Das Hamburger „Volksbegehren gegen den Pflegenotstand“ will den Pflegenotstand im Krankenhaus mit mehr Pflegepersonal durch gesetzlich festgelegte Personalschlüssel begegnen. Die vielen Unterschriften für die Initiative zeigen, dass der Pflegenotstand die Menschen in Hamburg umtreibt. Zu Recht! Heute sind in Hamburg etwa genauso viele Pflegekräfte beschäftigt, wie vor 20 Jahren – und das bei deutlich höheren Fallzahlen! Allein zwischen 2005 und 2015 haben die Krankenhausleistungen um 50% zugenommen. Das Ausmaß der Überlastung von Pflegekräften ist also so hoch wie noch nie. Das bleibt nicht ohne Folgen: für die Qualität der Versorgung, für die Genesung der Patient*innen und die Arbeitsbelastung der Beschäftigten.
Für uns GRÜNE ist klar: Unsere Pflegekräfte verdienen große Anerkennung für ihre Leistung und deutlich bessere Arbeitsbedingungen. Sie brauchen ebenso wie die Patent*innen vor allem mehr Kolleginnen und Kollegen auf der Station. Nur so können wir verhindern, dass Pflegemängel auftreten oder die Pflegekräfte durch ihren anstrengenden Job selbst ihre Gesundheit gefährden. In diesem Sinne teilen wir das grundsätzliche Ziel der Initiative für eine gute Pflege für Beschäftigte und Patient*innen im Krankenhaus. Den Weg, den die Initiative zur Erreichung dieses Zieles verfolgt, können wir Grüne aber insbesondere aus zwei Gründen vorerst nicht mitgehen:
1. Der Vorschlag der „Volksinitiative gegen den Pflegenotstand“ sieht vor, ein Gesetz mit umfassenden Personalvorgaben für Hamburger Krankenhäuser zu erlassen. Die Zuständigkeit für Personalvorgaben im Krankenhaus liegt jedoch beim Bund und könnte landeseigene Regelungen in diesem Umfang ausschließen. Hinzu kommt das Kopplungsverbot in der hamburgischen Volksgesetzgebung. In Folge dieser Aspekte hat der Senat Zweifel an der Verfassungskonformität der Vorlage und diese dem Hamburgischen Verfassungsgericht vorgelegt. Diese Prüfung ist nicht nur unausweichlich, weil eine gesetzliche Verpflichtung dazu besteht. Sie auch notwendig und richtig, weil wir Klarheit brauchen, wie weit die Landeskompetenzen bei der Pflegepersonalbemessung im Krankenhaus reichen.
2. Heute schon der Arbeitsmarkt im Pflegebereich als leergefegt. Das Volksbegehren äußert sich dabei nicht ausreichend zu den Folgen eines Volksentscheides beim bestehenden Personalmangel. Es wird verschwiegen, dass bei der geforderten Wiedereinführung der alten Pflege-Personal-Regelung aus den 90er Jahren Abteilungen geschlossen werden könnten, weil nicht genügend Pflegekräfte auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen und die Vorgaben somit nicht eingehalten werden können. In der Folge müssten die Krankenhäuser Behandlungskapazitäten reduzieren. Darüber hinaus werden nicht alle heutigen Anforderungen in dem veralteten Personalbemessungsinstrument genügend abgebildet und wir befürchten zudem, dass die Einführung dieses Bemessungssystems einen erhöhten Dokumentationsaufwand mit sich bringt. Die wertvolle Arbeitszeit der Pflegekräfte würde dadurch zusätzlich belastet werden.
Der Weg zu besserer Pflege im Krankenhaus – so geht es voran
Im November 2018 wurde das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (PpSG) vom Bundestag verabschiedet und ist seit dem 1.1.2019 in Kraft. Es enthält die Rechtsgrundlage dafür, dass bundesweit ab 2020 verbindliche Untergrenzen für das Pflegepersonal in allen Bereichen der Krankenhäuser gelten werden.
Die geplanten Untergrenzen stellen allerdings keine bedarfsgerechte Versorgung sicher, wie wir GRÜNE sie fordern. Sie dienen dazu, die schlimmsten Gefährdungen zu vermeiden. Fest steht, dass 25% der deutschen Krankenhäuser beim Pflegepersonal nachbessern müssen.
