Was hält Hamburg zusammen oder wie sieht soziale Idee der GAL aus?

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Verfahrensvorschlag für den inhaltlich-programmatischen Prozess im Feld „Soziales/Soziale Spaltung/Leben in einer Stadt voller Unterschiede“

In seiner Rede zur Lage der Nation hat Barack Obama das Thema Gerechtigkeit hoch aufgehängt und damit im amerikanischen Wahlkampf die Debatte nach dem Zusammenleben in einer gerechten Gesellschaft neu entfacht. Der wachsenden Gerechtigkeitslücke mit klaren und nachhaltigen Antworten zu begegnen, ist auch in Deutschland, vor allem aber in einer Metropole wie Hamburg, eine der zentralsten politischen Aufgaben. Zu Recht stellen diverse Medien, u.a. die Frankfurter Rundschau (28./29.1.2012) derzeit immer wieder die Frage: „Warum greift eigentlich keine Partei von Gewicht dieses Thema auf?“

Denn eine Politik der Gerechtigkeit braucht nicht nur Solidarität und Empathie, sie braucht zudem eine ausreichend konkretisierte und differenzierte Leitidee von Gerechtigkeit und einen klaren und offenen Blick für die Ursachen von Ungerechtigkeit. Wir Grüne haben das Potential und die Kraft eine neue – ideenreiche und realitätstaugliche – Politik der Gerechtigkeit zu formulieren. Viele vermeintlich „postmaterielle“ Themen der Gründungszeit erweisen sich heute nicht nur als ökonomische, sondern als harte soziale Themen.

Hamburgs Bevölkerung wächst, in Zukunft wird die Gesellschaft noch bunter und vielfältiger sein. Entgegen der Entwicklung in den Flächenstaaten wird Hamburg als Metropole mehr junge und mehr alte Menschen haben. Dieser Zuzug verstärkt Ungleichheit und Konflikte zwischen Gruppen, die sich durch stärker werdende Unterschiede auszeichnen, immer mehr Menschen brauchen Wohnraum, gewachsene Sozialräume drohen (weiter) zu segregieren. Viele schlecht ausgebildete Menschen werden durch den Strukturwandel in der Wirtschaft dauerhaft von der Arbeitswelt abgekoppelt sein, Aufstiegschancen für diese Menschen sinken, Abstiegsängste der Mittelschicht prägen die Stadtgesellschaft. Gleichberechtigte Teilhabe und Inklusion von unterschiedlichen Menschengruppen gelingt Hamburg noch nicht richtig. Sprengstoff, der den sozialen Frieden in dieser Stadt nachhaltig gefährdet.

Wir Grüne haben den Anspruch und haben an uns wird gleichermaßen die Erwartung gerichtet, Antworten auf die wichtigen Gerechtigkeitsfragen zu geben:

Warum geht es „gefühlt“, „gelebt“ und mit Studien belegt immer ungerechter zu in der Gesellschaft? Warum wird die Schere zwischen arm und reich, zwischen GutverdienerInnen und Minijobbern, zwischen SteuerzahlerInnen und SteuervermeiderInnen, zwischen guten Schul- und Berufsabschlüssen und SchulabbrecherInnen, zwischen sich abschottenden/abgehängten Stadtteilen und „gates communities“ immer größer? Wie wird Gerechtigkeit zwischen Generationen und Geschlechtern ganz konkret ausgestaltet? Wie kommen wir zu Lösungen in der Verteilungs- und Institutionengerechtigkeitsdebatte? Kurzum: Wie schaffen wir es Blockaden in der Gesellschaft lösen, gleiche Freiheit im Sinne von gleichberechtigten Teilhabechancen zu ermöglichen?

Aus WählerInnen-Analysen/Klientelanalysen wissen wir, dass die Grünen immer noch die höchste Kompetenzzuschreibung in der Umwelt- und Klimapolitik haben. Es wird aber auch klar, dass die Erwartungen/Hoffnungen an uns auch zunehmend stärker mit dem Wunsch an sozial gerechte Politik verbunden sind. Ein grünes Menschenbild lässt sich kraftvoll in gute Sozialpolitik übersetzen.

