitgliederversammlung am 24.06.2017: https://hamburg.gruene.de/sites/default/files/2017-06-24_LMV-Beschluss_DemocracyFirst.pdf