Ob Hamburger Kliniken dabei sein werden, ist noch unklar. Wenn Hamburg im bundesweiten Vergleich bei der pflegerischen Versorgung im Krankenhaus gut abschneidet, dann sind keine erheblichen Verbesserungen in Hamburger Kliniken durch die geplanten Untergrenzen zu erwarten. Das wäre für uns Hamburger Grüne eindeutig zu wenig. Schon heute wissen wir, „schlimmer geht immer“. Aber dass es andernorts schlechter um die Pflege im Krankenhaus bestellt ist, macht die Situation in Hamburg nicht besser. Personaluntergrenzen könnten zudem auch nur den Anreiz setzen, zunächst einmal Personal in betroffene Abteilungen zu verschieben. Zudem könnte das Verständnis in den Kliniken entstehen, dass man sich an den durch die Untergrenzen etablierten Standards auch nach unten orientieren kann. Daher müssen andere Hebel in Bewegung gesetzt werden, um mehr Pflege auch in Hamburger Krankenhäusern zu verwirklichen.
Einen entscheidenden Hebel sehen wir in der neuen Finanzierung der Pflege im Krankenhaus. Hier leitet das PpSG einen überfälligen und notwendigen Paradigmenwechsel ein: Es soll keinen Anreiz mehr für Krankenhäuser geben, an der Pflege zu sparen! Zukünftig werden die Personalkosten in der Pflege von den Krankenkassen gesondert und in voller Höhe refinanziert. Endlich wird der fatale Webfehler der Fallpauschalen behoben, der die Pflege so unter Druck gebracht hat. Weniger Pflege wird keine finanziellen Gewinne mehr erbringen. Bei der Refinanzierung der Pflegepersonalkosten wird es keine Deckelung durch die Krankenkassen geben, so dass die Häuser unbegrenzt einstellen können! Ob diese Neuregelung die erhoffte Zunahme der Vollzeitäquivalenten, bspw. auch durch Berufsrückkehrer und mehr Arbeit in Vollzeit durch bessere Arbeitsbedingungen, in Hamburger Krankenhäusern ermöglicht, werden wir kritisch prüfen. Eine zentrale Übersicht über die Anzahl beruflich Pflegender in der Stadt, wie sie bspw. eine Pflegekammer erheben könnte, erachten wir dabei als hilfreich.
Für Hamburg erwarten wir eine starke Sogwirkung in die Krankenpflege, weil die Krankenhäuser bei der Fachkräftegewinnung in Konkurrenz stehen. Durch die neue Finanzierung der Pflege sind wir also weniger als früher auf gesetzliche Personalvorgaben angewiesen, weil die Häuser schon aus eigenem Interesse mehr Pflegepersonal einstellen werden. Um den erheblichen Bedarf zu decken, aber auch um zu verhindern, dass andere Pflegebereiche – insbesondere die Altenpflege – unter der zu erwartenden Sogwirkung in die Krankenpflege leiden werden, muss mehr denn je der Fachkräftemangel in der Pflege in den Blick genommen werden. Sowohl in der Kranken- als auch in der Altenpflege! In der Ausbildung von Nachwuchskräften liegt der zentrale Schlüssel zur Bekämpfung des Pflegenotstandes.
Ausbildung ist der Schlüssel
Den Pflegenotstand können wir in Hamburg nur wirksam bekämpfen, indem wir mehr Pflegekräfte ausbilden und im Beruf halten. Wir brauchen eine Bündelung aller politischen Kräfte, um Fachkräfte zu gewinnen! Dabei fangen wir nicht bei null an: Seit 2010 konnte die Zahl der Auszubildenden in den Pflegefachberufen in Hamburg um 17 % gesteigert werden. Auch die Zahl der Ausbildungsbetriebe hat sich erhöht. Das PpSG verbessert nun die Refinanzierung der Ausbildungsvergütung im ersten Ausbildungsjahr, um Krankenhäuser zu motivieren, mehr Ausbildungsplätze zu schaffen. Auch wenn die bundespolitischen Rahmenbedingungen noch Luft nach oben lassen, sind wir entschlossen, jede Erleichterung für die Ausbildung von Fachkräften in Hamburg voll auszuschöpfen.