Folgende Thesen sollen als Grundlage für die Diskussion in Partei und Stadt dienen (Grundlage Zukunftsforum „Auseinanderfallende Gesellschaft“, Bundesverband:

Thesen zur Verteilungsgerechtigkeit und der sozialen Idee der Grünen

  1. Die Schere bei Zugängen, Einkommen, Vermögen und Aufstiegschancen geht auseinander – Blockaden müssen gelöst, abgehängte Stadtteile wieder angekoppelt und benachteiligten Menschen gleichberechtigte Teilhabechancen ermöglicht werden

  2. Wir Grüne müssen unseren sozialen Anspruch deutlich machen und unsere Idee vom Zusammenhalt in der Stadt viel stärker nach außen tragen

  3. Gerechtigkeit, Freiheit und Verantwortung zusammen denken: Wir haben einen emanzipativen Gerechtigkeitsbegriff

  4. Wir erweitern den Radius von Gerechtigkeit: Raum, Zeit, Geschlecht

  5. Wir erweitern die Güter von Gerechtigkeit: Bildung, Arbeit, Klima

  6. Mehr Wert schaffen: Gerechtigkeit braucht Produktivität

  7. Primärverteilung und Umverteilung: Wir müssen beide Seiten in den Blick bekommen

  8. Wir müssen die Einnahmeseite stärken, um neue Handlungsspielräume eröffnen

  9. Wir brauchen eine Priorisierung der Ausgaben, um die öffentlichen Institutionen wirklich zu verbessern

  10. (Zwei zu Eins: Für jeden Euro für Individualtransfers investieren wir zwei Euro in öffentliche Institutionen)

Im Zuge des inhaltlich-programmatischen (Weiter)entwicklungs-Prozesses, den die GAL in den nächsten zwei bis drei Jahren gehen wird, wird ein großer Schwerpunkt im Bereich Soziales/Gerechte Stadt Hamburg liegen. Mit dem Ziel im November 2012 eine LMV zu diesem Thema zu machen und werden in Vorbereitung darauf die unterschiedlichen Ebenen und Organe der Partei in die Vorbereitung der (Neu-)Positionierung eingebunden und beteiligt. Neben der internen Debatte zu diesem Thema soll es gelingen, offensiv und kreativ in die öffentliche Auseinandersetzung zu gehen, um der GAL als sozialpolitische Stimme in der Stadt größeres Gewicht und ein Gesicht zu verleihen, eine bisherige „Flanke“ gegenüber SPD und Linken zu schließen und im Dialog mit Verbänden, Vereinen, Initiativen und Bürgerinnen und Bürgern vor Ort zentrale AnsprechpartnerIn zu werden, um damit auch zu signalisieren: Wir kümmern uns, hören zu und machen Politik nicht nur am Grünen Tisch – unsere Ideen müssen auch den Praxistest bestehen!

Wir fangen nicht von Null an – in unseren Programmen (Bezirksversammlung, Bürgerschaft, Bundestag, Europaparlament) sowie in grünen Grundsatzpapieren gibt es zahlreiche programmatische Positionen und Ziele, auf die wir aufbauen können. Auf Bundesebene findet zeitgleich über das Zukunftsforum „Auseinanderfalle Gesellschaft“ eine inhaltliche Auseinandersetzung zur grünen Idee vom gerechten und sozialen Leben in Vorbereitung auf die BDK im Herbst 2012 und die Bundestagswahl 2013 statt. Hier sollten wir die Synergien und auch den im Juni 2012 anstehenden Grünen Sozialkongress (voraussichtlich 28./29. Juni 2012) nutzen, um unser Hamburger Profil zu entwickeln und zu schärfen.