Eine zusätzliche Herausforderung, aber auch eine Chance wird die Umsetzung der generalisierten Pflegeausbildung ab 2020 sein. In der neuen Ausbildung werden Kranken-, Kinderkranken- und Altenpflege zusammengeführt. Die Finanzierung erfolgt über einen gemeinsamen Ausbildungsfonds. Schulgeld wird es nicht mehr geben. Wir wollen die Chancen der Ausbildungsreform nutzen und die reformierte Pflegeausbildung in Hamburg zum Erfolgsmodell machen. Unser Ziel ist es dabei, die Zahl der in Hamburg abgeschlossenen Ausbildungen von heute jährlich rund 500 in der Kranken- und Kinderkrankenpflege sowie rund 300 in der Altenpflege deutlich weiter zu steigern.
In den kommenden 1-2 Jahren wird sich zeigen, in welchem Maß die Hamburger Krankenhäuser Pflegepersonal aufbauen können bzw. ob einzelne Häuser aufgrund der neuen Untergrenzen dazu gezwungen sein werden. Diese Entwicklung gilt es engmaschig im Blick zu behalten und jeweils aktuell zu bewerten. Parallel sollen alle Möglichkeiten, auf Landesebene den Pflegepersonalaufbau in Hamburger Kliniken politisch zu unterstützen, weiter ausgelotet werden.
Qualität und Quantität
Doch nicht nur die Quantität im Sinne von mehr Pflegepersonal, auch die Qualität der Pflege muss weiter gestärkt und weiterentwickelt werden. Dabei sehen wir die Emanzipation und Selbstverwaltung der Pflegenden als Grundlegend an. Eine Berufsordnung sowie Rahmenbedingungen und Lehrpläne für Aus-, Fort-, und Weiterbildungen sollen auf lange Sicht gesehen direkt aus der organisierten Pfleger*innenschaft kommen. Der demographische Wandel und der medizinische Fortschritt, und damit einhergehend die Zunahme der Komplexität in der ganzheitlichen Versorgung der Patient*innen und Klient*innen, stellt die Pflegenden vor zunehmende Herausforderungen. Die Arbeit an Lösungen für diese Herausforderungen und gleichzeitig die Sicherstellung einer hohen Qualität sollte, in einem demokratischen Sinne, gewählten Vertreter*innen aus der Pflege in einer Kammer anvertraut werden. Diese verfügen, auch durch die steigende Akademisierung, über die besten Voraussetzungen, um künftig die Grundlagen für eine gute und qualitativ hochwertige Pflege zu legen.
Vor diesem Hintergrund fordert der Landesausschuss die Bürgerschaftsfraktion auf:
- Vor dem Hintergrund der vollständigen Refinanzierung aller Pflegepersonalkosten der Hamburger Krankenhäuser durch die gesetzlichen Krankenkassen eine neue Ausbildungsoffensive für die Pflegeberufe in Hamburg zu initiieren, um die Zahl der Ausbildungsabsolventinnen und –absolventen in den Pflegeberufen weiter deutlich zu steigern,
- die Entwicklung des Pflegepersonalbestands in den Hamburger Krankenhäusern in den Jahren 2019 und 2020 engmaschig abzufragen,
- parallel die Entwicklung des Pflegepersonalbestands in der ambulanten und stationären Altenpflege in Hamburg abzufragen,
- das Ergebnis der Prüfung des „Volksbegehrens gegen den Pflegenotstand“ durch das Hamburgische Verfassungsgericht mit Blick auf den landeseigenen Spielraum im Bereich der Personalvorgaben in Krankenhäusern im Detail zu analysieren,
- die Entwicklungen in anderen Bundesländern im Bereich der Volksinitiativen und Gesetzesvorhaben zum Thema Personalvorgaben in Krankenhäusern zu verfolgen,
- sich für die Einführung einer Landespflegekammer in Hamburg einzusetzen,
- weitere Initiativen zu ergreifen um auch im Kontext hoher Lebenshaltungskosten in Hamburg eine Ausbildung durch gute Ausbildungsbedingungen attraktiv zu halten; z.B. durch günstigeren Wohnraum für Auszubildende und vergünstigte Preise für den HVV ähnlich dem Semesterticket,
- weiterhin offen für Gespräche mit der Volksinitiative zu sein, wenn diese an den Verhandlungstisch zurückkehrt.