Parlamentarisch wird das Sozialressort bzw. der AK Soziales (Arbeitsmarkt, Gesundheit, Kinder und Jugend, Familie) sich mit sozialpolitischen Initiativen auch an der übergeordneten Fragestellungen („Armut – von ganz klein bis ins hohe Alter“, Obdachlosigkeit, ArbeitnehmerInnenrechte/-freizügigkeit, Demografischer Wandel in der wachsenden Stadt, abgehängte Stadtteile/soziale Spaltung) des Landesverbandes beteiligen. Über die Bezirksfraktionen werden wir die sozialpolitischen Schwerpunkte sowie Vorhaben abfragen.

Vorschlag für Fahrplan

LA, 31. 1. (erledigt)

Vorstellung der Idee „sozialpolitischer Schwerpunkt“ (LMV Herbst 2012)

LaVo-KV-Treffen, 17.2. (erledigt)

Vorstellung der Idee „sozialpolitischer Schwerpunkt“

LaVo-LAG Soziales, Februar

Brainstorming-Gespräch mit LAG – Was ist da an Programm, wo müssen wir ran? Was sind neue Themen? Wie können die verschiedenen Ebenen zusammen arbeiten? Welche LAGen müssen noch mit rein (+Bezirkssprecher)

LaVo-Sitzung, Anfang März

„Sondierung der Lage“ (gern mit LAG und Interessierten) – was ist da an Papieren, Programm etc. (+Bezirkssprecher)

Dialog mit „Profis“ ab März

Gesprächen mit Verbänden, NGOs, Vereinen, Trägern in den unterschiedlichen Bereichen – kontinuierlich; für Input

KV-Besuche auf Wunsch ab März

Angebot von LaVo bei Vorstandssitzungen in den KVen über das Thema „Soziales“ zu diskutieren, Input „einsammeln“

Denkfabrik/LAG-Werkstatt, Mai/Juni

Tagesdenkfabrik „Hamburg hält zusammen“, externer Input, Thesenpapier von LaVo/LAGen als interner Input, protokollierte Workshops für die Partei – daraus entsteht ein Papier, das möglichst viele Aspekte aufgreift: Wohnen/städtische Flächen/Wohnung ist Grundrecht, Spaltung in Stadtteilen/im Stadtteil zuhause, Arbeitsmarkt, Mobilität ist Teilhabe, Kultur des Alterns, Pflege, Gesundheit, Inklusion, Drogen/Sucht, Sport und Kultur etc. . Alternative: un-conference Charakter (müssen wir besprechen)

„Stadtteiltour – näher dran“ ab Mai

Katha/Manu plus GAL-BezirkspolitikerInnen/Wahlkreisabgeordnete vor Ort – Besuche RISE, Stadtteilbüros etc.

Sozialpolitisches Praktikum „Schichtwechsel“ – Sommertour durch soziale Einrichtungen – anpacken, mitmachen, ins Gespräch kommen und Perspektivenwechsel erleben

Niedrigschwelliges Format ab Mai

Mobiles Kino, Poetry Slam, Hamburger Tafel, Bauspielplätze, Kochen mit Müttern und Vätern – „Wo drückt der Schuh“- niedrigschwellig mit den Leuten ins Gespräch kommen, Gesicht „zeigen“ – vielleicht Reihe für Wahlkreisabgeordnete

„Sozialdialog“, Mitte August

Vortrag, Streitgespräch und Workshops zur Zukunft der Stadt „Auftrag: sozial!“…und was ist unsere Rolle als Partei
Workshops, stadtweit plakatiert

interaktive Karte mit „Baustellen Soziales“, die jede/r online angeben kann.

Dokumentation als Grundlage für den Antrag

LA, 4.9.

Zwischenstand – bisherigen Verlauf, Ergebnisse, Streitpunkte darstellen

September

Beschlussvorlage/Antrag vorbereiten

Anfang/Mitte Oktober

Verschickung Antrag; Debatte in der Partei über Antrag

Ressourcen: thematische Priorität in der LGSt sowie ein/e dafür fest abgestellte/r PraktikantIn zur Unterstützung